Interview mit Robin Dutt Keine Sonderrolle für Michael Ballack

Leverkusen (RP). Im Interview mit unserer Redaktion spricht Leverkusens neuer Trainer Robin Dutt über die Ziele der kommenden Saison, Andre Schürrle und die Chancen der Überraschungsteams im internationalen Geschäft.

Robin Dutt – Halb-Inder, Trainer, Funktionär
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Das ist Robin Dutt

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Foto: dpa, Dominique Leppin

Herr Dutt, rechnen Sie damit, dass die kommende Saison die sportliche Hierarchie wiederherstellt, wie man sie vor der vergangenen Spielzeit kannte?

Robin Dutt: Ich glaube nicht, dass die klassische Hierarchie gleich im nächsten Jahr komplett wiederhergestellt wird. Das kann ich mir nicht vorstellen. Es sind ja gleich fünf Mannschaften unter den ersten neun gelandet, die man so dort nicht erwartet hätte. Das war kein Zufall, sondern eine nachhaltige Leistung. Außerdem kann man nicht einfach davon ausgehen, dass sich Wolfsburg, Schalke, Stuttgart und Bremen alle automatisch wieder hinter Dortmund, Leverkusen und München einreihen.

Was haben Teams wie Mainz, Hannover oder Nürnberg besser gemacht als die genannten etablierten Vereine?

Dutt: Diese Mannschaften waren in punkto Teamfähigkeit den anderen vielleicht ein Stück weit voraus. Und durch die verbesserte Ausbildung der vergangenen Jahre gibt es heutzutage sehr viele junge Spieler, die vielleicht noch keinen Namen haben und finanziell günstig sind, aber schnell ein hohes Niveau erreichen können. Das Paradebeispiel ist ein Mario Götze in Dortmund.

Ein anderer Senkrechtstarter war André Schürrle. Er spielt nun in Leverkusen. Was erwarten Sie von ihm?

Dutt: Es wird für ihn kein einfaches Jahr, weil es das Bestätigungsjahr ist. Die Messlatte ist inzwischen nach oben geschraubt worden. Es ist doch immer so: So hoch man steigt, so tief ist auch die Fallhöhe. André ist charakterlich ein guter Junge, und was er gezeigt hat, ist nachhaltig. Aber Leverkusen ist nun mal nicht Mainz. Das hier ist Champions-League-Niveau. Und er gehört nun zur Nationalmannschaft. Er hat also mehr Spiele und eine höhere Belastung — für den Körper wie für den Kopf. Er wird zeigen müssen, dass er damit umgehen kann. Den Eindruck macht er aber. Insofern gehe ich davon aus, dass er für uns eine sehr gute Rolle spielen wird.

Schürrle ist nur einer von vielen jungen Spielern, die in Leverkusen unter Vertrag stehen...

Dutt: Und diesen jungen Spielern wird das Erfolgserlebnis helfen, dass sie eben nicht versagt haben, als sie am letzten Spieltag stark unter Druck standen, sondern dass sie aus eigener Kraft die Champions League erreicht haben. Und — das kann ich ja nun aus erster Hand sagen — nicht gegen einen Gegner (SC Freiburg, Anm. d. Red.), der die Partie schon vorher abgeschenkt hatte.

Könnte dieses 1:0 in Freiburg also ein regelrechtes Erweckungserlebnis für Bayer 04 sein?

Dutt: Für die Spieler selbst schon. Aber mein Vorgänger hat ja oft genug betont, dass diese Generation mit der Vergangenheit dieses Vereins nichts zu tun hat. Vielleicht hat das Umfeld ja trotzdem seit dem 14. Mai mehr Vertrauen darin, dass Leverkusen seine Ziele aus eigener Kraft erreichen kann.

Das Europapokal-Aus gegen Villarreal passte dagegen wieder ins Bild vom Leverkusen, das in den wichtigen Spielen immer scheitert.

Dutt: Dieses vermeintliche Scheitern wurde durch das Erreichen von Rang zwei in der Bundesliga absolut widerlegt. Wenn man sich so souverän an der Tabellenspitze und am Ende auch gegen Bayern München behauptet, kann von einem Scheitern keine Rede sein. Wenn Sie mit Scheitern meinen, dass man irgendwann im Europapokal ausgeschieden ist, na, dann scheitern 99 Prozent aller Teams irgendwann, nur Barcelona scheitert dann nicht.

Erwarten Sie eine Bayern-München-Saison?

Dutt: Es gibt immer eine Bayern-München-Saison. Die Frage ist nur, ob es eine gute oder schlechte Bayern-München-Saison wird. Dort findet der Wechsel zu Jupp Heynckes ja statt, weil in der vergangenen Saison etwas nicht gepasst hat. Von daher muss sich das neue auch erst mal finden. Ich denke, wir hier in Leverkusen können vielleicht auf ein eingespielteres Team zurückgreifen.

Ein Team, das nach dem Karriereende von Sami Hyypiä und der Verpflichtung vom Ömer Toprak in der Defensive noch einmal verjüngt wurde. Holen Sie noch einen international erfahrenen Innenverteidiger?

Dutt: Ich will erst einmal die Vorbereitung abwarten, um zu sehen, wie der eine oder andere Spieler reagiert, wenn der Trainer einmal Druck ausübt. Über Dortmund hat man vor der vergangenen Saison auch gesagt, dass es eine sehr unerfahrene Innenverteidigung besitzt, und am Ende wird es souverän Meister. Erfahrung kann das Zünglein an der Waage sein, wenn die sportliche Leistung ebenfalls stimmt. Erfahrung allein nützt heute nichts mehr.

Gibt es einen Unterschied für Sie in der Arbeit bei einem Verein wie Freiburg und hier in Leverkusen?

Dutt: Natürlich gibt es Unterschiede. Der erste ist schon mal der, dass man die Angel in unterschiedliche Teiche reinwirft, wenn man zum Scouting hinausfährt. Aber auch hier spielt das Geld allein keine Rolle. Wenn man einen Schürrle verpflichten will, muss man als Bayer Leverkusen den Mut haben, seine Leistung schon 2010 zu bewerten. Und als dann der Rest der Liga auch zu dem Schluss gekommen ist, das ist ein guter, hatte er eben schon bei Bayer unterschrieben. Wenn er jetzt noch auf dem Markt wäre, müsste ein Verein an Mainz sicherlich das Doppelte überweisen.

Jupp Heynckes wurde dafür gelobt, dass er eine gute Mischung aus Konsequenz und individuellen Freiheiten im Umgang mit seinen Spielern gefunden hat. Ist das auch Ihr Weg?

Dutt: Jupp Heynckes hat es aus meiner Sicht genau richtig gemacht. Man muss auf jeden Menschen individuell eingehen. Da wird sich sicherlich bei mir auch nichts ändern. Das heißt aber nicht, dass Werte und Leistungsfähigkeit nicht bei allen gleich beurteilt werden.

Lassen Sie sich von Ihren Spielern siezen?

Dutt: Bisher haben Sie mich hier alle gesiezt. Und wenn das für die Spieler okay ist, sollen sie das machen. Wenn jemand den ganz großen Drang verspürt, mich zu duzen, dann geht die Welt auch nicht gleich unter. Wir werden schon den nötigen Respekt voreinander haben.

Erfüllt es Sie mit Genugtuung, dass in den Klopps, Tuchels und Dutts Trainer erfolgreich sind, die ihren Beruf von der Pike auf gelernt haben?

Dutt: Es gibt für mich keinen Grund, Genugtuung zu empfinden. Es wird auch weiterhin Trainer geben, die verdiente Nationalspieler waren oder ein gewisses Naturtalent besitzen. Ich hoffe und wünsche mir auch, dass es in den nächsten Jahren unter den 18 Bundesligatrainern einen schönen Querschnitt gibt, dass jeder eine andere Vita mitbringt und jeder aus einer anderen Ecke kommt. Das bereichert den Fußball.

Sind die jungen Trainer denn besser?

Dutt: Das ist keine Frage des Alters. Es geht auch nicht um modern oder nicht modern. Es ist einfach eine ganz persönliche Frage. Deswegen finde ich es auch nicht in Ordnung, uns junge Trainer auf so einen hohen Schild zu heben und damit den einen oder anderen sehr guten älteren Trainer abzuqualifizieren.

Stichwort: verdienter Nationalspieler. Wird es für Sie schwieriger sein, einen Zugang zu Michael Ballack zu bekommen, weil Sie selbst eben keine zig Länderspiele vorweisen können?

Dutt: Seit ich mich von den unteren Ligen nach oben gearbeitet habe, wird mir die Frage gestellt, was passiert, wenn ich jetzt auf diesen oder jenen ganz besonderen Spieler treffe. Ich habe festgestellt, dass Michael Ballack auch zwei Füße, zwei Arme und einen Kopf oben auf dem Hals hat. Im Umgang mit ihm kann ich keinen Unterschied zu anderen Spielern feststellen. Es geht um gegenseitigen Respekt und um Werte, und da wüsste ich nicht, warum man Menschen in diesen Punkten unterschiedlich behandeln sollte.

Das gilt für Sie. Und für Ballack?

Dutt: Wir haben hier in Leverkusen sehr viele sehr intelligente Spieler — inklusive Michael Ballack. Ich glaube nicht, dass er sich von einem Trainer überzeugen lässt nur aufgrund von dessen Vita. Das, was du sagst, muss überzeugen und funktionieren. Sonst hast du ein Problem. Ich denke nicht, dass Felix Magath seinen Spielern jeden Tag erzählen kann, das ist deswegen richtig, weil ich damals in Athen das Tor geschossen habe. Es kann aber umgekehrt auch nicht sein, dass es heutzutage fast schon ein Makel ist, wenn du als Trainer vorher auch Spieler warst. Nationaltrainer sind entlassen worden, Amateurtrainer sind entlassen worden. Wenn ich keinen Erfolg habe, werde ich entlassen. Wenn ich Erfolg habe, darf ich noch ein bisschen länger bleiben.

Seit dem Abgang von Christoph Daum 2000 war kein Trainer mehr wirklich lange in Leverkusen. Warum werden Sie hier langfristig arbeiten können?

Dutt: Das liegt doch ganz allein an mir. Wenn ich eben die sportliche Anforderung, die mir gestellt ist, und die Tabellenplätze nicht erreiche und ich werde entlassen, dann habe ich das persönlich zu verantworten.

Wie viel schwerer wird es, die Erwartungen zu erfüllen, wenn Arturo Vidal nicht mehr da ist?

Dutt: Die Frage lässt sich pauschal nicht beantworten. Jeder Trainer auf der Welt hat einen Spieler wie Arturo gerne in seinen Reihen. Aber wenn du andererseits nicht den Anspruch hast, einen Spieler ersetzen zu können, dann hast du in der Bundesligaspitze nichts verloren. Wenn er in der nächsten Saison hier spielt, finde ich es klasse, wenn nicht, müssen andere Spieler aus unseren Reihen den nächsten Entwicklungsschritt machen und ihn ersetzen.

Gibt es heute noch taktische Überraschungen, oder ist dieses Feld mittlerweile ausgereizt?

Dutt: Es wird nicht jede Woche eine taktische Revolution geben. Trotzdem bereitet man sich taktisch jede Woche auf ein Spiel vor. Man kann den Gegner natürlich immer überraschen. Die taktische Auseinandersetzung zwischen zwei Mannschaften wird eine immer größere Rolle spielen, weil sich alles andere angleicht. Defensiv spielen kann jeder lernen, offensiv spielen kann und muss man auch lernen, aber hier sind die technischen Fähigkeiten der einzelnen Spieler der limitierende Faktor.

Sie haben gesagt, Sie legen Wert auf soziale Kompetenz. Wie schnell erkennen Sie die bei einem Menschen?

Dutt: Ich hoffe, dass ich immer richtig liege in meiner Einschätzung. In der Regel habe ich auch ein gutes Gespür. Aber natürlich habe ich mich auch schon täuschen lassen. Für mich war in Bezug auf Bayer Leverkusen wichtig, zu beobachten, wie der Verein in den vergangenen Jahren mit seinen Trainern umgegangen ist. Wir tauschen uns im Kollegenkreis ja auch aus. Und selbst ein Michael Skibbe, der hier entlassen wurde, lobt Leverkusen in den höchsten Tönen.

Bei welchem Ihrer Spieler sehen Sie das meiste Entwicklungspotenzial?

Dutt: Ich habe in Freiburg gelernt, dass es bei jedem Spieler Potenzial gibt. Auch bei älteren. Bei denen sind das sicherlich nur Nuancen, aber vielleicht gibt es ja irgendwas, das ihnen besonders entgegenkommt, das sie so bisher nicht gekannt haben. Wer will, kann sich immer verbessern. Wie stellen Sie sich persönlich auf das Neuland Champions League ein? Dutt Für mich hielt bisher jede Station Neuland bereit. Es wird wichtig sein, alle Informationen vom Gegner zu haben und einen guten Rhythmus für die Englischen Wochen zu finden. Beides wird uns gelingen.

Als Trainer muss man heute Psychologie, Kommunikation, Pädagogik und Trainingslehre beherrschen.

Dutt: Ja, der Trainerberuf ist wahnsinnig komplex. Deswegen fühlen wir uns ja manchmal kurz nach Spielende auf den Schlips getreten, wenn alle meinen, sie können einfach so mitsprechen. Wenn ich zu dem Zahnarzt, der mich von der Haupttribüne aus fachlich kritisiert, am nächsten Tag in die Praxis gehe und sage, "Die Füllung ist aber schlecht gemacht, die würde ich anders machen", und wenn er mich dann fragt, "Ach, ein Kollege?", und ich antworte, "Nein, Fußballtrainer", dann würde er mich auch etwas komisch anschauen.

Was muss passieren, damit Bayer einen Titel holt?

Dutt: Dafür muss natürlich alles passen. Zunächst einmal müssen die Spieler von einer hohen Qualität aus den nächsten Schritt machen und noch konstanter spielen. Man muss dem mentalen Druck standhalten, man muss Glück haben, dass man von gravierenden Verletzungen verschont bleibt. Es sind viele Faktoren, die zusammenspielen. Letztlich ist es natürlich auch wichtig, dass ich als Trainer den richtigen Weg vorgegeben habe.

Wie bekommen Sie René Adler wieder in die Reihe?

Dutt: Ich glaube, er ist total in der Reihe. Wenn du wie René Adler von null auf hundert in deine Karriere startest, dann ist die Messlatte natürlich unglaublich hoch. Er hat eine gute Saison gespielt, und es gab wenige Torhüter, die eine bessere gespielt haben. Ich bin mir sicher, wenn das seine erste Bundesligasaison gewesen wäre, wäre er jetzt in aller Munde. Ein René Adler ist besser als die vielgelobten Baumanns, Zielers und Trapps, weil er mehr Erfahrung hat und dazu die gleichen Leistungen gebracht hat.

Ist er auf einer Stufe mit Manuel Neuer?

Dutt: Manuel Neuer ist zurzeit eine Stufe über allen anderen Torhütern. René Adler hat genau das gleiche Potenzial und steht auf jeden Fall vor den ganzen jungen Talenten, die im Moment so gefeiert werden.

(RP)
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