Geschäftsmodell Fußball Wer braucht schon Fans?

Düsseldorf · Im Showgeschäft Fußball ist der Fan im Stadion heute vor allem Teil der Inszenierung für den TV-Kunden. Das entzieht ihm auf Dauer den Boden, warnen Kritiker.

Borussia Dortmund: Viele leere Plätze auf Südtribüne wegen Montagsspiel
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Viele leere Plätze auf Dortmunder Südtribüne

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Vor ein paar Wochen hat Christian Seifert bei einer Tasse Tee mit Honig die neuesten Rekordzahlen für den deutschen Profifußball verkündet. Der kränkelnde Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga (DFL) präsentierte ein kerngesundes Produkt. Die 36 Vereine der 1. und 2. Bundesliga haben mit einem Gesamtumsatz von 4,01 Milliarden Euro in der vergangenen Saison mal wieder eine magische Grenze geknackt. Und dank des erst kürzlich neu ausgehandelten TV-Vertrages ist ein weiteres Wachstum zu erwarten. Die Nachricht kam zu einer Zeit, in der um die Deutungshoheit im Fußball gekämpft wird.

Der Fußball ist zufrieden mit sich. Denn er ist mächtig. Und er will noch viel mehr. In Deutschland ist die Entwicklung erst am Anfang. In der Premier League geben längst finanzstarke Investoren den Ton an. In der Bundesliga liebäugeln viele Vereine auch mit diesem Geschäftsmodell. Doch man tut sich schwer, die Notwendigkeit der Veränderungen den Fans zu erklären. Die werden nämlich zur Inszenierung gebraucht. Sie sind ein Teil der Unterhaltungsbranche Fußball. Die Stimmung in den Stadien ist wichtig für die Vermarktung. Wer es schafft, eine Kleinstadt in einer Arena zu versammeln, der besitzt eine nicht zu verachtende Anziehungskraft.

Eintracht Franckfurt: Fans protestieren im Innenraum
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Frankfurter Fan-Protest gegen Montagsspiele

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Beim zweiten Montagsspiel in dieser Saison im Dortmunder Signal Iduna Park hat ein großer Teil der organisierten Fanszene auf mächtige Weise gegen das Wirtschaftsunternehmen Fußball demonstriert. Gut 27.000 Zuschauer waren gegen den FC Augsburg nicht wie sonst üblich in der als Tempel deklarierten Spielstätte anwesend. Fans, die ihr Leben dem Fußball unterordnen. Die immer da stehen, egal, ob es um die Meisterschaft oder gegen den Abstieg geht. Menschen, die bereit sind, Grenzen zu überschreiten für ihren Verein, haben dieses Signal ausgesendet: Ihr könnt nicht alles mit uns machen!

Fokus liegt längst auf Internationalisierung

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Es gibt genaue Analysen, wann ein Fußballfan ins Stadion geht, wie lange er dort verweilt, wie viele Würste er isst und welches Bier er am liebsten trinkt. Wie lange er in der Schlange darauf wartet. Im Großen und Ganzen ist der Anhänger aber nicht mehr als ein nettes Zusatzgeschäft, dass man ganz im Sinne der Gewinnoptimierung so gewissenhaft wie möglich ausschlachtet. Der Fokus liegt längst auf Internationalisierung, auf Expansion auf den lukrativen Wachstumsmärkten in Asien und Nordamerika.

Bei diesen neuen Geschäftsmodellen verliert der Fan seine frühere Rolle als maßgenlicher Einnahmen-Beschaffer, der Geld zahlt, um Fußball im Stadion zu sehen. Heute ist der Fan in erster Linie Teil der großen Show, die zum Verkauf angeboten wird. Im Fußball geht es nach wie vor um die Zuschauer - aber um die vor dem Fernseher. Diese Denkweise teilt die DFL mit dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC), das mit den Wettkampfzeiten von Pyeongchang wieder mal vor allem den nationalen TV-Märkten entgegenkam, nicht den Fans an den Pisten und Schanzen. "Es waren Fernsehspiele. Olympia war am Bildschirm optimal, weil für die beliebtesten Sportarten in Europa niemand nachts aus der Koje krabbeln musste", schrieb die "Süddeutsche Zeitung".

Braucht es bei so einem Konzept noch Fans? Fankultur? "Der Fußball", sagt der Fanforscher Harald Lange, "entwickelt sich immer mehr zu einem einem Billigprodukt. Er ist Massenware. Und dementsprechend wird die Fankultur immer weiter zurückgedrängt bis irgendwann auch die letzten Spuren weg sind." Lange, 49, ist Professor an der Uni Würzburg. Der Sozial- und Sportwissenschaftler beobachtet schon seit Jahren einen radikalen Verdrängungswettbewerb. "Der Fußball muss aufpassen, dass er seine Wurzeln nicht vollends vergisst. Beliebigkeit birgt auch ein großes Risiko", sagt Lange. "Die Fans haben schon seit einer ganzen Weile nicht mehr das Gefühl, ernstgenommen zu werden. Doch man darf nicht vergessen - ohne Fans, würde es den ganzen Zirkus nicht geben."

Das Problem ist indes: Es gibt nicht die Fans. Es gibt keinen legitimierten Sprecher. Es gibt zig verschiedene Sichtweisen auf den Fußball. Und es liegt in der Natur der Sache, dass die älteren Fans irgendwann nur noch kopfschüttelnd die Aktionen der heranwachsenden Generation, die sich gerne mit dem geheimnisvollen Namen "Ultras" schmücken, quittieren.

Im Fußball fehlt ein Korrektiv

Dem Konzern Fußball kommt dieser Zwist gelegen. In Hannover werden so die unterschiedlichen Lager gegeneinander ausgespielt. Alt-Kanzler Gerhard Schröder, Aufsichtsrat von Hannover 96, hat die Ultras der Niedersachsen eine "ärgerliche Randerscheinung" genannt. Seit Monaten liefern sich verschiedene Gruppen einen erbitterten Streit, die Ultras wollen unter anderem eine Übernahme des Fußball-Bundesligisten durch den Vereinsvorsitzenden Martin Kind verhindern.

Und in diesen ganzen Wirren fehlt es dem Fußball an einem Kompass. An einem Gewissen, der allzu exzessive Auswüchse klar beim Namen nennt. Das als Korrektiv dienen würde. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) könnte diese Rolle ausfüllen. Doch er will lieber Teil des Geschäfts sein - und mitverdienen. "Es ist doch an Peinlichkeit nicht mehr zu überbieten, dass es fünf, sechs Tibet-Aktivisten geschafft haben, dass die Freundschaftsspiele mit der chinesischen U20-Nationalmannschaft in der Regionalliga nach nur einer Begegnung wieder eingestellt wurden", sagt Fanforscher Lange. "Was ist das denn für eine Führungslosigkeit an der Verbandsspitze? Ein großes Unternehmen bringt doch auch kein neues Produkt auf dem Markt, wenn es nicht vorher getestet hat, ob es dafür überhaupt eine Zielgruppe gibt. Es mangelt viel zu oft im Fußball an einer klaren Haltung - egal in welche Richtung."

Unlängst hatte DFB-Präsident Reinhard Grindel angekündigt, der Verband wolle darauf verzichten, in der Halbzeitpause des Pokalfinales in Berlin ein Showprogramm zu inszenieren. Es sollte wie eine Haltung klingen. Es klang aber nach einem Ex-Politiker, der nur auf sinkende Umfragewerte reagiert.

(gic, klü)
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