4:4 zwischen Dortmund und Schalke "Purer Wahnsinn" — ein Derby für die Ewigkeit

Dortmund · Nach dem spektakulärsten aller bisherigen Revierderbys kochten die Emotionen in Dortmund über. BVB-Trainer Peter Bosz muss nach dem historischen Zusammenbruch seine Entlassung befürchten.

 Schalkes Naldo bejubelt den Treffer zum 4:4.

Schalkes Naldo bejubelt den Treffer zum 4:4.

Foto: ap, mm

Nach dem sagenhaften Finale eines phänomenalen Revierderbys für die Ewigkeit kochten die Emotionen endgültig über. Schalke-Torhüter Ralf Fährmann und BVB-Urgestein Nuri Sahin lösten mit einem giftigen Gerangel vor der Südtribüne eine Massenschubserei aus, wütende Fans von Borussia Dortmund versuchten, den Innenraum zu stürmen. 100 Meter entfernt stießen übereifrige Ordner die Schalker Helden von ihren ekstatischen Anhängern weg. Einig waren sich alle nur in einem: Solch ein Derby hat es in 92 Jahren noch nie gegeben.

"Purer Wahnsinn!", sagte Fährmann nach dem spektakulären 4:4 nach 0:4 im 173. Duell der Ruhrpott-Rivalen. "Die ganze Fußballwelt liebt solche Spiele. Wenn man das als Buch verfasst hätte, hätte man sich gefragt: Was ist das denn für ein Schwachsinn?"

Auch der schwer angezählte BVB-Trainer Peter Bosz war fassungslos. "Wenn man nicht dabei war, kann man es nicht glauben! Das darf niemals passieren, dass du ein 4:0 verspielst", sagte der Niederländer, der möglicherweise sein letztes Spiel mit den Dortmundern erlebt hatte. Entsetzt musste Bosz nach einer grandiosen ersten Halbzeit, in der seine taktischen Änderungen voll aufgegangen waren, ansehen, wie seine Mannschaft kollabierte.

"Du führst 4:0 und hast sie komplett zerlegt", klagte Sahin kopfschüttelnd, "wir können noch eine Stunde reden - ich habe keine Erklärung." Die hatte auch Bosz nicht. "Man fühlt im Körper nur Enttäuschung", sagte der 54-Jährige, "das ist ein sehr schlechtes Ergebnis für uns." Sahin versicherte dennoch: "Wir stehen hinter unserem Trainer."

Ob das noch etwas bewirkt, ist sehr fraglich. Die Vereinsführung verweigerte am Samstagabend jeglichen Kommentar zur Trainerfrage - doch am Sonntag ab 11.00 Uhr muss sich Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke auf der Jahreshauptversammlung in der Westfalenhalle den Mitgliedern stellen.

Lange hatte es nach einer historischen Demütigung des Erzrivalen ausgesehen. Der BVB lag durch Pierre-Emerick Aubameyang (12.), ein Eigentor von Benjamin Stambouli (18.), Weltmeister Mario Götze (20.) und Europameister Raphael Guerreiro (25.) 4:0 vorne - so schnell wie zuletzt vor 53 Jahren in einem Derby.

Schalke-Trainer Domenico Tedesco hielt schon die weiße Fahne in der Hand. "Das 0:4 war die Hölle. Nach 25 Minuten habe ich den vierten Offiziellen gefragt, ob wir nur 70 Minuten spielen dürfen", berichtete er. Manager Christian Heidel überlegte: "Wie verkaufst du das jetzt?"

Dann kam das Sensationscomeback für die Geschichtsbücher. Guido Burgstaller (61.) und Amine Harit (65.) rissen die anfangs vollkommen überforderten Schalker aus der Schockstarre. Als Aubameyang auch noch Gelb-Rot sah (72.), "ist der Glaube zurückgekommen", sagte der überragende Leon Goretzka: "Und auf der anderen Seite hat es angefangen zu rattern. Der Rest ist Geschichte." Daniel Caligiuri (86.) und Naldo (90.+4) vollbrachten das Fußball-Wunder und hielten Dortmund in der Tabelle auf Distanz. Erst einmal hatte eine Bundesliga-Mannschaft ein 0:4 noch aufgeholt: Bayern München siegte 1976 beim VfL Bochum sogar noch 6:5.

Am Samstag ließ das unglaubliche Ende selbst die Besonnensten aufbrausen. Fährmann tat sein provokativer Jubel vor der Südtribüne, der die Tumulte ausgelöst hatte, mit etwas Abstand leid. "Das war nicht gentleman-like, so darf ich mich nicht verhalten. Dafür möchte ich mich entschuldigen", sagte er. "Aber jeder weiß, wie es in meinem Herzen aussieht."

So endete das turbulenteste aller Derbys doch noch halbwegs versöhnlich. Selbst der Ur-Dortmunder Roman Weidenfeller, der mit seinem 24. Einsatz zum Schalker Rekordhalter Klaus Fichtel aufschloss, gab zu: "Man muss sagen, dass Schalke zu Recht noch einen Punkt geholt hat."

(sid)
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