Borussia Mönchengladbach Stindl in der Box und eine Frage der Schule

Mönchengladbach · Lars Stindl benötigt 67 Minuten, um Christoph Kramers Torbilanz einzustellen – und ersetzt Max Kruse in seinem ersten Pflichtspiel gleich mit. So fährt die Borussia vier Jahre nach dem einschneidenden Erlebnis am Millerntor diesmal mit einem guten Gefühl nach Hause.

Stindl trifft bei Pflichtspiel-Debüt doppelt
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Lars Stindl benötigt 67 Minuten, um Christoph Kramers Torbilanz einzustellen — und ersetzt Max Kruse in seinem ersten Pflichtspiel gleich mit. So fährt die Borussia vier Jahre nach dem einschneidenden Erlebnis am Millerntor diesmal mit einem guten Gefühl nach Hause.

  • 1. Zu spät und doch rechtzeitig
  • "1051-mal berührt, 1051-mal ist nichts passiert", hieß es nach dem Pokal-Aus gegen Arminia Bielefeld im April, Granit Xhaka stellte mit 200 Ballkontakten sogar einen neuen Rekord auf. 120 Minuten lang war die Borussia nicht von ihrem Plan A abgewichen, hatte den Ball auf dem Acker uninspiriert und monoton zirkulieren lassen. Das anschließende Elfmeterschießen ist ein anderes Thema. 45 Minuten lang schien es am Montagabend gegen den FC St. Pauli auf ein Bielefeld-Revival hinauszulaufen, aber dann kam eine Borussia aus der Pause, die damals auf der Alm zweifellos ins Halbfinale eingezogen wäre: Sie stand höher, sie drückte, sie ging mehr Risiko, sie zwang den Gegner dazu, in den entscheidenden Szenen sein Defizit an individueller Klasse zu offenbaren. Plan B kam einerseits vier Monate zu spät, andererseits genau zur rechten Zeit.
  • 2. Schulform noch offen
  • Modeste, Huntelaar, Kießling, Ujah, Castaignos, Ginczek, Dost — sie alle trafen am Pokal-Wochenende für ihre Klubs, sie alle sind Mittelstürmer der gerne als solche bezeichneten "alten Schule". Wobei die "neue Schule", so es sie denn gibt, ihrem Bildungsauftrag seit Jahren nicht mehr nachzukommen scheint. Gladbach hat im Sommer einen jetzt 23-jährigen Angreifer geholt, dessen Schulform noch nicht eindeutig zu identifizieren ist. Josip Drmic trägt in seinem Spiel erhebliche Züge der Strafraumstürmer-Schule, sein Trainer Lucien Favre sagt aber: "Er muss immer am Spiel teilnehmen, viel entgegenkommen, darf nicht vorne auf Bälle warten." Das klappte am Millerntor noch nicht ganz, über weite Strecken lief das Spiel an Drmic vorbei, in den wenigen aussichtsreichen Situation agierte er überhastet. Dass er sich wohl weiterhin über Favres Vertrauen freuen kann, liegt an einem anderen Neuzugang.
  • 3. Sechs plus zehn durch zwei ist acht
  • Lars Stindl begann auf der Doppelsechs neben Granit Xhaka, drängte nach der Pause aber in Hannover-Manier so sehr nach vorne, dass seine Rolle mit Rückennummern sowie den Attributen "offensiv", "defensiv", "falsch" oder "echt" nicht hinreichend zu beschreiben ist. Die Zahl der Tweets, in denen nach seinen beiden Toren gescherzt wurde, Stindl sei wohl als Ersatz für Christoph Kramer und Max Kruse gekommen, war nicht mehr zu überblicken. Nach 67 Minuten hatte er genauso viele Pflichtspieltore auf dem Konto, wie Kramer in der gesamten vergangenen Saison geglückt sind. Der Nationalspieler ist eben ein Box-to-Box-Player gewesen, der seine Stärken zwischen den Strafräumen hat, aber nicht darin. Zumindest nicht im gegnerischen.
  • 4. Mann für entscheidende Momente
  • Ibrahima Traoré hatte vergangenen Sommer seinen Saisonstart als Neuzugang, er hat im Endspurt zwei wichtige Jokertore geschossen, nach dem Urlaub eine starke Vorbereitung absolviert, und doch hat es den Anschein, als müsse man den Guineer zumindest anteilig zu den Neuen zählen. Man bräuchte eine eigene Einheit, um seine Form und sein Selbstbewusstsein zu messen. Scoville würden sich anbieten. Wie für die Bestimmung des Schärfe-Grades. Traoré bringt eine Komponente bei der Borussia rein, die rar geworden ist in einem aufs Kollektiv ausgelegten System. Momentan ist er in der Lage, Spiele durch Einzelaktionen zu entscheiden.
  • 5. Noch 20 Sekunden
  • Wenn Granit Xhaka kritisiert wird, egal ob medial oder von den Borussia-Fans, gibt es ganz klar zwei Schwerpunkte. Zum einen steht der Hitzkopf im Mittelpunkt, der seltener als früher, aber immer noch ab und an aus ihm herausbricht. Unter anderem deshalb wird er das erste Champions-League-Spiel nach seiner Gelb-Roten Karte in der Europa League gegen den FC Sevilla verpassen. Zum anderen sind da leichtfertige Ballverluste in der Vorwärtsbewegung, aus denen im schlimmsten Fall Gegentore resultieren. Letzteres passierte gegen St. Pauli, wobei Xhaka hier in Schutz zu nehmen ist: Fünfmal spielte sich der Gegner noch den Ball zu, 20 Sekunden vergingen, ehe Marc Rzatkowski den Ball in den Winkel setzte. Der Fehlpass war fahrlässig, aber irgendwie muss der Gegner vor einem Gegentor ja an den Ball kommen.
  • 6. Schweizer sind die neuen Belgier
  • Xhaka war Teil eines Trios mit Seltenheitswert. Viel ist geschrieben worden über "Helvetia Mönchengladbach" oder die "Eidborussen". Am Millerntor standen erstmals drei Schweizer gleichzeitig in einem Pflichtspiel für den VfL auf dem Platz. Dass drei Spieler aus demselben Land — abgesehen von Deutschland natürlich — für die Borussia aufgelaufen sind, ist gar nicht so lange her. Am 5. März 2011 stellte Favre beim 2:0 gegen die TSG Hoffenheim die drei Belgier Logan Bailly, Filip Daems und Igor de Camargo auf.
  • 7. Nur die 9 fehlt
  • Andreas Christensen kommt aus einem anderen Land, das die Borussia geprägt hat. Er ist der 16. Däne, damit liegen die Skandinavier weit vor den Belgiern, von denen bislang zehn für Gladbach gespielt haben. Christensen agierte so souverän, dass es nicht verwunderlich erscheint, dass man aus einer Dänemark-Flagge problemlos eine Österreich-Flagge nähen kann. Von oben sah es aus, als sei eine 9 hinter seiner 3 auf dem Trikot vergessen worden. So sehr erinnerten Abgeklärtheit, Spielaufbau, Statur und Körperhaltung an Martin Stranzl. Christensen ist übrigens 16 Jahre jünger als der Innenverteidiger, den er zur Zufriedenheit aller ersetzte. 2030 könnte man ihn noch bei einer WM beobachten, die bisher nicht einmal verkauft ist.
  • 8. Alte Kamellen
  • Natürlich konnte die Borussia nicht ans Millerntor zurückkehren, ohne dass der 12. Februar 2011 thematisiert wurde. Nun saß damals nicht nur ein anderer Trainer auf der Bank, es stand auch eine völlig andere Mannschaft auf dem Platz. Christofer Heimeroth, Havard Nordtveit, Martin Stranzl und Patrick Herrmann sind zwar immerhin noch im Verein, fehlten aber aus diversen Gründen am Montag in der Startelf. Nicht nur sportlich hätte die Elf von damals heute keine Perspektive, sie wäre inzwischen auch viel zu alt. 30,4 Jahre im Schnitt — das wäre Vereinsrekord.
  • 9. 54., 56., 67., 86.
  • Vier Tore in einer Halbzeit haben Seltenheitswert bei der Borussia. Erst zum dritten Mal nach dem 7:0 gegen den FK Sarajevo und dem 5:0 gegen Apollon Limassol gelang dieses Kunststück unter Favre. Was deutsche Gegner angeht, muss man fast fünf Jahre zurückgehen. Im November 2010 drehten Raul Bobadilla und Co. im Derby gegen den 1. FC Köln nach der Pause auf und machten aus einem 0:0 ein 4:0.
FC St. Pauli - Borussia Mönchengladbach: Einzelkritik
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St. Pauli - Borussia
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  • 10. Neureuther lost aus
  • Seit der Eröffnung des Borussia-Parks vor elf Jahren hat Gladbach erst vier Pokalspiele im neuen Stadion absolviert. 24 der 28 letzten Begegnungen fanden auswärts statt, seit dem Halbfinale 2012 gegen den FC Bayern sind es schon wieder acht in Folge. Länger warten von allen Bundesligisten nur der 1. FC Köln (zwölf Spiele), Werder Bremen (neun, davon ein Endspiel in Berlin) und der FC Ingolstadt (ebenfalls neun). Wenn Lose Gerechtigkeit kennen, wären zuerst also die Kölner dran. Wenn Lose Humor haben, schicken sie dem FC in der 2. Runde die Borussia zum Derby vorbei. Ski-Star Felix Neureuther hat es am Freitag nach dem Saisoneröffnungsspiel der Bundesliga in den Händen.
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