Borussias Talente-Trainer Addo "Es ist wichtig für einen Profi, cool zu sein"

Mönchengladbach · Bei Borussia Dortmund war Otto Addo als Spieler Kult. Heute kümmert sich der 42-Jährige um Gladbachs Top-Talente. Im Interview spricht Addo über seine Methodik, Coolness vor dem Tor und das Borussia-Duell.

 Otto Addo auf dem Trainingsplatz.

Otto Addo auf dem Trainingsplatz.

Foto: Imago

Nach so langer Zeit — ist Borussia Dortmund für Sie immer noch ein besonderer Gegner?

Addo Ja klar. ich war sechs Jahre da, von daher ist noch eine gewisse Nähe da.

Dortmund ist wie Gladbach ein Verein, der auf junge Spieler setzt. Gibt es trotzdem große Unterschiede?

Addo Von der Historie ist es etwas anders. Dortmund ist Champions-League-Sieger und mehrfach Deutscher Meister geworden, auch in letzter Zeit. Von daher kommt in der Wahrnehmung nach Bayern schon Borussia Dortmund. Gladbach ist ein aufstrebender Verein, der gerade in den letzten zehn Jahren für Furore gesorgt hat und gute Leistungen gezeigt hat. Gladbach ist noch am Anfang einer Entwicklung, von der wir hoffen, dass sie positiv weitergeht.

Der Ansatz, auf junge Spieler zu setzen, ist aber bei beiden vergleichbar?

Addo Das ist er, wobei man sagen muss, dass Dortmund ganz andere finanzielle Möglichkeiten hat. Wir müssen einen anderen Weg gehen, noch genauer gucken und für relativ wenig Geld große Talente nach Gladbach lotsen. Wie Michael Cuisance, der trotz seiner Jugend schon ein Spieler ist, der der Mannschaft weiterhelfen kann.

Sportdirektor Max Eberl sagt, es sei der einzige Weg für Borussia, junge Spieler zu holen und auszubilden. Sie sind extra als Übergangstrainer geholt worden. Das heißt, dass Sie einen der wichtigsten Jobs haben — Sie müssen den Nachwuchs entwickeln.

Addo Ich glaube, generell ist jeder Job im Klub so wichtig. Es geht um die kleinen Details. Selbst wenn es jemand ist, der beim Sicherheitsdienst arbeitet oder bei der Reinigung — jeder Job ist wichtig und sollte mit allem, was man hat, ausgeführt werden. Mein Job ist da auch nur ein Mosaikstein von ganz vielen.

Übergangstrainer klingt sehr technokratisch. Was machen Sie genau?

Addo Der Fußball entwickelt sich weiter, die Spieler werden immer jünger und sammeln schon in jungen Jahren Erfahrungen und Einsätze in Bundesligavereinen. Die Schwierigkeit ist, die Jungs relativ schnell auf ein hohes Level zu bringen. Ich habe es auch in Dänemark lange gemacht, dass ich mit den Jungs extra gearbeitet habe. Ein- bis zweimal pro Woche, je nach Möglichkeit. Man muss auf die Belastungssteuerung achten. Dazu muss man Videos individuell analysieren. Der Trainer macht das große Taktische, ich gehe dann noch mal auf den Spieler direkt ein. Klar gibt es heutzutage die Möglichkeit, alle Szenen geschnitten zu sehen. Meine Szenen sind auch häufig solche, die ohne Ball sind. Da interessiert mich: Wie ist der Spieler positioniert, was kann er verbessern, wie sind die Laufwege, wie ist sein Defensivverhalten auch ohne Ball, wie kann er Situationen besser lösen?

Und wie vermitteln Sie das?

Addo Ich zeige den Jungs die Bilder und versuche, die Szenen auf dem Trainingsplatz nachzustellen. Da soll der Spieler gewisse Entscheidungen in Situationen treffen, die er dann hoffentlich wiedererkennt. Es geht um Wiederholung, aber auch um Entscheidungen. Im Fußball ist die richtige Entscheidung im richtigen Moment wichtig. Nicht nur im Offensiv-, sondern auch im Defensivverhalten. Wie ist die Körperstellung, was kann ich verbessern? Und das geht halt nur über Erfahrungen. Ein Spieler, der eine gewisse Situation häufiger erlebt hat, kann natürlich besser damit umgehen.

Haben Sie ein Archiv für Ihre Talente angelegt, aus dem Sie sich bedienen?

Addo Am Anfang der Saison gebe ich den Trainern Stärken- und Schwächen-Profile und lasse meine eigene Meinung mit einfließen. Wir bewerten den Spieler und gucken, wo können wir was verbessern, was können wir trainieren, was braucht der Spieler am meisten? Dann ist positionsspezifisches Training wichtig. Ganz simpel: Dass zum Beispiel Mika Cuisance lernt, sich zwischen den Linien anzubieten. Dass er lernt, offen zu stehen und den numerischen Vorteil, den wir vielleicht dadurch haben, dass er zwischen den Linien steht, zu nutzen, indem er den Ball mit nach vorne nimmt und nicht wieder zurück zwischen die Viererkette des Gegners im Mittelfeld. Dazu gehört, dass sich ein Spieler orientieren muss. Je besser er sich positioniert, desto mehr sieht er. Dann kann er reagieren und hat das Spiel immer vor sich. Ganz simpel ist auch Wiederholungstraining. Für Stürmer zum Beispiel, aus Situationen, wie sie im Spiel passieren können, im Training aufs Tor zu schießen. Wenn man da in der Woche 100 Bälle mehr schießt, sind das im Monat 400 mehr und im Jahr 4800.

Ist das nur sportliches Training oder auch das Ganze drumherum?

Addo Das Sportliche ist ein Part, der andere ist, dass ich versuche, eine gewisse Nähe zu den Spielern zu bekommen. Ich habe aus eigener Erfahrung, aber auch als Trainer in der Jugend, gemerkt: Man kann die besten Ideen haben, aber wenn ein Spieler einen nicht mag, dann hört er weniger zu. Aber wenn er einen mag und versteht, dass jede Art von Kritik da ist, um den Spieler weiterzubringen, dann hört er besser zu und setzt Sachen auch besser um. Generell hat es viel mit Sympathie zu tun, wie man Sachen annimmt.

Michael Cuisance hatte vor zwei Wochen einen Autounfall. Ist das auch eine Situation, wo es auf Sie ankommt?

Addo Weil ich generell mit ihm über private Sachen rede, rede ich mit ihm auch über so etwas.

Aber Sie sind nicht der, zu dem die Spieler kommen, wenn die Freundin Schluss gemacht hat?

Addo Das gibt es auch. Das ist typbedingt. Der ein oder andere erzählt mehr von sich, der andere nicht. Ich bin kein Psychologe, aber ich weiß, wie man sich fühlt als Spieler. Der eine hat mehr Redebedarf und sucht mehr die Nähe, den anderen muss man vielleicht mehr in Ruhe lassen und vielleicht nur ab und zu treffen. Das ist verschieden. Ich versuche, da reinzuhorchen. Meistens ist es so, dass die Spieler, die nicht so oft spielen, etwas mehr Zuspruch und Aufmerksamkeit brauchen. Deswegen ist mir wichtig, dass ich dabei bin, wenn wir Spieler von der Ersten zur Zweiten Mannschaft schicken. Und wenn die Spiele zeitgleich wären, wäre ich eher bei der U 23, um den Spieler zu unterstützen und ihn richtig einzustimmen. Ich gucke mir aber natürlich auch die Spiele der U 19 und U 17 an, um da auf dem neuesten Stand zu bleiben und unsere Top-Talente zu begleiten.

Ist es dann der größte Erfolg, wenn in einem wichtigen Spiel zwei 18-Jährige wichtige Positionen in der Startelf besetzen, wie im DFB-Pokal gegen Leverkusen mit Reece Oxford und Michael Cuisance?

Addo Ja, absolut, das freut mich. Wobei es schwierig ist, das zu bemessen, weil auch viele verletzt waren. Der Erfolg ist aber nicht, dass sie auf dem Platz stehen, sondern dass sie, obwohl sie jung sind, ein gutes Spiel abliefern. Das geht natürlich nur durch ihr Talent, aber auch durch gutes Training, Bereitsein in der Situation. Gerade für Reece war das nicht einfach: Er hatte die ganze Zeit gar nicht gespielt und musste dann von einem Moment auf den anderen einfach da sein und funktionieren. Das ist für mich unglücklich gelaufen, weil er eigentlich ein gutes Spiel gemacht hat, aber dann einen kleinen Fehler macht, der zum Gegentor führt. Daraus muss er lernen. Man hat aber gesehen, dass er das Potenzial hat, sich in der Bundesliga zu etablieren.

Aktuell hat Borussia eine, wie Trainer Dieter Hecking sagt, "schwierige Situation". Ist das auch für Ihre Arbeit schwieriger oder gar einfacher?

Adoo Es ist schwieriger, wenn es nicht so gut läuft, alle hätten es lieber, wenn es besser läuft. Man hinterfragt auch alles. Aber für mich persönlich macht das bei der Arbeit keinen Unterschied.

Und wie ist es für die Spieler?

Addo Jede negative Sache hat eine positive Seite. Die negative Sache, dass wir viele Verletzte haben, hat die positive Seite, dass viele junge Spieler eine Einsatzchance bekommen. Auf der anderen Seite heißt das: Ich kann nicht ganz so viel mit ihnen trainieren, weil sie vielleicht mehr spielen, was aber wiederum gut ist, weil ich dann mit ihnen auch die Bundesligaspiele analysieren kann und das auf höchstem Niveau. Die besten Erfahrungen, die ein Spieler machen kann, sind natürlich Spiele.

Hätten Sie als junger Spieler gerne einen Otto Addo an Ihrer Seite gehabt?

Addo Ich glaube, dass ich schon relativ weit war, schon in jungen Jahren, mit bestimmten Situationen umzugehen, und mir schon relativ klar war, dass es nicht um mich geht, sondern um die Mannschaft. Natürlich hatte ich auch Ideen, wie ich spielen will, aber das ist uninteressant. Interessant ist, was der Trainer will und dass ich das umsetze. Das habe ich relativ früh verstanden. Deshalb habe ich es vielleicht auch geschafft, Profi zu werden. Ich hatte in der Jugend Spieler, die teilweise besser waren, es aber nicht geschafft haben, nur weil sie bestimmte Sachen nicht verstanden haben. Die wollten dann ihren Fußball spielen und haben nicht verstanden, dass sie sich anpassen müssen und erkennen, was der Trainer will.

Wo kam bei Ihnen dieses frühe Verständnis her, dass Sie wussten, Sie mussten sich anpassen?

Addo Bei mir war es eine gewisse Erziehungssache, aber vielleicht auch nochmal besonders, weil ich und meine Zwillingsschwester die einzigen Schwarzen an der Schule waren. Da musste ich mich immer extrem anpassen. Ich bin in Hamburg geboren und aufgewachsen, aber die Kultur meiner Eltern ist natürlich eine andere. Meine Mutter hat mir immer beigebracht: Guck, dass du dich anpasst, dass du dich integrierst, dass du lernst. Ich musste teilweise häufiger mehr machen als andere. Daher kommt das, glaube ich. Ich bin damit groß geworden, das ist eine Erziehungssache.

Der familiäre Hintergrund spielt also eine Rolle, wie man als Spieler ist. Ist es Ihnen darum wichtig, die Hintergründe Ihrer Talente zu kennen?

Addo Absolut. Interessant ist immer die Geschichte dahinter. Wenn ich weiß, was ein Spieler in der Jugend durchgemacht hat, kann ich ihn besser verstehen. Wichtig ist, den Spielern die Wertschätzung zu geben, aber auch zu gucken. Was für ein Potenzial ist da, das man vielleicht noch korrigieren kann? Warum ist der Spieler so, warum denkt er so? Da muss man bestimmte Sachen implementieren. Das ist immer ein Prozess, aber die Geschichte dahinter ist für mich sehr, sehr wichtig. Warum ist der Junge nicht härter oder sehr hart, warum ist er so impulsiv? Und dann versucht man, das ein Stückweit aufzuarbeiten, ob auf oder neben dem Platz, damit man das ein wenig reguliert.

Heißt, Sie müssen sich auf ganz unterschiedliche Charaktere einstellen?

Addo Man muss als Trainer generell die Bereitschaft haben, helfen zu wollen. Das ist zum Beispiel eine Sache, die ich an Dieter Hecking sehr, sehr schätze. Wenn diese Basis da ist, dass ein Spieler das Gefühl hat, er kann zu einem kommen, egal, was er hat, und ihm wird geholfen, dann ist das schon einmal gut.

Dieter Hecking hat mal erzählt, Sie waren früher in Hannover Kabinen-DJ. Was ist da dran?

Addo Das stimmt nicht ganz. Es war eher Gerald Asamoah, aber natürlich haben wir in der Kabine für Stimmung gesorgt. Es war vorher in der Regel eher so, dass vor dem Spiel in der Kabine Ruhe und Konzentration herrschte. Wir haben dann eine Anlage gehabt, und da wurde Musik reingeschmissen. Das war natürlich etwas Neues, gerade für die älteren Spieler. Heutzutage hat sich das aber auch geändert.

Wie wichtig sind solche Kabinengeschichten für junge Spieler?

Addo Es geht generell um Zusammenhalt und Spaß. Man darf nie vergessen: Es ist ein Sport und ein Privileg, für dieses Hobby auch noch Geld zu bekommen. Man muss einfach Freude haben, wenn man jeden Tag zur Arbeit geht, sonst ist es schwierig.

Wenn Dortmund jetzt kommt, ist es der klare Favorit nach dem 6:1 im Hinspiel?

Addo Ich sehe es eigentlich ausgeglichen und Dortmund aktuell nicht so als Favoriten. Die Dortmunder haben eine gute Serie hingelegt mit Trainer Peter Stöger, aber in Köln hätten sie auch verlieren können. Das ist keine Übermannschaft, wo ich sage: Die sind jetzt haushoher Favorit und wir der Underdog.

Wie erklären Sie Ihren jungen Spielern die aktuelle Situation? Sagen Sie: Wir sind in einer Krise?

Addo Nein. Natürlich ist Fußball ein Ergebnissport, aber ich sehe es nicht als Krise. Ich würde es so sehen, wenn wir wirklich keine Torchancen mehr herausspielen würden oder chancenlos wären. Es sind Details, die den Unterschied machen. Wir müssen natürlich effektiver werden, aber wenn wir das schaffen, dann geht es auch ganz schnell in eine andere Richtung. Wir spielen guten Fußball, müssen weiter an uns glauben, weiter Gas geben und konsequenter im Abschluss sein. Das trainieren wir aber auch. Und ich bin mir sicher, dass es ein Prozess ist und die Jungs dabei reifen. Auch unsere Stammkräfte, die noch relativ jung sind, werden dazulernen, ob das ein Denis Zakaria oder ein Nico Elvedi ist. Manchmal ist es auch nur eine bessere Ballmitnahme, die zu einer Torchance führt, wie bei Nico in Stuttgart. Man vergisst aber manchmal, dass die Jungs auch erst 20, 21 Jahre alt sind.

Um effektiver zu werden — könnten 100 Schüsse mehr in der Woche dafür nicht entscheidend sein?

Addo Man muss natürlich gucken: Wie oft macht man mehr? Es ist einfacher für mich, mit Spielern zu arbeiten, die 90 Minuten auf der Bank gesessen haben, weil die nicht regenerieren müssen.

Wie haben Sie das früher gemacht, wenn Sie Torkrisen hatten?

Addo Also, wenn ich eine Sache nicht konnte, war das Toreschießen (lacht). Ich war schnell, hatte eine sehr gute Ausdauer, konnte sehr gut dribbeln — aber vor dem Tor war ich. . . naja. Ich habe das irgendwann im Alter dann gelernt.

Was ist das Entscheidende dabei?

Addo Am Ende ist es immer Training. Training und Wiederholung. Generell ist eine wichtige Voraussetzung für einen Profi, cool zu sein und mit der Situation umgehen zu können. Das haben die Jungs aber. Da gibt es keinen in der Mannschaft, der sich irgendwo versteckt oder den Ball nicht haben will. Die Jungs sind da schon selbstbewusst und das ist gut, sonst wären sie auch nicht bei Borussia.

Man denkt vor dem Tor nicht an das letzte Mal, wo man verschossen hat?

Addo Die Generation heute ist anders. Ich war jemand, der sich da noch richtig Gedanken gemacht hat und am liebsten eine Woche nicht in die Kabine gekommen wäre, wenn ich eine Riesenchance vertan habe. Heute ist das anders, und das ist auch viel, viel besser so. Ein Toto Hazard verschießt einen Elfmeter, und der geht nächstes Mal wieder hin. Das ist eine sehr gute Eigenschaft. Wenn man sich zu viele Gedanken macht, ist es programmiert, dass man wieder verschießt.

Am Ende hat Coolness damit zu tun, dass man sich möglichst wenig Gedanken vor dem Tor macht?

Addo Genau. Und dass man positiv bleibt und denkt.

Positiv denken — wie spielt Gladbach gegen Dortmund?

Addo Ich glaube, wir gewinnen 2:0. Hazard und Lars Stindl treffen.

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