Borussia Mönchengladbach Max Eberl: Vordenker der neuen Zeit

Mönchengladbach · Ein "Wutloch" gibt es im Büro von Max Eberl nicht. Das gab es früher, in seinem Kinderzimmer in der elterlichen Wohnung in München. Eberl war immer ehrgeizig. Wenn etwas nicht klappte, konnte er schon mal wütend werden. Einmal hat er in Rage ein Loch in die Wand geschlagen. Das war einer der Momente, in denen seine Mutter ihn "Maximilian" rief.

Max Eberl: Seine Karriere in Gladbach, Leipzig und München
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Das ist Max Eberl

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Foto: dpa/Uwe Anspach

"Maximilian" gab es nur, wenn es ernst wurde, erzählte Maria Eberl mal. Ehrgeizig ist ihr Filius noch heute. Und wenn es auch kein Wutloch in seinem Büro im Borussia-Park gibt, sagt sein Arbeitsplatz viel über Eberl. "Ich würde schon sagen, dass ich mich in meinem Büro wiederfinde", gesteht er.

Strukturiert und klar geordnet ist das Büro. Wie Eberl. Allein die Tatsache, dass der adrett aufgeräumte Schreibtisch nicht nach viel Arbeit ausschaut, passt nicht. Denn ein Arbeiter war Eberl stets. Wenn er aus den großen Fenstern schaut, sieht er viel von der Borussen-Welt: Links das Trainingsgelände der Profis, dahinter das Gebäude, in dem die Jugend ihren Platz hat, links der Fohlenplatz, auf dem der Nachwuchs seine Spiele austrägt.

"Wir haben hier etwas aufgebaut", sagt Eberl. Er hat seinen Teil dazu beigetragen und will es auch weiter tun. Am Donnerstag wurde sein Vertag bis 2020 verlängert. Dann wird er 15 Jahre als Funktionäre bei Borussia tätig sein. 2005 machte ihn der damalige Manager Christian Hochstätter zum Amateur- und Nachwuchsdirektor, seit Oktober 2008 ist Eberl Sportdirektor. Das war es, was er sich für die Zeit nach der Karriere vorgestellt hatte. Darum hat er neben dem Fußball Sportmanagement studiert.

Auf dem flachen Schrank hinter Eberl stehen Bücher. Unter anderem das lesenswerte Werk von Jorgé Valdano, dem argentinischen Weltmeister von 1986, der sehr kluge Dinge über den Fußball geschrieben hat. Es ist viel Romantisches dabei, vor allem aber viel Wahrheit. Max Eberl hat für sich das Wesentliche extrahiert. Valdano mahnt, das Spiel einer Mannschaft müsse einen Stil haben, etwas, das Wiederkennungswert hat. "Der Stil ist wichtig, um die gesteckten Ziele zu erreichen", sagte Eberl im Juli 2009, neun Monate nachdem er den Job als Sportdirektor angetreten hatte. Gladbach war gerade soeben dem erneuten Abstieg entronnen. Eberl machte sich daran, einen Stil für Borussia zu entwerfen.

Seine Grundfragen waren: 1. Wie kann ich Erfolg haben? 2. Was muss ich dafür ändern? 3. Wie können/wollen wir Fußball spielen? 4. Welcher Spieler muss auf welcher Position was können? Zuvor gab es die Antworten immer von den Trainern, und die wechselten zwischen 1999 und 2009 oft. Zehn Trainer gab es in zehn Jahren, Eberl war der vierte Sportdirektor und die Spielerfluktuation kam einer Völkerwanderung gleich. Wirtschaftlich hatten die Bosse eine klare Linie, sportlich waren sie auf der Suche danach. Mit leidlichem Erfolg. Weil es keinen Roten Faden gab, sondern immer wieder neue Wege. Meist Sackgassen.

Eberl war zu diesem Zeitpunkt seit neun Jahren Borusse. 1999 hatte ihn Rainer Bonhof, der damals Trainer war und heute Vize-Präsident ist, geholt, als Kämpfer für den Abstiegskampf. Eberl kam von der Spielvereinigung Greuther Fürth. Dorthin war er quasi geflüchtet, weil er beim VfL Bochum keine Perspektive mehr sah. Die Zeit im "Pott" war gleichwohl wichtig für ihn. Weniger sportlich, denn er war oft verletzt. Aber privat. Denn in Bochum lernte er seine Frau Simone kennen. "Alles im Leben ist für etwas gut", sagt Eberl. Auch die wenig erquickliche Zeit in Bochum und Fürth. Wäre es vielleicht besser dort gelaufen, oder hätte der Deal mit dem FC Toulouse geklappt, den sein Berater Fritz Bischof damals anbahnte, der aber scheiterte, wäre er vielleicht nie bei Borussia gelandet.

Gladbach war zwar immer sein Verein neben dem FC Bayern, bei dem seine Profikarriere begann. Doch war Gladbach am platten Niederrhein für Eberl, der das Skifahren liebt, bis zu jenem Anruf von Bonhof, seinem ehemaligen U20-Trainer beim DFB, keine Denkoption. 16 Jahre später ist Borussia ein beherrschender Teil seines Lebens geworden. Der Bayer, geboren in niederbayerischen Bogen, ist im Rheinland heimisch geworden. Und Eberl ist ein wichtiger Mann im Klub. Er ist der Vordenker der neuen Zeit geworden. Er hat für Borussia eine sportliche Identität entworfen, die zum Verein passt. Zu dem Verein, den er als Profi in dessen schlimmster Zeit erlebte. Doch schon der Spieler Eberl spürte, welches Potenzial in diesem Klub steckt, wie viel Emotion.

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Er sah, wie Abstiege beweint wurden, aber auch wie Abertausende auf dem Alten Markt Aufstiege feierten, als wäre Borussia zum sechsten Mal Deutscher Meister geworden. Er erlebte den Umzug vom alten Bökelberg in die neue Welt des Borussia-Parks mit. Und er wusste, welche Möglichkeiten diese neue Welt bot. Und, dass die Geschichte des Vereins, die lange eine große Last war, die die Gegenwart erdrückte, weil sie zu schön und zu gewaltig war, auch hilfreich sein kann — wenn man sie richtig nutzt. Die Fohlen-Idee der großen 70er musste in die Jetztzeit übersetzt werden. "Natürlich berufen wir uns auf die Werte der Vergangenheit. Aber nicht nur. Der Staub sollte von den alten Fotoalben der 70er Jahre", sagt Eberl.

Als Nachwuchsdirektor "übte" er seinen späteren Job. Und zwar dort, wo in seinen Augen der Ursprung der Zukunft des Klubs liegt: in der Jugend. Gegenüber seinem Schreibtisch hängt die von ihm in dieser Zeit entwickelte "Tugendraute". Werte sind Eberl wichtig, das haben ihm seine Eltern beigebracht, und er hat erfahren, dass klar definierte Werte hilfreich sind, wenn es um Strukturen geht. Werte sind ein Stück Zuverlässigkeit. Zu seinem persönlichen Wertesystem gehört, dass Worte Gewicht haben. Das, was er Spielern verspricht, soll auch eintreffen. Meistens ist es so. Das macht Borussia attraktiv, vor allem für Talente. Viele haben den Sprung ins Bundesligateam geschafft. Und viele hat Borussia auch selbst produziert.

Der Nachwuchsdirektor Eberl schaute sich die Akademien von Ajax Amsterdam, des PSV Eindhoven, des FC Barcelona, von Hertha BSC und des FC Bayern an. Er filterte heraus, war nützlich sein könnte und machte daraus und aus seinen eigenen Ansätzen den neuen Weg für Borussia. Eberl weiß allerdings, dass der Erfolg nur mit Teamarbeit geht. Hans Meyer, der Trainer, der ihm viel gegeben hat, sagte mal: "Es kann auf dem Platz nicht nur Häuptlinge geben, es muss auch Indianer geben." Der Fußballer Eberl war stets ein Indianer. Einer, der alles, was er hatte, in den Dienst der Mannschaft stellte. Darum gefällt ihm auch der Titel, den das Buch trägt, das Andreas Bach über ihn geschrieben hat: "Max Eberl. Ein Indianer vom Niederrhein." "Das gilt heute wie damals", sagt Eberl. Obwohl er inzwischen zu den Häuptlingen im Klub gehört.

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Dass es ein Buch über ihn gibt, macht Eberl stolz. "Borussia hat viele große Namen in ihrer Geschichte hervorgebracht. Und dass ich dann ausgewählt werde für ein solches Projekt, das ist bemerkenswert", sagt Eberl. Das Buch endet mit dem Ende seiner Profilaufbahn, die 14 Jahre dauerte. Die Fakten dazu: 104 Bundesligaspiele, 111 Zweitligaspiele, zwei Rote Karten, 69 Gelbe Karten, null Tore. Wenn die Rede ist von der Null in der Torbilanz, zeigt sich der Humor des Max Eberl. Der enthält einen Gutteil Selbstironie. Das ist eine Stärke. Weil man um seine Schwächen weiß, zu ihnen steht und auch weiß, wie man damit umzugehen hat. "Wenn ich damals, 2001, im letzten Spiel vor dem Aufstieg, den Elfmeter gegen Chemnitz verwandelt hätte, hätte ich ja meine Bilanz kaputt gemacht. Kein Tor klingt besser als ein Tor", sagt Eberl und grinst.

Auch die Null-Tore-Geschichte trug während seiner Zeit als Profi dazu bei, dass er einen gewissen Kultstatus hatte. Sogar ein Max-Eberl-Fanklub wurde gegründet. Auch darauf ist Eberl stolz. Er weiß, dass er sich all das mit harter, seriöser Arbeit verdient hat. Und er weiß, dass er gut daran tut, auch als Manager so zu sein. Als er seinen ersten Arbeitstag als Jugenddirektor hatte und zum ersten Mal die Mitarbeiter der Nachwuchsabteilung um sich versammelte, "sah ich in den Augen: Ach, wieder so ein Jungspund, der Profi war, und uns jetzt den Fußball erklären will". Eberls Antwort: "Ich wusste, dass ich die Leute nur mit guter Arbeit überzeugen kann." Borussias Jugendzentrum ist seit Jahren mit drei Sternen zertifiziert.

Für Eberl war der Wechsel vom Profi-Dasein ins "normale" Berufsleben ein großer Einschnitt. Und auch für seine Familie. "Als Profi arbeitet man hart, aber man hat viel Freizeit. Nach sechs, sieben Wochen als Jugenddirektor fragte mich Simone, ob wir uns nicht mal wieder am Nachmittag sehen könnten. Wir alle mussten uns umstellen", erzählt Eberl. Er brauchte ein neues Zeitmanagement. "Es ist gut gelungen", sagt er. Seine Familie ist immer dabei, wenn er arbeitet. Es gibt in Eberls Büro viele Bilder seines Sohnes Max. Und ein kurioses Stück, das ihm Simone geschenkt hat, wobei weniger das Objekt kurios ist, als vielmehr die Geschichte zu dem Globus, der rechts auf dem Schrank steht. "Sie hat mir zunächst eine Blume hingestellt. Aber die war nach drei Wochen vertrocknet. Dann kam der Globus. Er ist mein Pflanzenersatz", sagt Eberl. Borussias Manager hat also keinen grünen Daumen. Dafür hat er aber ein gutes Händchen für Transfers.

Die Fußball-Fachblätter "Kicker" und "Elf Freunde" wählten Eberl zum besten Manager der vergangenen Saison. Bei Transfers ist Eberl am liebsten schnell. "Darum ist es wichtig, gut vorbereitet zu sein", sagt er. Er will, dass der Kader in großen Teilen steht, wenn die Vorbereitung beginnt, damit der Trainer von Anfang an gut arbeiten kann. Sein bislang wichtigster Transfer war indes der Trainer, der sich gerade verabschiedet hat: Lucien Favre. Der Schweizer passte zu Borussias Ansatz, er arbeitet gern mit jungen Spielern, er entwickelt gern und er stand für Erfolg. Nun muss Eberl einen Nachfolger suchen. Er hat sich Zeit verschafft mit der Interimslösung André Schubert, der zuvor U23-Trainer war. Favre, sagte Eberl am Montag, sei der perfekte Trainer für Borussia gewesen. Nun muss er einen neuen perfekten Trainer suchen. Er ist eine der größten Herausforderungen seiner Amtszeit.

Die Saison 2010/2011 war die schwerste Zeit für den Manager Eberl. Er stand im Zentrum der Kritik. Es gab eine Opposition, die ihn weghaben wollte, es gab böse Anfeindungen in den sozialen Netzwerken. Eberls Problem war, dass er nicht populistisch auf den schnellen Erfolg setzte, sondern etwas Nachhaltiges aufbauen wollte. Doch Konzepte wie das seine greifen nicht von Jetzt auf Nun, und damals blieben die Ergebnisse aus. "Der größte Schaden wird durch die Fixierung auf Resultate ausgelöst", heißt es bei Jorge Valdano. Eberl nickt, wenn er diesen Satz hört.

Doch trotz aller Stürme blieb er sich treu. Er hat viel gelernt in jenen schweren Tagen: den Umgang mit der Öffentlichkeit, Krisenkommunikation, vor allem: Ruhe zu bewahren. Er gab dem damaligen Trainer Michael Frontzeck Zeit, trotz der mangelhaften Bilanz. So lange, bis er spürte, dass es nicht mehr ging, dass Frontzeck, mit dem er einst in Gladbach noch zusammenspielte, nicht mehr der sein würde, der den Absturz abwenden kann. Er stand nun auch zu Lucien Favre, als es nicht lief. Und er hat versucht, dem Schweizer den Rücktritt auszureden. Ohne Erfolg. Nun geht Borussia am kommenden Mittwoch mit André Schubert in das erste Champions-League-Heimspiel der Vereinsgeschichte.

Eberl hat viel Applaus für die Teilnahme an der europäischen Meisterliga bekommen bei der Mitgliederversammlung Ende April. Er weiß, dass einige, die an diesem Tag geklatscht haben, ihn 2011 zum Teufel gewünscht haben. Doch er weiß, dass diese Janusköpfigkeit im Fußball dazugehört, "leider". Darum hat er den Moment genossen. Doch auch im Erfolg bleibt sich Eberl treu. Er hat erneut dafür geworben, realistisch zu bleiben. Im Misserfolg wie jetzt, wo er nicht alles infrage stellt. Und im Erfolg. In der vergangenen Saison ist alles perfekt gelaufen, doch schon ein bisschen weniger perfekt kann bedeuten, nicht mehr ganz weit oben dabei zu sein. Die ersten Wochen der Saison haben das bösartig unterstrichen.

Er weiß, dass viele Gladbach-Fans verstehen, wie wichtig es ist, realistisch zu sein. Borussias Manager hat zuletzt Post bekommen. Ein Fan hat einen Wimpel gebastelt, auf dem steht: "Rückrundenmeister 2015". Eberl hat sich darüber gefreut. "Es gibt ja keine offizielle Auszeichnung für eine gute Rückrunde", sagt er. Im Jahr zuvor bekam er sogar einen Oscar. Die kleine Statue auf seiner Fensterbank erinnert an den sechsten Platz, der die zweite Teilnahme an der Europa League ermöglichte. Ein anderes Erinnerungsstück ist der Ball vom ersten Champions-League-Play-off 2012 gegen Dynamo Kiew. Das war ein Jahr nach der Relegationsrettung ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg nach oben. Und da ist noch die erste Autogrammkarte des Fußballers Max Eberl. Er hat sie an die Magnettafel hinter seinem Schreibtisch geheftet. "Ich glaube, ich habe mich nicht viel verändert seitdem, ich bin immer der Max Eberl geblieben, der ich früher war", sagt Eberl. Nur "Wutlöcher" gibt es nicht mehr in seinem Leben.

Natürlich gibt es Momente, in denen er aus der Haut fährt, doch nur verbal. Nur Harmonie ist nicht hilfreich, auch das hat er gelernt. "Man wird halt reifer", sagt er. Doch ehrgeizig wird er immer bleiben. Der Pfeil auf dem Schaubild in Eberls Büro, das die vergangenen Spielzeiten zusammenfasst, zeigt nach oben. Derzeit läuft es gegen den Trend der vergangenen Jahre. Das soll sich wieder ändern, der 4:2-Sieg gegen Augsburg war ein erster Schritt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

"Dieser Sieg ist psychologisch sehr wichtig, weil wir gezeigt haben, dass wir mit unseren Qualitäten immer die Möglichkeit haben, Spiele zu gewinnen. Nichtsdestotrotz wartet bereits am Samstag die nächste schwierige Aufgabe auf uns. Wir wollen jetzt in Stuttgart nachlegen", sagte Eberl. Er selbst legte vor mit seiner Vertragsverlängerung.

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