Borussia Mönchengladbach Eberl: "Bayern ernten Talente, bevor sie reif sind"

Mönchengladbach · Im zweiten Teil des großen Interviews erklärt Borussias Sportdirektor Max Eberl, warum Bilal Sezer und Marlon Ritter jetzt Profiverträge bis 2017 bekommen haben und erklärt, wie wichtig Eigengewächse für den Klub sind, er spricht über die neue Nachwuchsoffensive des FC Bayern und sagt, warum das Spiel gegen den FC Sevilla ein Highlight ist und er Extreme im Fußball nicht mag.

Max Eberl: Seine Karriere in Gladbach, Leipzig und München
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Das ist Max Eberl

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Foto: dpa/Uwe Anspach

Herr Eberl, zur neuen Saison wird auf jeden Fall ein Sechser gesucht, der Christoph Kramer ersetzen soll. Gibt es ein Anforderungsprofil?

Max Eberl Wir versuchen, für den Sommer unseren Kader wieder neu zu justieren, wenn Chris geht. Aber wir haben in Mo Dahoud ein herausragendes Talent auf der Position, der in der Rückrunde hoffentlich verletzungsfrei bleibt. Wir werden sehen, wie er sich entwickelt. Und wir haben ja noch andere Talente für die Position wie Marvin Schulz, Bilal Sezer oder Nico Brandenburg.

Sezer und Marlon Ritter haben jetzt langfristig Profiverträge bekommen. Dahoud und Marvin Schulz haben im Sommer langfristig unterschrieben. Das heißt, Sie glauben an die Talente.

Eberl Bilal und Marlon gehören zu den Leistungsträgern unserer U23, die in der Regionalliga eine sehr gute Rolle spielt. Beiden trauen wir den Sprung in die Bundesliga zu, genau wie Marvin Schulz und Mo Dahoud. Wir verfolgen weiter konsequent das Prinzip der Durchlässigkeit vom Nachwuchs zu den Profis. Seit wir im Juli 2004 in den Borussia-Park umgezogen sind, haben 20 Talente aus unserer eigenen Jugend den Sprung in die Bundesliga geschafft. Das sind im Schnitt zwei pro Jahr und darauf sind wir sehr stolz.

In der Rückrunde wird es auch um Ergebnisse gehen, unter anderem in der Europa League gegen Sevilla...

Eberl ...was für uns ein großes Highlight ist, wenn ich an der Stelle einhaken darf. Wir treffen auf einen der Topklubs aus Europa, nämlich den aktuellen Titelverteidiger. Früher haben wir solche Klubs, auch Sevilla, zu Vorbereitungsspielen zu uns eingeladen, heute messen wir uns mit ihnen in Europa. Das ist eine ganz große Herausforderung. Wir haben es geschafft, dass Borussia zum ersten Mal seit 28 Jahren wieder in drei Wettbewerben überwintert hat. Das ist an sich ein fantastisches Ergebnis und für uns eine sehr gute Ausgangsposition. Nicht weniger - aber auch nicht mehr. Jetzt gilt es, in den drei Wettbewerben weiter möglichst erfolgreich zu sein.

Gibt es da überhaupt die Gelegenheit, den jungen Spielern Praxis zu geben?

Eberl Entscheidend ist immer die Qualität. Mo und Marvin haben vor der Saison in den Testspielen und beim Telekom-Cup gezeigt, was die drauf haben. Wir wissen, was unsere Talente können und werden ihnen die Möglichkeit geben, sich zu entwickeln.

Sinan Kurt hat sich im Sommer gegen Borussia und für die Bayern entschieden. Jetzt haben die Bayern Joshua Kimmich von RB Leipzig geholt. Früher haben die Bayern fertige Spieler geholt, jetzt ist es anders. Hat sich der Rekordmeister durch die Verpflichtung von Michael Reschke, der sich um den Jugendbereich kümmert, verändert? Wird es jetzt noch schwerer für die anderen Klubs?

Eberl Natürlich haben die Bayern immer herausragende Talente herausgebracht wie Alaba oder Müller. Doch sie waren mit ihren Jugendmannschaften nicht so erfolgreich, und ich glaube, das ist das, was sie stört. Darum werden sie wieder aktiver. Michael Reschke ist nicht nur da ein absoluter Experte, sondern generell als Stratege. Da hat sich der FC Bayern definitiv verstärkt. Meine Auffassung ist aber, dass sich ein Talent genau überlegen sollte, wo es sich ausbilden lässt. Dass jetzt jeder dem Ruf eines großen Klubs folgen soll, würde dem Fußball schaden. Es gibt genug Beispiele dafür, dass Talente dem Ruf gefolgt sind und dann wieder in der Versenkung verschwunden sind, ohne jemals oben angekommen zu sein. Die jungen Spieler können sich auch anderswo ihre Sporen verdienen und dann zu den Bayern gehen. Dann profitieren auch die anderen Klubs davon, denn die Ablösesummen fließen in die Klubs hinter den Bayern. Wenn man die Talente aber erntet, bevor sie reif sind, weiß ich nicht, ob das dem deutschen Fußball guttut.

Möglicherweise steht ein Leihkonzept dahinter — wie beim FC Chelsea?

Eberl Es muss einfach passen. Borussia will aber kein Ausbildungsklub für die großen Vereine sein. Wir möchten den Weg, den wir in den letzten Jahren gegangen sind, weitergehen. Wir wollen gute Spieler finden und entwickeln. Wir sind der passende Verein mit dem passenden Trainer, der passenden Philosophie und dem passenden Umfeld. Alles trägt dazu bei, dass sich junge Spieler bei uns gut entwickeln können. Dass wir auch immer wieder mal Leihgeschäfte machen werden, ist auch klar. Dass dann ein Spieler wie Chris Kramer jetzt nach Leverkusen zurückgeht, ist halt so. Dass er das als Weltmeister und Nationalspieler tut, hätte keiner gedacht. Aber das zeigt auch, dass wir vor zwei Jahren sein Potenzial gesehen haben.

Borussia ist in ihrer Entwicklung da angekommen, dass Kramer im Sommer vermutlich der einzige aus dem Stammkreis des Kaders sein wird, der geht. Das war früher anders. Hat sich Ihre Arbeit dadurch verändert?

Eberl Im vergangenen Jahr ist auch nur Mac-André ter Stegen gegangen, obwohl wir erfolgreich waren. Vor zwei Jahren, als wir Vierter waren, waren es noch drei Spieler. Das zeigt ja, dass wir stabiler geworden sind. Trotzdem wird es so bleiben, da will ich gar keine Romantik aufkommen lassen: Wenn wir eine starke Rückrunde spielen, kann immer noch ein großer Klub kommen und uns einen guten Mann wegkaufen. Für uns gilt, dann mit den Transfersummen gut und verantwortungsvoll umzugehen. Dann können wir uns auch weiter in den Regionen weiter etablieren, in denen wir jetzt angekommen sind. Dass wir mir den ganz Großen der Liga noch nicht mithalten können, zeigt das Beispiel Christoph Kramer. Die hohen zweistelligen Millionenbeträge sind für uns einfach unrealistisch und werden es in naher Zukunft erst mal bleiben. Wir müssen das Team weiter mit guten und cleveren Schritten aufbauen.

Ist es gut, auch für das Team, dass das Thema Kramer geklärt ist?

Eberl Er hat sich entschieden und darum sollten wir einen Haken dran machen. Er wird sich in diesem halben Jahr für uns zerreißen, so, wie er es immer getan hat, und wird so hoffentlich dazu beitragen, dass wir die Saison mit einem guten Resultat abschließen.

Haben die Neuzugänge des vergangenen Sommers in der Hinrunde Ihre Erwartungen erfüllt?

Eberl Die fünf Neuzugänge des Sommers haben zu der guten Hinrunde ihren Teil beigetragen. Aber auch die Neuen aus unserer Akademie haben die Qualität des Kaders gehoben. Insgesamt war es die Verbesserung, die wir uns bei allen Transfers erhofft haben.

Fabian Johnson ist allerdings nach einer sehr starken WM noch nicht so recht abgekommen.

Eberl Das würde ich so nicht sagen. Er hat eine herausragende WM gespielt und dann zu Beginn der Saison auch bei uns sehr viele Einsätze bekommen. Dann war er verletzt. Zeitgleich haben sich Pärchen gebildet, die sehr erfolgreich gespielt haben und es war schwer für ihn, wieder richtig reinzukommen. Dass er aber ein Spieler ist, der unseren Kader besser macht, ist unbestritten so. Er wird nun die komplette Wintervorbereitung mitmachen und die Konkurrenzsituation neu gestalten. Zumal ja auch Ibrahima Traoré erst mal beim Afrika-Cup ist.

Borussia boomt — müssen sie öfter bremsen oder auf das, was möglich ist, hinweisen?

Eberl Darauf, dass sich Borussia gut entwickelt hat, muss ich nicht hinweisen, das sehen die Leute. Dass ich aber einer bin, der immer sehr realistisch ist, diesen Ruf habe ich mir in den vergangenen Jahren erworben. Für mich ist aber der richtige Weg. Ich halte nichts von populistischer Euphorie, dafür ist die Bundesliga zu eng. Ich lasse natürlich Träume zu und will erfolgreich sein. Das sollen die Spieler auch sein. Nur muss man all das auch auf dem Platz sehen.

Gerade im Rheinland neigen die Fans dazu, entweder Schwarz oder Weiß zu sehen. Oder ist das ein normales Fußball-Phänomen?

Eberl Fußball ist von Emotionen und von Schwarz und Weiß getragen - für mich teilweise zu extrem. Deswegen versuchen wir immer die Mitte zu finden. Extreme sind nicht hilfreich. Darum blende ich das auch aus. Es ist unsere Aufgabe, das zu lenken. Früher waren es fünf, sechs Wochen, die eine Tendenz hergegeben haben, heute ist es jedes einzelne Spiel. Davon muss man sich frei machen, sonst kann man seine Arbeit nicht gut machen. Wir müssen klar und sachlich analysieren - dann bekommt man am Ende das Resultat, das eine Saison verdient hat.

Welches Resultat darf man dem Team zutrauen?

Eberl Bisher sind wir auf einem guten Weg. Wir werden bei dem Ansatz bleiben und sagen: Wir wollen einstellig bleiben. Das beinhaltet die interessanten Plätze. Das ist das, was für uns realistisch ist. Dass wir natürlich Visionen haben, ist klar. Aber damit gehen wir nicht hausieren.

Karsten Kellermann und Stefan Klüttermann sprachen mit Max Eberl

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