Borussia Mönchengladbach "Ich habe sehr hohe Ansprüche an mich"

Mönchengladbach · Borussias Abwehrchef Martin Stranzl spricht im großen Oster-Interview über die Bedeutung von Wertschätzung im Profifußball und über seinen Ruf als Turm, an dem sich andere aufrichten können.

Martin Stranzl: U19-Co-Trainer bei Borussia Mönchengladbach
14 Bilder

Das ist Martin Stranzl

14 Bilder
Foto: Dieter Wiechmann

Lassen Sie uns über Wertschätzung reden.

Stranzl Okay.

Ist Ihnen die Wertschätzung Ihrer Leistungen vonseiten der Kollegen wichtiger oder vonseiten des Trainers?

Stranzl Die der Mannschaft, würde ich sagen. Natürlich ist es auch wichtig, wie der Trainer einen sieht, sonst würde er einen ja nicht aufstellen. Aber das Arbeiten im Kreis der Mitspieler ist auf jeden Fall angenehmer, wenn auch dort die Wertschätzung da ist. Das ist für mich ein wichtiger Faktor.

Wird in der Kabine unter den Kollegen Wertschätzung denn offen geäußert?

Stranzl Offen nicht. Es gibt kein "Hey, super gespielt!". Man kann Wertschätzung aber aus den Gesprächen herausfiltern, wenn Spieler beispielsweise, wie in meinem Fall, auf mich zukommen und Dinge nachfragen.

Und wie wichtig ist Ihnen die eigene Wertschätzung Ihrer Arbeit?

Stranzl Ich bin ein sehr selbstkritischer Mensch, ich habe, denke ich, sehr hohe Ansprüche an mich, und deswegen bin ich auch da, wo ich jetzt bin.

Stellen Sie diese hohen Ansprüche auch an Mitspieler?

stranzl Ich erwarte von meinen Mitspielern nur das, was ich von mir selbst erwarte. Deswegen kann ich auch damit umgehen, wenn jemand auf dem Platz Fehler macht. Wichtig ist nur, wie man damit umgeht.

Können einen hohe Ansprüche verkrampfen lassen, gerade in jungen Jahren?

Stranzl Klar, manchmal war es vielleicht zu viel. Dann passieren auch mal Verletzungen. Aber das sind Dinge, die muss man lernen, das ist auch eine Form der Weiterentwicklung.

Muss man Selbstkritik trennen von der öffentlichen Meinung?

stranzl Ja. Gerade als junger Profi muss du Menschen um dich herum haben, die dich erden, die dir auch mal schonungslos sagen, was nicht gut ist. Das wird aber nicht gerne gehört oder angenommen. Deswegen ist es auch so verlockend, den Kontakt zu den Leuten zu suchen, die einen immer nur streicheln und auf einen Thron setzen.

Wenn man zehn Spieler danach fragt, wie Sie die öffentliche Meinung über sich wahrnehmen, sagen wahrscheinlich neun von ihnen, sie interessiere das nicht und sie lesen das alles auch nicht. Ist das wirklich so einfach?

stranzl Nein, ich glaube, solche Aussagen sind eine Schutzbehauptung. Ansonsten müssten wir beiden ja auch nicht hier sitzen und dieses Interview führen, wenn ich es dann sowieso nicht lese. Viele Spieler registrieren also sehr wohl das, was über sie geschrieben wird.

Ein gewisser innerer Abstand tut trotzdem Not, oder?

stranzl Aber auch das muss man lernen. Heutzutage haben wahrscheinlich 90 Prozent der Spieler einen Social-Media-Account und posten weiß der Geier, was. Und dann auf der anderen Seite zu sagen, mit der öffentlichen Meinung will ich nichts zu tun haben, das ist ja völliger Quatsch.

Sie selbst halten sich mit Mitteilungen in Sozialen Netzwerken eher bedeckt.

Stranzl Ich habe sie mal genutzt, aber mittlerweile meine Accounts gelöscht. Es kostet alles so viel Zeit, und ich sehe keinen Sinn darin. Wenn du im Mannschaftsbus sitzt, guckst du die ganze Zeit nur aufs Handy, anstatt dich zu unterhalten oder mal was zu lesen.

Lesen konnten Sie jüngst in unserer Zeitung, dass Tony Jantschke Sie als Turm, als Stamm im Team bezeichnet hat, an dem sich andere aufrichten können. Gefällt Ihnen dieses Bild, oder ist es Ihnen zu viel Heiligenschein?

stranzl (schmunzelt) Wenn das so wahrgenommen wird in der Mannschaft, freut mich das natürlich. Das ist schon eine großartige Auszeichnung von meinen Mitspielern. Das bedeutet mir viel. Aber man darf sich auch nicht zu viel drauf einbilden, dann leidet die Konzentration.

Es heißt, Sie machen andere besser, wenn Sie auf dem Platz stehen.

stranzl Ich weiß ja, wie es ist. Ich habe als junger Spieler ja auch die Unterstützung von älteren Spielern gesucht. Aber auf der anderen Seite versuche ich heute auch, vieles weiterzugeben, andere in die Pflicht zu nehmen, so dass der ein oder andere auch in so eine Rolle hineinwachsen kann. Damit wir zwei, drei, vier Führungsspieler haben. Das macht es für ein Team einfacher.

Weil die Psyche eines Führungsspielers stärker beansprucht wird?

Stranzl In Spielen ist teilweise die psychische Belastung vom Gefühl her höher als die physische, weil man so viel dirigiert, coacht und Einfluss nimmt. Mir gelingt es ganz gut, das war aber auch ein Entwicklungsprozess. Ich ärgere mich dann auch, wenn ich meine, dass wir in dem einen oder anderen Punkt schon ein Stück weiter sein könnten.

Granit Xhaka ist ein gehöriges Stück weiter in der Entwicklung. Ist er auch ein Besser-Macher für Borussia?

stranzl Absolut. Er hilft mir als Vordermann enorm mit seiner Art Fußball zu spielen. Ich merke hautnah, wie gut er das inzwischen macht. Ab und zu schlägt er halt über die Stränge, aber das ist normal in dem Alter. Ich habe von Anfang an gesagt: Er braucht sich nicht zu verstecken, Fehler passieren nunmal. Mir ist es tausendmal lieber, jemand zeigt sich auf dem Platz und versucht etwas zu bewegen, als dass er sich versteckt. Granit ist da drangeblieben und hat sich super entwickelt. Und fußballerisch wussten wir ja eh alle, was er drauf hat.

Welcher Nebenmann hat Sie in Ihrer Karriere besser gemacht?

Stranzl Bei 1860 München war es Marco Kurz, der für mich immer eine Ansprechperson war. Und beim VfB Stuttgart war es Zvonimir Soldo, der in der Bewertung der Leistung extrem hart und direkt war, aber das war gut, weil man wusste, woran man ist. Das hat mich persönlich sehr viel weiter gebracht. In der österreichischen Nationalelf hatte Andi Herzog immer ein offenes Ohr für mich. Wir sind auch heute noch in Kontakt.

Lucien Favre gilt ohnehin als jemand, der Spieler besser macht. Wo hat er Sie besser gemacht?

Stranzl Im taktischen Bereich, ganz klar. Von der Ordnung her. Und wer mich jetzt spielen sieht, der weiß, dass ich früher öfter gegrätscht habe, teilweise auch zu früh oder unnötig. Favre hat mir immer wieder eingetrichtert, dass es das Entscheidende ist, den Gegner zu stellen, denn wenn du grätscht und den Ball nicht bekommst, bist du raus aus der Szene.

Ist Favre der beste Trainer, den Sie in Ihrer Karriere hatten?

Stranzl Wenn es darum geht, einen Spieler besser zu machen, ja. Aber von der Auffassung, Fußball zu spielen und vom Einfluss auf meine Entwicklung war Waleri Karpin als junger Trainer in Moskau für mich der wichtigste. Von der Mannschaftsführung her, von den Ansprachen her habe ich da sehr viel mitgenommen.

Favre gilt als akribisch - wobei das immer klingt, als würden andere Trainer oberflächlich arbeiten. Dennoch: Wie oft überrascht er Sie mit Erkenntnissen über einen Gegner?

stranzl Naja, es gibt halt bei jedem Gegner gewisse Tendenzen, und die arbeitet das Trainerteam in der Videoanalyse eben detailliert heraus. Es wird sogar spezifisch auf Mannschaftsteile eingegangen. Da kann man schon viel herausziehen und auf dem Platz auch mal schnell reagieren, wenn etwas nicht so läuft wie geplant. Dieses Analysieren macht schon irrsinnig viel Spaß.

Kann im Umkehrschluss ein Gegner Borussia eigentlich noch überraschen?

stranzl Kolossal nicht. Dass ein Gegner ganz anders spielt, als wir es erwartet hatten - dafür fällt mir kein Beispiel ein. Aber natürlich sind auch die anderen Teams taktisch flexibel, die sind ja auch nicht auf der Nudelsuppe dahergeschwommen. Da dauert es halt ein paar Momente, bis man sich als Gegner neu justiert hat, und in diesen Momenten musst du höllisch aufpassen, dass nichts schief geht.

Hoffenheim ist zumindest ein Gegner, der es zu Hause Borussia immer schwer gemacht hat. Was muss heute besser laufen?

stranzl Wir müssen so spielen wie in den vergangenen Spielen. Und wenn wir so spielen, werden wir auch dort hoffentlich mal erfolgreich sein.

Wenn Borussia nicht nur heute so spielt wie zuletzt, sondern noch ein paar Mal öfter, spielen Sie vielleicht mit 35 noch mal Champions League. Hätten Sie das bei Ihrer Ankunft 2011 in Mönchengladbach in den kühnsten Träumen für möglich gehalten?

Stranzl Nein, das konnte keiner. Wer behauptet, er habe es damals schon gewusst, von dem hätte ich es auch damals schon gerne gehört. Wir haben uns Jahr für Jahr ein Stückchen weiter entwickelt. Hinzukommt: Bei uns passt das Zusammenspiel zwischen den beiden Sechsern und der hängenden Spitze. Wenn das passt, dann hast du schon sehr viel gewonnen. Das ist für mich entscheidend in einer Mannschaft.

Wenn man Ihnen zuhört, wie Sie über Taktik, Kaderzusammenstellung, Analyse und ähnliches reden, kann man sich schwer vorstellen, dass Sie nach dem Karierrende mal kein Trainer werden.

Stranzl Das ist alles schon sehr, sehr interessant. Aber irgendwo hat man natürlich auch den inneren Wunsch, mal ein bisschen Ruhe einkehren zu lassen, auch mal Ostern zu Hause zu sein. Wenn du Trainer wirst, bleibst du in der Mühle drin. Ich weiß es noch nicht, ich werde sicherlich, wenn es so weit ist, mal ein halbes Jahr oder ganzes Jahr abschalten, um runterzufahren. Es wird für mich auf jeden Fall eine schwere Entscheidung.

STEFAN KLÜTTERMANN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort