Borussia Mönchengladbach Favre: "Wir müssen noch mehr in Ausbildung investieren"

Mönchengladbach · Borussia Mönchengladbach hat im DFB-Pokal die zweite Runde erreicht und spielt am Donnerstag in Sarajewo um den Einzug in die Europa League. Der Vater des Erfolgs, Trainer Lucien Favre, sprach mit unserer Redaktion über seine fünfte Saison, Handyverbot in der Kabine und über mögliche neue Spieler.

Lucien Favre kehrt zu OGC Nizza statt nach Gladbach zurück
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Das ist Lucien Favre

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Foto: dpa/Guido Kirchner

Herr Favre, viele Fußballspieler sieht man außerhalb des Platzes nur mit Handy am Ohr. Haben Sie selbst auch ständig Ihr Smartphone griffbereit?

Favre Ganz bestimmt nicht. Ich bin technisch interessiert, habe selbst zwei iPads. Aber es gibt auch Grenzen. Mir ist die direkte Kommunikation zwischen Menschen wichtiger. Die jungen Spieler kommen zurück in die Kabine, und sofort werden die Geräte angeschaltet. Das ist einfach so.

Ist es heutzutage überhaupt denkbar, ein Handyverbot in der Kabine durchzusetzen?

Favre Nur sehr schwierig. Jeder muss sich selbst damit auseinandersetzen. Aus meiner Sicht sollte ein Profi 30 Minuten vor dem Training sein Telefon zur Seite legen. Es ist einfach nicht gut für die Konzentration, das ist sogar wissenschaftlich bewiesen. Der Kopf ist voll mit ganz vielen anderen Sachen, aber nicht mit denen, um die es gerade geht.

Und was denken Sie, wenn Sie in einem Restaurant zwei Menschen an einem Tisch sehen, und beide spielen mit ihren Telefonen herum?

Favre Ha, genau das habe ich neulich noch im Urlaub gesehen. Zwei Frauen haben nur auf ihre Smartphones gesehen, über eine sehr lange Zeit. Da war überhaupt keine Kommunikation zwischen ihnen. Das ist doch einfach komisch, eine verrückte Welt. Das Smartphone ist aber natürlich trotzdem eine super Erfindung, man kann einfach alles damit machen — ein mobiles Büro.

Ein mobiles Büro, das auch Sie nutzen in Ihrer mittlerweile fünften Saison als Cheftrainer bei Borussia Mönchengladbach. Sind Sie stolz darauf, was Sie mit dem Team in dieser Zeit erreicht haben?

Favre Natürlich. Die fünfte Saison bei einem Verein zu erleben, das ist sehr, sehr selten. Das ist schon eine lange Zeit. Es kann in diesem Geschäft immer sein, dass einer der Beteiligten Abnutzungserscheinungen feststellt. Manchmal der Verein beim Trainer, manchmal der Trainer bei sich selbst. Bisher war das bei uns nicht der Fall, es läuft in Mönchengladbach richtig gut. Das Ziel ist weiter, die Mannschaft zu stabilisieren. Ich bin in einer schwierigen Phase hierhergekommen, alle wissen das. Es braucht eine Weile, bis man alles so geordnet hat, um wieder etwas Neues aufzubauen.

Wie sehen Sie die Aussichten für Borussia?

Favre Die Konkurrenz ist einfach unfassbar groß. Vorne stehen Bayern München und Borussia Dortmund, dahinter Bayer Leverkusen, Schalke oder Wolfsburg — alle mit unheimlich großen finanziellen Möglichkeiten. Sie haben alle viel investiert. Dazu kommen jetzt auch noch andere Klubs wie Hamburg, Stuttgart, Hoffenheim, Hannover und Hertha, die Geld von Investoren bekommen haben. Es wird nicht einfach für Gladbach, sich gegen diese Konkurrenz zu behaupten.

Wie sollte sich Gladbach aus Ihrer Sicht gegenüber dieser Konkurrenz positionieren?

Favre Ich sehe nur eine Möglichkeit: Noch mehr auf Nachwuchsspieler setzen und noch mehr in die Ausbildung investieren. Wenn sich der Verein langfristig stabilisieren möchte, gibt es dazu keine Alternative. Es ist für uns doch fast aussichtslos, mit anderen Vereinen in Konkurrenz zu treten. Wir waren zum Beispiel an Kevin de Bruyne interessiert. Es ging um eine Ausleihe von sechs Monaten. Sein Berater hat über unser Angebot gelacht. Keine Chance.

Wie schwierig ist es, dem Umfeld, den Fans, genau diese Wahrheit zu vermitteln?

Favre Bis jetzt haben wir die vergangenen drei Jahre zwei Mal international gespielt. Wobei wir diesmal natürlich noch nicht durch sind, es sind bislang nur die Playoffs gegen Sarajewo. Trotzdem spricht man endlich wieder über Borussia Mönchengladbach in Europa. Es wird aber nicht so einfach, das in der Zukunft zu bestätigen. Wir müssen in der Zukunft sehr, sehr clever sein.

Sie haben Gladbach 2011 vor dem Abstieg gerettet, dann zurück ins internationale Geschäft geführt. Ist der dritte Schritt, die Stabilisierung, der schwierigste Schritt in der Entwicklung?

Favre Es ist einfach alles kein Selbstläufer. Man muss sich jedes Mal aufs Neue beweisen. Sehen sie sich den Kader des VfB Stuttgart an — die wären in der vergangenen Saison fast abgestiegen.

Der Kader zum Erreichen Ihrer Ziele ist immerhin breiter geworden. Ist dennoch Platz sechs das Maximum, das Sie mit Gladbach in der Liga erreichen können?

Favre Ich sage kein Maximum und kein Minimum. Aber es ist Ihre Interpretation, dass wir jetzt mehr Breite im Kader hätten. Wir mussten zum Beispiel Marc-André ter Stegen ersetzen. Wir haben einen Super- Nachfolger in Yann Sommer gefunden. Aber ter Stegen spielt in der Super-Mannschaft des FC Barcelona. Wir haben Juan Arango verloren, okay, er war schon 34, aber mit seinen genialen Momenten hat er uns unglaublich geholfen. Wir haben dafür Ibrahima Traoré und Fabian Johnson ablösefrei verpflichtet. André Hahn ist für 2,2 Millionen Euro aus Augsburg gekommen. Thorgan Hazard wird sich erst an die Liga gewöhnen müssen. Die zwei Nachwuchsspieler Schulz und Dahoud bleiben im Kader. Im Vergleich zu den anderen haben wir sehr wenig investiert. Das ist die Wahrheit.

Kommt denn noch ein Zugang?

Favre Wir müssen immer bereit sein einen Spieler zu verpflichten. Aber es wird schwer. Wir waren an einem Spieler aus Paraguay [Jorge Benitez, Anm. d. Red.] interessiert, es hat leider am Ende nicht geklappt. Wir müssen immer weiter Ausschau halten. Vielleicht im Winter etwas machen. Ein, zwei Spieler mehr oder weniger, das kann viel ausmachen.

Es heißt, der 17-jährige Sohn eines engen Freundes von Ihnen aus der Schweiz, würde Ihnen von Zeit zu Zeit interessante Spieler empfehlen. War für die neue Saison noch nichts dabei?

Favre (lacht) Das ist wirklich verrückt. Bevor die beiden uns einmal besucht haben, hat der Junge mir per Mail eine Liste von Spielern geschickt. Ich dachte, er würde von Fußball überhaupt nichts verstehen. Aber die Namen waren wirklich interessant, ich habe mich über sie ein wenig informiert, das war schon erstaunlich. Er ist total verrückt nach Fußball und sucht stundenlang im Internet.

Früher haben Bundesligisten sich bei der Suche nach neuen Spielern immer auf einige Regionen beschränkt. Heute vollkommen undenkbar?

Favre Ja. Die Globalisierung hat alle Grenzen gesprengt. Aber obwohl es jetzt mehr Möglichkeiten gibt, ist die Konkurrenz viel größer geworden.

Borussia hat dennoch in den vergangenen Jahren Wunschspieler wie Max Kruse oder zuletzt André Hahn bekommen. Schmeichelt es Ihnen, wenn immer wieder die Rede davon ist, die Profis haben sich auch für den Verein entschieden, weil Sie, Lucien Favre, den Ruf haben, Spieler besser zu machen?

Favre Ich kann nur als Trainer Spieler verbessern, wenn sie aufnahmefähig sind. Du musst immer überzeugen. Manchmal denken sich die jungen Spieler: Was sagt er? Du musst ihnen deinen Weg vermitteln.

Ist es für Sie also genauso wichtig, neben seinen technischen Fähigkeiten auch sicherzustellen, dass ein Spieler charakterlich geeignet ist?

Favre Es ist mit entscheidend. Der Charakter ist enorm wichtig. Wie verhält sich ein Spieler in der Kabine? Kann er andere mitziehen? Hat er eine positive Einstellung? Manchmal ist es besser, einen Spieler zu haben, der spielerisch vielleicht nur durchschnittlich ist, dafür aber sehr intelligent ist, taktisch gut ist und immer für die Mannschaft da ist, als einen Top-Spieler, der alles durcheinanderbringt.

Haben Sie sich auch schon einmal von einem Spieler bei einem "Bewerbungsgespräch" täuschen lassen, was seine charakterliche Eignung angeht?

Favre So etwas kann immer passieren. Umso wichtiger ist es, seine Hausaufgaben zu machen. Du musst wissen, wer dir da gegenüber sitzt. Aber am wichtigsten ist es, mit dem Spieler selbst zu sprechen. Du musst dir Zeit nehmen, jemanden richtig kennenzulernen. Als ich in der Schweiz Trainer von Yverdon war, wollten wir einen Spieler unbedingt verpflichten. Es war ein nettes Gespräch, und mein Präsident und ich waren überzeugt, das richtig zu machen. Hinterher ist der Spieler mit dem Auto weggefahren, der Präsident war zufällig hinter ihm. Der Spieler hat auf einer kurzen Strecke drei rote Ampeln überfahren. Wir haben uns danach gegen den Spieler entschieden.

Glauben Sie, das der Weltmeistertitel und der damit verbundene Trubel Christoph Kramer charakterlich verändern werden?

Favre Christoph ist als Mensch sehr angenehm. Ein Kämpfer, der immer lernen will. Er hat sich positiv schon ein wenig verändert: Er spricht viel mehr auf dem Platz, er dirigiert die Positionen, das habe ich ihm sofort gesagt. Man muss sich das einmal vorstellen — vor einem Jahr hat er noch in Bochum gespielt. Nach einer guten Saison bei uns in Gladbach konnte er sich für die Nationalelf empfehlen.

Haben Sie die Hoffnung, dass es nicht sein letztes Jahr in Gladbach sein wird?

Favre Wir müssen realistisch sein. Er hat bis 2017 Vertrag in Leverkusen. Wenn Bayer sagt, er muss zurück, dann ist das so. Wir hoffen natürlich alle, dass Christoph sagt, er möchte gerne bei uns bleiben. Mal sehen, was nach der Saison passiert.

Werden Sie auch von ihm persönlich um Rat gefragt, was Sie das Beste für seine Entwicklung halten?

Favre Es ist psychologisch natürlich ungeheuer wichtig, immer wieder das Gespräch miteinander zu suchen. Das mache ich nicht nur mit ihm, sondern mit jedem in meinem Team. Das gehört einfach dazu.

Im Fußball wird immer viel über Taktik gesprochen. Kann es heute noch ein neues Spielsystem geben oder geht es immer nur um die Interpretation bestehender taktischer Ausrichtungen?

Favre Es ist alles schon gespielt worden. Heutzutage sind die Systeme einfach flexibler geworden. Sie wechseln während eines Spiels je nach Situation. Es ist laufintensiver geworden — vor 40 Jahren sind die Spieler vier Kilometer pro Partie gelaufen, heute sind es zwölf.

Macht es dementsprechend Sinn, schon bald ein viertes oder sogar fünftes Mal auswechseln zu können?

Favre Eine vierte Auswechslung halte ich auf jeden Fall für sinnvoll. Es dürfen nur nicht zu viele sein, um ein Spiel nicht zu sehr zu zerstückeln. Das Tempo würde sonst aus dem Spiel genommen. Das will keiner haben.

Profi-Trainer ist ein Fulltime-Job. Wann waren Sie zum Beispiel das letzte Mal mit Ihrer Frau in Belgien, um einen Kinofilm in französisch zu sehen?

Favre (lacht) Das ist leider schon wieder eine ganze Weile her, vielleicht neun Monate. Jedenfalls viel zu lang.

Schaffen Sie es denn wenigstens, ein paar Minuten täglich von Ihrem Job abzuschalten?

Favre Das ist praktisch unmöglich. In meinem Leben dreht es sich fast immer um Fußball.

Träumen Sie von Fußball?

Favre Nein, bis jetzt ist das zum Glück noch nicht passiert. Kurios eigentlich. Ich träume nicht oft. Bislang konnte ich mich immer gut erholen, weil ich immer sofort einschlafe. Du brauchst Disziplin, sonst wird es schwierig. Ich gehe selten später als 22.30 Uhr schlafen und stehe immer gegen sechs Uhr morgens auf.

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