Dieter Hecking im Interview "Wir müssen auch mal einen Plan B haben"

Mönchengladbach · Trainer Dieter Hecking kann mit Borussia noch Großes erreichen in dieser Saison – sowohl in der Liga als auch im Pokal. Gleichzeitig muss die neue Saison geplant werden. Auch darüber spricht der 52-Jährige im Interview mit unserer Redaktion.

Borussia Mönchengladbach: In der Tabelle unter Dieter Hecking Sechster
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Die Hecking-Tabelle

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Foto: dpa/Matthias Balk

Trainer Dieter Hecking kann mit Borussia noch Großes erreichen in dieser Saison — sowohl in der Liga als auch im Pokal. Gleichzeitig muss die neue Saison geplant werden. Auch darüber spricht der 52-Jährige im Interview mit unserer Redaktion.

Am Donnerstag ist Dieter Hecking 100 Tage Trainer von Borussia Mönchengladbach. 18 Pflichtspiele sind seit seinem Antritt vergangen. Er hat die Gladbacher in der Liga aus der Abstiegszone in Schlagweite der Europapokal-Plätze, ins Achtelfinale der Europa League (Aus gegen Schalke) und ins Pokal-Halbfinale (am 25. April gegen Frankfurt) geführt. Im Interview spricht er über seine Ziele mit Borussia, die Planungen für die neue Saison und seinen Kapitän Lars Stindl.

Herr Hecking, Raffael fällt aus, er hat eine Innenbanddehnung. Da ist es gut, einen Stindl zu haben, der in die Bresche springt, wie im Derby in Köln. Was für ein Spielertyp ist Stindl? Wir haben mal die These aufgestellt: Er ist alles.

Hecking Ob Raffael wirklich am Samstag in Hoffenheim ausfällt, müssen wir noch sehen. Ganz habe ich ihn nicht abgeschrieben. Was Lars angeht: Er ist vor allem eines — taktisch unwahrscheinlich gut. Er kennt die Räume, in denen er sich bewegen muss. Er schafft es immer wieder durch eine gute Freilaufbewegung, sich so positionieren, dass er ständig anspielbar ist. Zudem weiß er bei eigenem Ballbesitz gleich etwas mit der Kugel anzufangen. Und er hat das, was im Strafraum gefragt ist: einen sehr guten Torabschluss, er braucht nicht viel Platz, um zum Abschluss zu kommen. Das Gesamtpaket macht ihn zu einem Offensivspieler, so würde ich ihn nennen. Er ist kein typischer Stürmer, aber auch kein typischer offensiver Mittelfeldspieler.

Ein Offensivmann, der auch dem DFB-Team helfen könnte, das haben Sie nach dem Derby gesagt. Bislang wurde er aber noch nicht nominiert.

Hecking Wir haben in Deutschland in dem Bereich viele sehr gute Spieler, die von dem, wie sie Fußball spielen, Lars ähnlich sind. Er wird sicher weiter seine Leistung bringen. Und wenn Joachim Löw ihn dann irgendwann dazu holt, dann hat er die Gelegenheit, seine Chance zu nutzen. Ich würde es Lars wünschen, dass er es mal erlebt, um auszuloten, wo er steht, was eventuell noch fehlt oder auch nicht. Ich traue es ihm zu, dabei zu sein, vielleicht nicht mal beim Confed Cup, sondern vielleicht auch bei einem hochwertigen Freundschaftsspiel mit anschließendem Quali-Spiel. Davon könnte Lars sicher profitieren.

Kann man sagen, Stindl ist kein typischer Hecking-Stürmer? Sie haben meist recht klassische Strafraumstürmer wie Bas Dost oder Mario Gomez in Wolfsburg gehabt.

Hecking Marek Mintal, mit dem ich in Nürnberg gearbeitet habe, war ein ähnlicher Spielertyp. Er war auch so ein spielender Typ, der viele Bälle gezogen hat, abgelegt hat, fixiert auf das Team, ein Mannschaftsspieler. Bas Dost, Mario Gomez, Mike Hanke, das sind natürlich keine Spieler, die man mit Lars vergleichen kann.

Kommt ein solcher Typ im Sommer nach Gladbach?

Hecking Wir werden das machen, wovon wir überzeugt sind. Im Moment geht es vorn ganz gut mit der variablen Spielweise, das haben wir in Köln gezeigt. Der Kader gibt es her, so spielen. Aber wir brauchen natürlich einen Plan B. Wenn man den Kölner Modeste nimmt, ist es natürlich schon mal ganz gut, einen körperlich präsenten Stürmer zu haben, der Zweikämpfe in der Luft gewinnt, um dem Team die Chance zu geben, nachzurücken.

Allerdings kommt Borussia selten in solche Situationen.

Hecking Stimmt, wir haben halt wiederentdeckt, dass wir sehr gut bei Ballbesitz sind. Das war für mich die größte Weiterentwicklung der vergangenen Wochen. In der Phase mit den vielen Spielen waren wir am Ende vielleicht ein wenig zu müde und haben zu abwartend gespielt, wie in Hamburg oder gegen die Bayern oder in Frankfurt. Letzteres war sehr ärgerlich, trotz des 0:0. Danach haben wir die Jungs daran erinnert, dass wir eigentlich eine Mannschaft sind, die viel dominanter sein will. Das haben sie dann gegen Berlin in der zweiten Halbzeit und in Köln umgesetzt.

In der Bundesliga wird über die Attraktivität des Fußballs diskutiert, angeleitet durch eine Aussage von Mario Gomez. Ihre Mannschaft gehört für die Experten aber zu den "Guten".

Hecking Viele Mannschaften achten darauf, dass sie vorn viel Schnelligkeit besitzen. Dann ist man natürlich schnell in der Situation, über Konter zu spielen. Das ist sicherlich ein Trend, der sehr auffällig ist. Aber es gibt in der Bundesliga einige Facetten und ich sehe unsere Liga auf einem guten Niveau.

Wie Ihr Team gilt auch der Gegner am Samstag, Hoffenheim, als spielstark. Darf sich der neutrale Beobachter auf ein besonders schönes Spiel freuen?

Hecking Hoffenheim steht für guten Fußball. Julian Nagelsmann hat es geschafft, dass die Mannschaft sehr variabel spielen kann, es gibt unterschiedlichste Typen im Team wie Sandro Wagner als Center-Spieler, oder Kerem Demirbay, der eine sehr gute Entwicklung gemacht hat, Sebastian Rudy oder Nadiem Amiri. Da ist viel Geschwindigkeit drin. Das macht Hoffenheim derzeit zu Recht zu einem Champions-League-Anwärter.

Amiri wird als Gladbach-Zugang gehandelt. Was ist da dran?

Hecking Wir werden uns ausreichend Gedanken machen um den Kader. Wir werden wohl Mo Dahoud und Andreas Christensen verlieren, da werden wir sicherlich versuchen, neue Qualität dazu zu holen. Da müssen wir natürlich nachlegen. Aber ich habe ja auch schon gesagt, dass ich auch in unserem Kader den einen oder anderen sehe, beispielsweise Laszlo Bénes, der da aufrücken kann. Warum soll er nicht den gleichen Weg wie Mo gehen? Die Frage ist: Bringt es uns etwas, für einen Spieler 15, 20 Millionen auszugeben? Ich habe es ja in Wolfsburg erlebt. Die Erwartungshaltung ist enorm an diese Spieler, die ihr selten gerecht werden können. Durch die hohen Ablösesummen wird man gleich unter Druck gesetzt. Einen Kevin De Bruyne hat so etwas nicht interessiert.

Aber einem Julian Draxler oder André Schürrle.

Hecking Ja, das ist schon eine Hypothek. Da müssen wir die Spieler auch schützen, sie können nichts dafür. Es ist der Markt, der das hergibt, und manche Vereine können sich diese Ablösesummen eben leisten. Um mit diesem Druck fertig zu werden, müssen die Spieler eine starke Persönlichkeit entwickeln. Wir als Vereine bekommen auch keine Garantie, dass ein Spieler xy für 20 Millionen Euro 15 Tore schießt, zehn vorbereitet und dadurch seinen Marktwert so vergrößert, dass du ihn für 30 Millionen nach ein paar Jahren wieder verkaufen kannst. Das wäre ein idealer Transfer. Ob so etwas für Borussia machbar ist, müssen wir abwarten. Viele Ligen sind heutzutage interessant, weil du dort viel Geld verdienen kannst. Die Bundesliga ist nicht der Fixpunkt. Spanien ist für deutsche Spieler noch nicht das bevorzugte Land, die schielen momentan eher nach England, so dass da immer der eine oder andere Abgang denkbar ist.

Auch in Gladbach sicherlich. Was wird aus Spielern, die bei Ihnen bislang wenig zum Zug kommen wie Julian Korb, Nico Schulz und André Hahn?

Hecking Wir hatten drei Wettbewerbe zu bewältigen, und vielleicht schaffen wir das auch noch für die neue Saison. Dann bin ich schon ein Freund davon, dass man einen größeren Kader hat als unter normalen Bedingungen mit Meisterschaft und DFB-Pokal. Es gibt immer Spieler mit mehr Einsatzzeiten und solche mit weniger wie eben jetzt Julian Korb und Nico Schulz. Als Trainer legst du dich doch immer ein bisschen fest, wobei man auch bedenken muss: Wenn Nico Elvedi etwas passiert, bekommt Julian Korb vielleicht hinten rechts gegen Hoffenheim eine Chance. Da würde ich sicherlich kein Experiment mit eingehen.

Trotzdem ist er die Nummer drei auf seiner Position.

Hecking Das mag so sein, aber er hat auch noch nicht das nötige Glück gehabt. Nico Elvedi hat sein erstes Spiel in Hamburg gemacht. Das war sehr positiv und damit war er bei mir drin im Kopf. Ich hatte in der kurzen Wintervorbereitung wenig Zeit, einem Julian Korb mal ein, zwei Spiele zu geben, damit er zeigen kann, was er drauf hat. Natürlich entsteht schnell der Eindruck, er hätte gar keine Chance bei Dieter Hecking, aber die hat jeder. Erst habe ich mich auf Tony Jantschke festgelegt, der hat es gut gemacht, weil wir Stabilität brauchten. Dann wurde er etwas müde und Nico Elvedi machte einen guten Eindruck im Training. Zudem erinnerte mich mein Co-Trainer Dirk Bremser zu Recht daran, dass bei den Standards ein Kopfballspieler mehr nicht schlecht wäre. Auch das sprach für Nico. Das sind dann Überlegungen, die gar nichts mit Julian Korbs Leistung zu tun hatten.

Zufrieden werden solche Spieler dennoch nicht sein.

Hecking Natürlich nicht, aber sie ziehen alle voll mit. Das ist für mich als Trainer am wichtigsten. Dass wir nach der Saison mal ein Gespräch führen werden, um über die Perspektiven zu sprechen, ist ganz normales Bundesligageschäft. Das steht genauso an wie Gespräche mit Spielern über eine Vertragsverlängerung. Noch sind aber keinerlei Entscheidungen gefallen.

Kann es sein, dass sie spätestens im Sommer auch am System schrauben werden? Zwei Flügelstürmer und ein Mittelstürmer wären denkbar, oder die Doppelsechs im defensiven Mittelfeld aufzulösen.

Hecking So wie wir es machen, ist es momentan sicherlich am besten. Natürlich ist es mit diesem Kader richtig, auch andere Spielsysteme im Kopf zu haben. Die Dreierkette ist nach wie vor ein Thema, das wir nicht in die Schublade legen sollten. Man muss immer vielseitig reagieren können. Aber auch in Köln haben wir bei eigenem Ballbesitz schon mit einer Dreierkette gespielt. Mich amüsieren diese Diskussionen deshalb immer. Fast alle Mannschaften in der Bundesliga wechseln fließend innerhalb eines Spiels die Systeme. Das muss bei Grundsatzdiskussionen immer im Hinterkopf behalten werden.

Aber das 4-4-2 hat sich schon bewährt bei Ihnen.

Hecking In Frankfurt beim 0:0 war es zum Beispiel nicht so toll. Da machen wir uns vor dem Halbfinale in zwei Wochen sicherlich unsere Gedanken über eine andere Formation gegen den Ball. Es ist auch immer ein Faktor, wenn du kaum Zeit zum Trainieren hast. Dann nimmst du im Zweifelsfall das bewährte System, weil Wechsel mitunter für Unruhe sorgen und du am Ende wieder einen Rückzieher machen musst. Schon bist du drin in einem negativen Kreis und in der Kabine geht die Grübelei los. Da sagt mir meine Erfahrung, dass man sich so etwas am besten über sechs, sieben Wochen in der Sommervorbereitung erarbeitet, nicht in sechs Englischen Wochen hintereinander.

Borussias Ausgangsposition vor den nächsten beiden Ligaspielen gegen Hoffenheim und Dortmund ist gut. Sie dürfen wieder Richtung Europa schauen. Dann kommt das Pokal-Halbfinale gegen Frankfurt.

Hecking Die Perspektive sieht nicht so schlecht aus, wir können noch viel erreichen. Vor dem Start in diese Woche haben wir in der Kabine auch darüber gesprochen, dass uns der Derbysieg viel Luft geben kann für die letzten Spiele. Aber über die wollen wir eigentlich noch gar nicht reden, sondern erst einmal über Hoffenheim. Jedes Spiel für sich kann der Schlüssel sein, der uns wieder nach Europa führt. Nachlässigkeiten können wir uns nicht erlauben, weil jedes Spiel für eine neue Situation sorgen kann. Plötzlich bist du vielleicht Sechster und hast scheinbar etwas zu verlieren. Wobei ich eher sagen würde, dass du dann die Gelegenheit hast, den Sack zuzumachen. Wir haben das in den vergangenen Wochen sehr gut hinbekommen mit den drei Wettbewerben, in zwei sind wir noch dabei.

Und müssen nicht mehr nach unten schauen.

Hecking Dazu haben wir uns auch erst einmal beglückwünscht, dass wir nach elf Rückrundenspieltagen in der Bundesliga schon sagen können: Mit dem Abstiegskampf haben wir nichts mehr zu tun. Das war unser erstes Etappenziel. Was jetzt noch kommt, haben wir uns vielleicht erhofft und trauen es uns auch zu. Aber jetzt müssen wir jedes Spiel für sich sehen, angefangen mit Hoffenheim. Da wollen wir den Beweis antreten, dass Gladbach auch mal gegen einen der ersten Vier gewinnen kann. Das ist diese Saison noch nicht gelungen.

Und dann kommt mit Dortmund das nächste dieser Teams.

Hecking Auch da ist offen, wie Dortmund das angeht. Wie haben sie vorher in der Champions League gegen Monaco gespielt? Wie sehr brauchen sie die Punkte für den dritten Platz? Ist das Spiel in Gladbach überhaupt das wichtigste, wenn sie am Mittwoch danach im Pokal-Halbfinale bei den Bayern spielen? Als Trainer weiß ich nie, wie mein Kollege damit umgeht.

Zum Schluss geht es in der Liga gegen vier Abstiegskandidaten: Mainz, Augsburg, Wolfsburg und Darmstadt.

Hecking Das erklärt sich fast von alleine. Bis auf Darmstadt wird es für alle um alles gehen. Da musst du auch eine besondere Qualität zeigen. Aber das ist sowieso mein Ansatz, darauf die richtigen Antworten zu haben.

Das Gespräch führten Karsten Kellermann, Robert Peters und Jannik Sorgatz.

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