Borussia Mönchengladbach Das verdrängte Scheitern und eine Einladung zum Abendessen

Mönchengladbach · Dass das 1:1 gegen Juventus Turin das Aus in der Champions League bedeutet, wollte manch einer nach dem Abpfiff gar nicht wahrhaben. Im Mittelpunkt stand die Freude über einen Punkt gegen den Finalisten der Vorsaison – obwohl die Zahlen mehr als eindeutig für die Borussia sprachen.

Borussia Mönchengladbach - Juventus Turin: Einzelkritik
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Gladbach - Juventus: Einzelkritik

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Dass das 1:1 gegen Juventus Turin das Aus in der Champions League bedeutet, wollte manch einer nach dem Abpfiff gar nicht wahrhaben. Im Mittelpunkt stand die Freude über einen Punkt gegen den Finalisten der Vorsaison — obwohl die Zahlen mehr als eindeutig für die Borussia sprachen.

1. Wie? Ausgeschieden? Im Bus vom Borussia-Park zum Gladbacher Hauptbahnhof herrschte um 23 Uhr große Lesestunde. Die meisten Fans blickten auf ihre Smartphones und checkten die Schlagzeilen nach dem 1:1. Bei einigen herrschte Verwirrung: Wie? Ausgeschieden? Warum? Dass die Borussia den Sprung auf Platz zwei nicht mehr schaffen kann, weil Juventus sechs Punkte Vorsprung hat und im direkten Vergleich vorne liegt, daran hatte beim Abpfiff kaum jemand im Stadion gedacht. Für die meisten Anhänger sind einfach zwei Drittel des Abenteuers rum. Jetzt geht es vor allem im Duell mit dem FC Sevilla am 25. November darum, ab Februar in der Europa League weitermachen zu dürfen.

2. Wertvoller Punkt Nach dem 1:1 gegen Juventus enthielten viele Analysen eine unterschwellige Enttäuschung, die — weil sie sich nach einem Punktgewinn gegen den Finalisten der vergangenen Saison breit machte — allerdings schnell wieder so etwas wie Siegesgefühle auslöste. Der Erfahrungsschatz in der Königsklasse umfasst eben erst vier Spiele, das emotionale Repertoire ist noch limitiert. Um eine realistische Chance auf den dritten Platz zu haben, muss die Borussia in drei Wochen gegen Sevilla gewinnen. Dann hat sie es am letzten Spieltag bei Manchester City in der eigenen Hand, oder anders ausgedrückt: Selbst wenn Gladbach in England verliert, müsste Sevilla unter diesen Voraussetzungen zu Hause gegen Juventus gewinnen, um vorbeizuziehen. Der Punktgewinn gegen Turin am Dienstagabend könnte sich also noch als äußerst wertvoll herausstellen.

3. Konfetti! An Champions-League-Abenden funkelt der Borussia-Park auf eine besondere Weise. Selbst wer das ganze Jahr über ein schönes Wohnzimmer hat, empfindet es am Heiligabend noch einmal ganz anders. So ähnlich ist es, wenn in der Königsklasse das Licht angeht, 46.000 Fans lauter singen als im Bundesliga-Alltag und das Stadion feierlich mit Konfetti geschmückt wird:

Da musste die Stadt Mönchengladbach wohl ein paar Laubbläser in den Borussia-Park abkommandieren.

4. 1:0 im ersten Satz Innerhalb von 90 Minuten gingen drei verschiedene Spiele über die Bühne. Das erste dauerte 25 Minuten, das zweite 28 und das dritte 37. Zum Auftakt gewann die Borussia 1:0 durch das Tor von Fabian Johnson. Die Anfangsphase dürfte auf der Schubert'schen Pressingskala Spitzenwerte erreicht haben. Von den lediglich 25 Prozent Ballbesitz, auf die Juventus kam, benutzten die Italiener einen Großteil, um den Ball prompt wieder zu verlieren. Mahmoud Dahouds Latten-Dropkick war das optische Highlight, Raffaels Auge für Johnson brachte die verdiente Führung.

5. 28 Minuten liegen schwer im Magen Ciro Immobile hat sich während seiner Zeit bei Borussia Dortmund beschwert, dass er von seinen Kollegen nie zum Abendessen eingeladen wurde. Ab der 26. Minute zeigte Gladbach den Italienern das gastfreundliche Gesicht Deutschlands. Fortan durfte Turin munter mitspielen, was neben einer ordentlichen Portion Juve-Wut als Vorspeise besonders am Hauptgang lag, einem ungewohnt schlampigen Passspiel seitens der Borussia. Nur in dieser Phase hatten die Gäste mehr Ballbesitz und spielten bis zum Platzverweis in der 53. Minute mehr Pässe als im gesamten Rest des Spiels. 14 Torschüsse ließ Gladbach innerhalb von 28 Minuten zu, drei waren es in den sonstigen 62. Entsprechend fiel der Ausgleich nicht unverdient. Die Zutaten waren ein Geistesblitz Paul Pogbas, eine schläfrige Sekunde Johnsons und eine starke Direktabnahme Stephan Lichtsteiners.

Borussia Mönchengladbach: Fans wollen Handschuhe von Gianluigi Buffon nicht
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Borussia-Fans wollen Buffons Handschuhe nicht

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Foto: Screenshot Sky

6. Im 0-6-4 gegen ein 5-3-1 So ging es nach der Pause weiter, die Partie stand für Borussia auf der Kippe. Doch dann sorgte Hernanes, der 2013 schon mit Lazio Rom und einem Kopfschutz in Gladbach zu Gast war, mit seinem überharten Einsteigen gegen Alvaro Dominguez dafür, dass Juventus seine Offensivbemühungen auf ein Minimum reduzierte. In Überzahl spielten Granit Xhaka und Dahoud jeweils mehr erfolgreiche Pässe als alle Gegner zusammen. Juventus-Coach Massimiliano Allegri brachte Innenverteidiger Andrea Barzagli für Mittelstürmer Alvaro Morata. Gegen das 5-3-1 der Italiener kam die Borussia nur noch zu zwei Chancen durch Lars Stindl und Thorgan Hazard, die Gianluigi Buffon beide herausragend vereitelte.

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4. Spieltag: Pressestimmen

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7. Viele wundern sich über wenige Auf dem Rasen hatte sich Buffon in der Tat nicht als Borussia-Fan geoutet. Dabei ist seine Schwärmerei schon so oft zitiert worden: "Dieser Name. So lang, so schwierig, dieser Name hat mich immer gereizt. Als kleiner Junge konnte ich ihn nicht aussprechen, eigentlich kann ich es immer noch nicht." Dass er im Spätherbst seiner Karriere einmal in Mönchengladbach auflaufen würde, hätten bis vor kurzem weder Buffon noch die Borussen für möglich gehalten. Nach dem Abpfiff kletterte die Torwartlegende über die Werbebande vor der Nordkurve, um seine Handschuhe gegen einen Gladbach-Schal zu tauschen. Dort wurde er abgewiesen und nun fragt sich Borussias Fanszene beinahe unisono, wer sich da derart respektlos verhalten konnte. "Klotzköpfe" ist in den Foren und sozialen Netzwerken noch eine der netteren Bezeichnungen. Führende Vertreter der Ultraszene entschuldigten sich immerhin für die mangelnde Gastfreundschaft einiger weniger bei der italienischen Torwart-Legende und überreichten ihr einen Schal. So wurde es unserer Redaktion bestätigt.

Borussia Mönchengladbach: Hernanes von Juventus Turin sieht Rot
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Hernanes fliegt in Gladbach mit Rot vom Platz

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8. Deutliches Zeichen Während Josip Drmic die große Bühne nur von außen sehen durfte, hat eine kleine Bühne Interesse an den Diensten des Schweizers bekundet. "Wenn es möglich ist, wird sich 96 um ihn bemühen", sagte Christian Möckel, Hannovers neuer sportlicher Leiter. Vielleicht wäre Drmic am Dienstagabend sogar eine gute Option für seinen aktuellen Verein gewesen, nachdem sein Auftritt im DFB-Pokal beim FC Schalke eine einzige Enttäuschung gewesen war. Doch diesmal verlagerte die Borussia das Spiel in Überzahl immer wieder nach außen, sodass zahlreiche Flanken von Oscar Wendt, Ibrahima Traoré und Havard Nordtveit ins Zentrum segelten. Dass Schubert sie lieber ins Nichts segeln ließ, anstatt Drmic wenigstens für zehn Minuten zu bringen, muss dem Angreifer zu denken geben.

9. Die Serie hält Einen echten Vorwurf muss man Schubert jedoch hinsichtlich seiner Kleiderwahl machen. Wieder stand er in der Champions League im Anzug am Spielfeldrand, wieder gab es keinen Sieg — obwohl vom Trainer-Dresscode doch gar nichts in den Uefa-Regularien steht. Die Fraktion der Abergläubischen dürfte beim Anblick dieser Statistik ein paar Tabletten gegen Bluthochdruck einwerfen:

10. Dahoud für Deutschland? Lars Stindl lief 12,2, Juves Claudio Marchisio kam auf 12,4, dazwischen ordnete sich Mahmoud Dahoud mit 12,3 Kilometern auf dem zweiten Platz der Spieler ein, die am Dienstag die größte Distanz zurücklegten. Der Lattenknaller des 19-Jährigen kurz vor dem 1:0 war der schönste Schuss des Abends. Nur fünf seiner 73 Pässe kamen nicht an, in der eigenen Hälfte verlor er den Ball gar nicht. Bis im Mai der Kader für die Europameisterschaft bekanntgegeben wird, dürfte Dahoud nicht weniger internationale Erfahrung gesammelt haben als Christoph Kramer vor seinem persönlichen Sommermärchen 2014. Dahoud spielt zwar nicht beim VfB Stuttgart, den Joachim Löw angeblich bevorzugt, schrieb jemand zynisch bei Twitter. Aber ein gebürtiger Syrer für Deutschland bei der EM? Das wäre eine Integrationsstory, wie sie der DFB doch besonders liebt. Wenn Dahoud so weitermacht, muss Löw zumindest darüber nachdenken. Aus rein sportlichen Gründen.

(jso)
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