Borussia Mönchengladbach Das unglaubliche Ecken-Tor und die schnellste Schnecke

Mönchengladbach · Die Bilanz stimmt bei Borussia Mönchengladbach. Aber zwei Last-Minute-Tore in der Bundesliga verschleiern ein wenig, wie bieder es momentan zugeht. Dabei sah es in dieser Saison – trotz Rotation und Rastlosigkeit – schon deutlich besser aus.

Branimir Hrgota trifft in der Nachspielzeit
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Joker Hrgota trifft in der Nachspielzeit

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Foto: Dirk Päffgen

Die Bilanz stimmt bei Borussia Mönchengladbach. Aber zwei Last-Minute-Tore in der Bundesliga verschleiern ein wenig, wie bieder es momentan zugeht. Dabei sah es in dieser Saison — trotz Rotation und Rastlosigkeit — schon deutlich besser aus.

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Wenn das riesige Statistik-Repertoire rund um die Bundesliga ein dicht bewaldetes Gebiet ist, sind offizielle Zahlen zu Eckbällen eine Wüste. Somit bedarf es ein wenig Schätzung und Ausschlussverfahren, um möglichst exakt benennen zu können, welch ein historisches Ereignis in der 92. Minute des Auswärtsspiels beim Hamburger SV stattfand. Das Ereignis selbst lässt sich leicht beschreiben: Max Kruse brachte eine Ecke herein und es fiel ein Tor. Vergangene Saison hatte er es 126-mal erfolglos versucht. In dieser Saison kommt die Borussia insgesamt auf 107 Ecken in der Bundesliga, die Mehrheit davon schlug Kruse, womit er am Sonntag in Hamburg über beide Jahre verteilt womöglich schon im Bereich jenseits der 200 unterwegs war. Wer sich auf die Suche nach Eckball-Statistiken begibt, findet auf den hinteren Seiten bei Google übrigens viele verzweifelte Einträge aus Wettforen mit ähnlichen Anliegen.

2. Im 61. Anlauf

Zehn Euro auf ein Tor nach einer Kruse-Ecke müssten ein Leben in Saus und Braus bedeuten. In Kombination mit einem weiteren Negativlauf, der in Hamburg endete, könnte die richtige Wetten-Platzierung einen Eintrag in der Forbes-Liste mit den reichsten Menschen der Welt beschert haben. Denn Kruses Eckball brachte zusätzlich Borussias erstes Jokertor in der Bundesliga seit Christoph Kramers Treffer gegen den VfB Stuttgart am ersten Spieltag. 931 Minuten lang hatten sich sämtliche Einwechselspieler vergeblich bemüht. Der 61. Favre-Joker stach wieder. Dass ausgerechnet Branimir Hrgota nach zuvor 28 erfolglosen Anläufen erfolgreich war, setzt dem Tor endgültig die Krone auf.

3. Ein bisschen Brechstange

Natürlich muss man bedenken, dass Lucien Favre selten Spieler einwechseln muss, um einer Partie noch die Wende zu geben. Zum achten Mal im 33. Saisonspiel lag Gladbach in der Schlussphase eines Spiel zurück (als Schlussphase seien die letzten 20 Minuten definiert). Auf der Zielgerade einer Partie hat die Borussia bislang noch keinerlei Punkte liegen gelassen, aber immerhin spät schon vier erobert. Gegen Hamburg klappte es auch, weil Favre mal etwas wagte und für seine Verhältnisse beinahe die Brechstange herausholte (also einen Offensivspieler für einen Sechser oder Verteidiger brachte). Das hat Seltenheitswert, nur beim 1:3 gegen Frankfurt und beim 0:1 in Wolfsburg hatte der Trainer es ähnlich versucht.

4. Rotations-Rekord

Scorerliste Borussia Mönchengladbach 2014/15
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Borussias Scorerliste 2014/15

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Foto: dpa, dna jai

Das Thema "Favre und die Wechsel" ist normalerweise zwischen den Spielen präsent. Als um kurz vor halb drei die Aufstellung bekannt wurde, schien sich Borussias Trainer als abergläubisch zu outen. Mit exakt fünf Neuen in der Startelf hatte es zuletzt vier 0:1-Niederlagen in Folge zu gegeben. Konsequenterweise gab es erstmal sechs Änderungen — Julian Korb für Alvaro Dominguez, Havard Nordtveit für den gesperrten Granit Xhaka und eine komplett neue Offensivabteilung. "Immer wenn Favre mindestens fünfmal wechselt, verliert Gladbach 0:1" — Texte mit diesem Satz waren vermutlich bereits geschrieben, als die Nachspielzeit anbrach.

5. Eine Frage der Sichtweise

Dass Rotation nicht gleich Rotation ist, lässt sich am Beispiel des Hamburger SV und der Borussia bestens verdeutlichen. HSV-Coach Joe Zinnbauer vertraute nach dem 0:8-Debakel beim FC Bayern auf sieben Neue — wobei man gleich einmal das Wort "vertraute" in diesem Satz anzweifeln darf. Insgesamt haben Zinnbauer und sein Vorgänger Mirko Slomka in dieser Bundesliga-Saison 31 Spieler eingesetzt. Lucien Favre, dessen Vorgänger Michael Frontzeck vor vier Jahren entlassen wurde, hat 18 Spieler eingesetzt, von denen alle mindestens in der Hälfte der Partien zum Einsatz kam.

6. Nur ausgeruht richtig gut

Nach dem neunten Post-Europa-League-Spiel ohne anschließenden Sieg in der Bundesliga liegt inzwischen die Frage nahe, ob es für Borussias Ambitionen nicht besser wäre, gegen den FC Sevilla auszuscheiden. Sonntagsspiele im Anschluss an internationale Auftritte endeten siebenmal Unentschieden, zweimal verlor Gladbach. Frappierend ist auch der Unterschied, wenn man die Regenerationszeit zwischen den Spielen berücksichtigt, unabhängig vom Wettbewerb:

Drei Tage Pause: 5S-7U-4N, 22 Pkt. in 16 Spielen
Mindestens vier Tage Pause: 12S-3U-2N, 39 Pkt. in 17 Spielen

7. Erfolgs-Blaupause

In einer Liga, die momentan zum Spektakel neigt, zählt die Borussia zu den biederen Vertretern. Davon zeugen nicht nur 47 Tore in 22 Spielen mit Gladbacher Beteiligung, was nach dem 1. FC Köln (45) und dem Hamburger SV (46) die zurückhaltendste Bilanz ist. Wann aber war der VfL in dieser Saison sowohl erfolgreich als auch attraktiv? Über einen Zeitraum von fünf Partien lief es zwischen dem 18. Oktober und dem 2. November 2014 am besten, als es es vier Siege und ein Unentschieden für die Damals-noch-ungeschlagen-Borussia gab: 3:0 in Hannover, 5:0 gegen Limassol, 0:0 gegen die Bayern, 2:1 in Frankfurt, 3:1 gegen Hoffenheim. Das war die beste Mischung aus Kontrolle, Hurra und Rotation — 13:2 Tore, zweimal mehr und dreimal weniger Ballbesitz als der Gegner, vier Wechsel im Schnitt. Favre konnte bringen, wen er wollte. Sogar Ausfälle auf der Doppelsechs (je zweimal Kramer und Xhaka) fielen nicht ins Gewicht.

8. Dritter mit Glück

Borussias zweifellos immer noch vorhandener Erfolg hat derzeit eine fragile Basis. Dass nach dem Verlauf der vergangenen beiden Spieltage Platz drei zu Buche steht, liegt auch an den Versäumnissen der Konkurrenz. Da wären ja nicht nur Gladbachs Last-Minute-Tore gegen Köln und Hamburg, die insgesamt drei Punkte mehr brachten. Verdient mögen sie gewesen sein, doch derart späte Treffer gelingen so selten, dass man — neben anderen Faktoren — nicht um das Wort Glück herumkommt. Drei Bonuspunkte für Gladbach in der Nachspielzeit, während Schalke, Augsburg und Leverkusen in zwei Spielen fünf verloren haben. So sähe die Tabelle aus, wenn ein Fußballspiel am 21. und 22. Spieltag wirklich 90 Minuten gedauert hätte:

Tabelle ohne Nachspielzeit der letzten beiden Spieltage: 3. Schalke 37 4. Leverkusen 36 5. Gladbach 34 6. Augsburg 34

9. Im Schneckenrennen am schnellsten

Von den Mannschaften, die vor diesem Wochenende auf den Plätzen 3 bis 14 gelegen hatten, gelang keiner ein Sieg. Es geht nur schleppend voran in der Liga, wofür die Borussia nicht einmal das beste Beispiel ist, weil auch Schalke und Augsburg, aber vor allem Leverkusen Ansprüche anmelden im Schneckenrennen. Nach 22 Spieltagen hat der Tabellendritte seit Einführung der Drei-Punkte-Regel nie weniger Zähler gesammelt. 37 aus 22 — diese Bilanz hatte 1996 ebenfalls Gladbach vorzuweisen, mit einem ausgeglichenen Torverhältnis von 35:35.

10. Es geht auch deutlich

Um ohne Elfmeterschießen weiterzukommen, muss die Borussia gegen Sevilla auf jeden Fall vom Binärcode abweichen, getreu dem Motto: Die Zwei muss stehen. Obwohl es meistens eng zugeht, hat Gladbach ja bewiesen, dass es auch anders geht. Neunmal hat das Favre-Team mit mindestens zwei Toren Differenz gewonnen — gegen Homburg, Sarajevo, Limassol, Zürich, Schalke, Hoffenheim, Hannover und Bremen. Beileibe nicht nur Fallobst war dabei.

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