Christoph Kramer im Interview "Einen Flow kann man sich nicht einreden"

Mönchengladbach · Auf Borussias Doppelsechs ist Christoph Kramer gesetzt – nur ein kleiner Knockout hat ihn in dieser Saison bislang um ein paar Minuten gebracht. Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt er, wie eine Mannschaft ins Rollen kommt und wie er seine neuen Nebenleute sieht.

Porträt: Das ist Christoph Kramer von Borussia Mönchengladbach
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Das ist Christoph Kramer

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Foto: Dirk PŠffgen/Dirk Paeffgen (dirk)

Christoph Kramer kann, wie es im Fußball gerne heißt, am Sonntag befreit aufspielen gegen Werder Bremen. Der Grund: In dieser Woche hat er die Maske abgelegt, die sein gebrochenes Nasenbein im Training und im Spiel schützen sollte. Im Interview mit unserem Redakteur Jannik Sorgatz spricht er über Kopfverletzungen, seine Trikotsammlung und "die berühmte Schnelllebigkeit des Geschäfts".

Herr Kramer, die Maske ist weg. Dieter Hecking hat nach dem Hannover-Spiel vor zwei Wochen verraten, dass Ihr Einsatz auf der Kippe stand. Wie groß war die Beeinträchtigung?

Kramer Es war auf jeden Fall eine, das hätte ich nicht gedacht. Die Maske drückt ein wenig auf die Nebenhöhlen, und vor allem beim peripheren Sehen gibt es Probleme. Man muss immer so runtergucken, das behindert einen schon, wenn man den Ball schnell von A nach B spielen will. Einigermaßen habe ich es mit Maske hinbekommen, bin aber froh, dass sie jetzt weg ist.

Diesmal war es ein Nasenbeinbruch. Der fehlte noch in Ihrer Kopfverletzungs-Biografie.

Kramer Es war zum Glück ein gerader Bruch, der nicht operiert werden musste. Alles ist glatt verheilt.

Die Verletzung haben Sie erlitten, nachdem Sie drei Tage vorher den Fuß von Leipzigs Naby Keita ins Gesicht bekommen hatten.

Kramer Da denkt man sich schon: Boah, das muss jetzt echt nicht sein! Aber es bringt ja nichts, damit zu hadern. Es war schon ein ordentlicher Treffer. Ich habe auf jeden Fall gemerkt, dass mit der Nase etwas nicht stimmt. Da hat der Doc einmal gefühlt und sofort gemerkt, dass sie wohl gebrochen ist.

Mediziner kritisieren häufig, dass Fußballer bei Kopfverletzungen nicht genug Vorsicht walten lassen. Nach dem Motto: Wenn mit den Beinen alles in Ordnung ist, läuft es schon.

Kramer Ich bin da sehr, sehr sensibel. Nach solchen Kopftreffern lasse ich mich immer durchchecken, beim Neurologen, beim HNO-Arzt. Das ist eine gefährliche Sache, bei der man aufpassen muss. Ich bin froh, dass ich bis auf zweimal ohne Gehirnerschütterungen ausgekommen bin. Zuletzt gegen Leipzig und Stuttgart war es jeweils keine, was ich mir auch schon gedacht hatte. Trotzdem lasse ich sowas abklären beim Arzt, das mache ich aber bei Rückenverletzungen oder so auch. Dann hat man Ruhe.

Waren Sie vor Ihrer inzwischen legendären Gehirnerschütterung im WM-Finale 2014 schon so sensibilisiert für das Thema?

Kramer Alles am Kopf oder in der Nähe ist immer heikel. Aber es ist nicht so, dass ich davor Angst habe und Zweikämpfen aus dem Weg gehe. Ich thematisiere das auch nicht übermäßig. Vor zwei Wochen hatte ich eben mal Pech mit zwei Platzwunden, davor hatte ich mein ganzes Leben noch keine.

Aber es ist nun einmal so: Man googelt Ihren Namen und bekommt Bilder von Ihrem Knockout gegen Argentinien angezeigt. Oder ist das vor allem Folklore?

Kramer Es war halt ein besonderes Spiel. Mario Götze hat 100 tolle Spiele gemacht, aber bei Google kommt sein Tor im WM-Finale. Ich hatte in 21 Jahren Fußball zwei Platzwunden, ein Schleudertrauma und eine Gehirnerschütterung. Natürlich verbindet man das mit meinem Namen, aber man muss auch die Kirche im Dorf lassen. Es war ein kleiner Bruch jetzt, deshalb musste ich die Maske tragen, das haben schon andere Fußballer vor mir gemacht.

Kein statistischer Zufall sind dagegen all die Trikots in Ihrer Sammlung, die Sie zuletzt bei Instagram präsentiert haben. Eines von Marcos Rojo mit der Nummer 16 war auch dabei – das ist der Argentinier, der Sie im WM-Finale in die Schulter von Ezequiel Garay geschubst hat.

Kramer Neenee, das Trikot ist vom Freundschaftsspiel kurz danach, aber von Sergio Agüero. Da ist nur kein Name drauf, warum auch immer. Meins aus dem WM-Finale habe ich behalten.

Sie haben mal erzählt, dass Sie sehr an Geschichte interessiert sind. Dazu passt das Trikotsammeln – da geht es eben um Ihre eigene.

Kramer Ich finde es immer schön, solche Trophäen mitzunehmen. Als Kind wollte ich immer alle Trikots haben, und jetzt habe ich das Privileg, dass ich auch alle bekomme.

Die Sammlung ist bunt gemischt. Weltstars wie Luis Suárez sind genauso dabei wie Spieler, die Sie aus Ihrer Jugend kennen, Kevin Kampl zum Beispiel. Von dem haben Sie ein Aalen-Trikot. Wenn Sie die alle ausbreiten, haben Sie Ihre gesamte Laufbahn vor Augen.

Kramer Genau, das finde ich auch interessant. Welche aus der Regionalliga sind dabei, 2. Bundesliga, Bundesliga, Champions League, Nationalmannschaft. Das zeigt einem, dass man viel erlebt und viel geschwitzt hat in seiner Karriere, in den verschiedensten Ligen.

Wie viele sind es insgesamt? 82 waren auf dem Foto zu sehen.

Kramer Das war jetzt bei meinen Eltern in Solingen, bei mir zu Hause habe ich noch welche, dazu ein paar eigene. Also sind es vielleicht so 110.

Was passiert damit nach Ihrer Karriere?

Kramer Wenn ich irgendwann ein Eigenheim besitze, werde ich einen eigenen Raum dafür bauen und die da alle aufhängen.

Wie läuft das auf dem Rasen: Weiß man schon vorher, mit wem man tauschen will?

Kramer Das geht immer ganz spontan.

Mit wem Sie morgen in Bremen tauschen wollen, steht also nicht fest?

Kramer Ein Max-Kruse-Trikot habe ich schon, der ist ohnehin verletzt. Aber ich tausche auch nicht immer.

Gibt es eine Obergrenze vom Verein?

Kramer Nicht dass ich wüsste. Bislang ist keiner eingeschritten, aber wenn mir unser Zeugwart Marcus Breuer eine Rechnung stellt, bezahle ich die natürlich.

Sportlich macht Borussia nach sieben Spieltagen den Eindruck, als sei sie noch nicht richtig angekommen in der Saison. Zwei Siege in Folge gab es noch nicht, Bremen ist die nächste Gelegenheit.

Kramer Das Ziel ist natürlich, in einen Flow zu kommen. Bremen ist eine heimstarke Mannschaft und hätte so Spiele wie gegen Schalke, wo sie auch viel Pech hatte, gewinnen müssen. Die Bremer stehen sicherlich mit dem Rücken zur Wand. Man darf bei aller Kritik an unseren Auftritten auch nicht vergessen, dass wir schon in Leipzig und Dortmund gespielt haben, da sind elf Punkte aus sieben Spielen okay bis gut. Mit den drei, die uns wegen der Niederlage gegen Frankfurt fehlen, wäre es sehr gut. Natürlich wollen wir in Bremen gewinnen, aber es wird niemanden überraschen, wenn ich sage, dass das in dieser Liga nicht so einfach ist.

Für die Bundesliga ist das typisch. So viele Spiele können mit einer Aktion kippen. Viele sagen, das zeuge nicht von Qualität.

Kramer Oder es ist gerade ein Qualitätsmerkmal. Nehmen wir den spanischen Fußball, da sind immer dieselben vier, fünf Mannschaften oben. In der Bundesliga kämpfen viele Mannschaften um die europäischen Plätze, das kann sich schon sehen lassen. Und im internationalen Vergleich mag die Bundesliga jetzt zweimal schlecht gepunktet haben, ist in den Jahren davor aber in der Fünf-Jahres-Wertung geklettert. Der langfristige Trend ist schon positiv.

Man könnte sagen, Borussia selbst kommt die Betonung kurzfristiger Trends ebenfalls nicht zugute.

Kramer Das ist halt die berühmte Schnelllebigkeit des Geschäfts, das lässt sich nicht ändern. Es geht von Tag zu Tag, von Spiel zu Spiel. Vieles wird schnell in Frage gestellt, da ist es wichtig, als Verein selbst ruhig zu bleiben. Und das sind wir hier bei Borussia.

Gelingt es denn wirklich, eine Art Glocke über die Mannschaft zu stülpen und nichts an sich heranzulassen?

Kramer Natürlich kommt alles bei einem an. Es ist dann abhängig vom Typen, ob es einen belastet. Aber man sollte sich nichts zu Herzen nehmen, weil es immer eine brutale Momentaufnahme ist.

Sie gehören zumindest zu der Fraktion, die nicht abstreitet, dass sie auch Berichterstattung konsumiert.

Kramer Um das Gesamtbild rund um den Verein zu kennen, muss ich ja keine Artikel lesen. Die Stimmung in der Presse und bei den Fans bekommst du schon mit als Spieler.

Momentan wird vor allem das spielerische Niveau bei Borussia bemängelt. Sie haben es gesagt: Der Flow fehlt.

Kramer Einen Flow kann man sich nicht einreden, den kann man auch nur bedingt antrainieren. Die Leichtigkeit kommt brutal über die Ergebnisse, dadurch gewinnst du an Selbstvertrauen.

Sie scheinen Ihren Platz im Mittelfeld sicher zu haben. Als Sie wegen der Maske fraglich waren, hat der Trainer die Entscheidung Ihnen überlassen, ob Sie sich einen Einsatz zutrauen.

Kramer Jeder muss sich dem natürlichen Konkurrenzkampf stellen. Das Vertrauen genieße ich auf jeden Fall sehr, da bin ich aber nicht der Einzige. Es gibt schon einen Stamm. Doch darauf darf man sich nie ausruhen und muss Leistungen zeigen. Das ist überall so.

Mo Dahoud, Ihr Partner auf der Doppelsechs, ist gegangen. In Denis Zakaria und Michael Cuisance sind zwei Sechser gekommen. Wie schätzen Sie beide ein?

Kramer Denis ist sehr wuchtig, hat sehr viel Dynamik, sehr viel Power. Er ist sehr schnell, was gar nicht so aussieht, weil er so eine große Übersetzung hat. Dazu technisch gut ausgebildet, das ist mir schon in einem Freundschaftsspiel aufgefallen, das wir vor den Play-offs in der Champions League mal gegen Bern hatten. Mika ist noch jünger, ein super Fußballer. In ein paar Situationen übertreibt er es vielleicht noch, aber das wird er lernen. Ich bin ja bekanntlich immer sehr offen und ehrlich, aber über die beiden kann ich kein negatives Wort verlieren. Ehrgeizig sind sie auch noch.

(jaso)
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