Borussia Mönchengladbach Vier Varianten einer Saison

Mönchengladbach · Was gewesen wäre, wenn ... City statt Bern kommt, Elfmeter gegen den HSV drin sind, oder zwei Spiele anders ausgehen.

 André Hahns Elfmeterschuss auf dem Weg Richtung HSV-Tor: Im Original hält René Adler den Ball, in der Variante ist er drin und Borussia hat kein Torproblem.

André Hahns Elfmeterschuss auf dem Weg Richtung HSV-Tor: Im Original hält René Adler den Ball, in der Variante ist er drin und Borussia hat kein Torproblem.

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Was gewesen wäre, wenn André Hahn in der vierten Minute der Nachspielzeit des Spiels gegen den FC Augsburg nicht den Ball ins Tor gerutscht hätte, ist leicht zu beantworten: Borussia hätte 0:1 verloren, und diese Niederlage hätte wohl das vorzeitige Ende der Europa-Träume bedeutet. Tatsächlich aber gab es dieses 1:1. Und somit ist eine weitere internationale Saison eine der noch offenen Optionen.

Nichts zu holen in Leverkusen. Borussia verliert 1:2 statt 3:2 zu siegen.

Nichts zu holen in Leverkusen. Borussia verliert 1:2 statt 3:2 zu siegen.

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Erst im Rückblick wird sich erweisen, welchen Wert Hahns Treffer tatsächlich hat. In der Retrospektive auf eine Saison finden sich stets solche Punkte, die, wären sie anders ausgefallen, einen großen Unterschied gemacht hätten. Das echte Leben lässt Varianten nicht zu, allein darf spekuliert werden, in der Fiktion jedoch ist es möglich, sie passieren zu lassen.

City statt Bern - in der Variante gibt es keine keine Champions League.

City statt Bern - in der Variante gibt es keine keine Champions League.

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Wie in Paul Austers Roman "4321". Dort wird das Leben der Hauptfigur, Ferguson, in vier Varianten erzählt. "Ja, alles war möglich", lässt Auster seinen Helden sagen, "und nur, weil es auf eine bestimmte Weise geschah, hieß es noch lange nicht, dass es nicht auf eine andere Weise geschehen könnte. Die Welt könnte dieselbe sein, und doch wäre sie eine andere Welt." Lassen wir uns auf das Experiment ein. Denken wir neuralgische Punkte der Borussen-Saison anders. Es ist eine Konfrontation mit dem Konjunktiv, dem Hätte, Wenn und Aber und möglichen Konsequenzen.

Variante 1

Schachtjor Donezk gewinnt in der dritten Qualifikationsrunde zur Champions League im Elfmeterschießen gegen die Young Boys Bern. Borussia bleibt damit bei der Play-off-Auslosung ungesetzt und bekommt es, das Schicksal lässt sich das Wiedersehen auch in der Variante nicht nehmen, mit Manchester City zu tun. Daheim kommt Gladbach über ein 1:1 nicht hinaus und verliert dann 0:4 bei Pep Guardiolas Starensemble. Die zweite Champions-League-Teilnahme gibt es nicht, stattdessen spielt Borussia in der Europa League. Dort bekommt Borussia eine machbare Gruppe, wie Bern mit Apoel Nikosia, Olympiakos Piräus und FK Astana, und zieht ins Sechzehntel-Finale ein. Doch was wäre alles nicht passiert! Das großartige Heimspiel gegen den FC Barcelona, das Erlebnis Glasgow mit dem ersten Auswärtssieg in der Champions League, die grandiose Stimmung im Celtic-Park, später der Trip ins Camp Nou zum FC Barcelona und schließlich das wohlige Gefühl, sich in der Königsklasse erstmals Platz drei erkämpft zu haben. Nach der Enttäuschung in den Play-offs geht der Liga-Start gegen Leverkusen daneben und nach der Niederlage in Freiburg ist der Druck gegen Bremen so groß, dass es nur zu einem Remis reicht. Die Saison entgleitet den Borussen früh, sie retten sich letztlich mit 16 Punkten in die Winterpause, weil Raffael, der sich in dieser Variante gegen Barcelona nicht verletzt hat, am Ende aufdreht. Borussia überwintert immerhin im Pokal und in Europa. Das letzte Spiel gegen Wolfsburg geht verloren, ins neue Jahr geht Gladbach mit dem neuen Trainer Dieter Hecking.

Variante 2

André Hahn verwandelt den ersten Elfmeter im Spiel gegen den Hamburger SV nach 26 Minuten. Von da an läuft alles für Gladbach, zumal nach dem 2:0 durch Lars Stindl, dessen Elfmeterschuss von der Unterkante der Querlatte ins Tor prallt. Fabian Johnson und Nico Elvedi mit seinem ersten Profi-Tor in der Nachspielzeit sorgen für den 4:0-Endstand. Borussia hat das 0:4 auf Schalke gut verkraftet. Das gibt Selbstvertrauen. Gladbach saugt aus dem HSV-Torfestival Energie, siegt auch in Glasgow, kommt nach einer Niederlage beim FC Bayern im Pokal gegen Stuttgart weiter, und schlägt Eintracht Frankfurt durch einen Gewaltschuss von Oscar Wendt 1:0. In Berlin gibt es beim 1:1 den zweiten Auswärtspunkt und dann den Derby-Sieg gegen Köln. Insgesamt sammeln die Borussen bis zum 16. Spieltag 27 Punkte dank der Heimsiege gegen Mainz (1:0) und Wolfsburg (2:1) ein. In der Champions League gibt es einen Heimsieg gegen Glasgow, ein 1:1 gegen City und ein achtbares 0:2 in Barcelona, bei dem sich die Gladbacher gut verkaufen. Borussias Heimstärke legt eine ausgesprochen gute Basis für den Rest der Saison, sie geht als Sechster in die Winterpause und überwintert im DFB-Pokal und in der Europa League.

Variante 3

Dieter Hecking, der neue Trainer, hat in seinem Debütspiel ein 0:0 aus Darmstadt mitgebracht. Nun geht es nach Leverkusen. Borussia beginnt ordentlich, kassiert dann aber zwei Standard-Gegentore und liegt 0:2 zurück zur Pause. Lars Stindl schafft zwar früh den Anschluss, danach jedoch verhindert ein großartiger Bernd Leno weitere Treffer des Gladbacher Kapitäns. Die 1:2-Niederlage ist bitter - die Borussen sind sichtlich angeschlagen, da sich die dürftige Auswärtsbilanz nahtlos fortsetzt im neuen Jahr, der Schwung des Trainerwechsels droht schnell zu verpuffen. Freiburg wird besiegt, doch bei den wankenden Bremern kassiert Heckings Team in letzter Minute den Ausgleich, der nächste Rückschlag. In Florenz (2:2) kann Gladbach das Heim-0:1 nicht wettmachen, in Hamburg geht das Pokalspiel 0:1 verloren durch ein spätes Tor von Bobby Wood. So bleiben Gladbach die bitteren Ausscheide-Erfahrungen gegen Schalke und Frankfurt in dieser Variante zwar "erspart", doch in der Liga geht es nur noch darum, nicht auf den Relegationsplatz abzurutschen - bis zum letzten Spieltag.

Variante 4

André Hahn erzielt bei 1899 Hoffenheim nach der Flanke von Oscar Wendt mit einer Direktabnahme am langen Pfosten das 3:2. Borussia hat das Spiel nach dem 0:2-Rückstand gedreht und siegt nach einem weiteren Konter 4:2. Nach dem 1:0 gegen Berlin und dem 3:2 im Derby in Köln ist es der dritte Sieg in Serie. Im Heimspiel gegen Dortmund wehrt Yann Sommer kurz vor Schluss den Kopfball von Raphaël Guerreiro ab, es bleibt beim 2:2. Die seit fünf Ligaspielen unbesiegte Borussia strotzt vor Selbstvertrauen, geht von der ersten Minute an mutig ins Pokalhalbfinale gegen Frankfurt und gewinnt 2:0. Der Pokalfinalist siegt dann 2:1 in Mainz und holt trotz des schwachen Spiels gegen Augsburg noch das 1:1, wie in Hoffenheim ist Hahn der Tor-Held. Zwei Spiele vor Schluss ist Heckings Team mit 47 Punkten Fünfter. Die Ausgangslage vor den letzten beiden Spielen ist glänzend und der Traum vom ersten Titel seit 22 Jahren lebt - weil ein Ball nicht am Pfosten, sondern knapp daneben landete.

Verlassen wir den Konjunktiv, betrachten wir den Status quo: Platz 9, 43 Punkte, die Ausgangslage, sagt Dieter Hecking, "hat sich nicht verbessert, aber noch immer haben wir zwei beziehungsweise drei Punkte Abstand auf die Klubs auf den Plätzen sechs und sieben. Es ist noch möglich, den Sprung auf einen dieser Plätze zu schaffen". Als Hecking übernahm, liefen die Borussen Gefahr, Abstiegskämpfer zu werden. "Wir haben es recht souverän geschafft, uns da den nötigen Abstand zu verschaffen", sagt Hecking. Borussia ist derzeit die sechstbeste Rückrundenmannschaft und kann noch dafür sorgen, dass es die zweitbeste Rückrunde seit 1993 wird. Es kann aber auch anders kommen ...

(kk)
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