Borussia Mönchengladbach "Bierkönig" Raffael und Extraschicht für Sommer

Stuttgart · André Schubert schafft, was Weisweiler, Lattek und Heynckes nicht gelungen ist. Der Interimscoach will nach dem 3:1 in Stuttgart jedoch erst einmal Elfmeter trainieren – um seinem Torwart zu helfen. Solche Witze sind nach zwei Siegen in einer Woche ausnahmsweise erlaubt.

Borussia Mönchengladbach: Alle Bundesliga-Trainer - Seoane mit Punkteschnitt 1,11
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Foto: dpa/Marius Becker

André Schubert schafft, was Weisweiler, Lattek und Heynckes nicht gelungen ist. Der Interimscoach will nach dem 3:1 in Stuttgart jedoch erst einmal Elfmeter trainieren — um seinem Torwart zu helfen. Solche Witze sind nach zwei Siegen in einer Woche ausnahmsweise erlaubt.

  • 1. Wie zu Werners Zeiten

"Seit 1992 hat kein Trainer der Borussia sein erstes Bundesliga-Spiel verloren", hieß es am Mittwoch nach dem 4:2 gegen den FC Augsburg. Das kann man so stehen lassen, weil in der Geschichte von Nicht-Fahrstuhlvereinen nur die Bundesliga-Jahre richtig zählen. Das erspart Hobby-Historikern zum Beispiel eine intensive Auseinandersetzung mit der Spielzeit 1958/59 in der Oberliga West. Allerdings hätte man in Klammern hinzufügen können, dass Hans Meyer 1999 in seinem ersten Spiel in der 2. Bundesliga eine 1:2-Niederlage gegen Alemannia Aachen kassierte. Doch nach dem 3:1 beim VfB Stuttgart unter André Schubert sticht "die ersten zwei gewonnen" ohnehin "das erste nicht verloren" aus. Zwei Siege zum Auftakt waren in Borussias (Bundesliga-)Historie bislang nur Wolf Werner 1987 gelungen. Selbst Hennes Weisweiler, Udo Lattek und Jupp Heynckes ziehen den Hut.

  1. 2. 91:34 und 3:11

Der VfB Stuttgart macht eine Definition des Wortes "Glück" nicht leicht, obwohl 22:9 Torschüsse aus Sicht der Schwaben eine vermeintlich klare Sprache sprechen. Davon gingen jedoch acht daneben, acht wurden abgeblockt und die Statistiker verzeichneten für beide Teams genau zwei Großchancen, darunter auf Seiten des VfB der Elfmeter von Daniel Ginczek. 91:34 lautet die Stuttgarter Schussbilanz in vier Heimspielen, das Torverhältnis liegt bei 3:11. Die Borussia hielt sich also genau an den Schnitt, den Köln, Frankfurt und Schalke ihr vorgegeben hatten.

  1. 3. Zu viel Präsenz in der Gefahrenzone
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So erhält das Glück auf jeden Fall den Zusatz "verdient". Wobei das natürlich kein dauerhaftes Geschäftsmodell sein kann. In der Vorsaison war das Erfolgsgeheimnis der Borussia nur schwer in einem Satz unterzubringen. Wer es versuchen wollte, konnte sagen: "Während Gladbach im gegnerischen Strafraum die beste Passquote der Liga hatte, hatten die Gegner im Strafraum des VfL die schlechteste." Wenn die Borussia also vor dem gegnerischen Tor auftauchte, wurde es meistens gefährlich. Ihre Gegner ließ sie dagegen großzügig gewähren, hielt sie aber vom eigenen Tor weg und ließ höchstens ungefährliche Flanken aus dem Halbfeld sowie Weitschüsse zu. Auch in dieser Saison ist Gladbachs Torschussbilanz wieder erstaunlich unausgewogen — bei 11,6:15,6 liegt sie im Schnitt. Momentan erhält der Gegner jedoch zu viel Präsenz in der Gefahrenzone, daran muss André Schubert nun arbeiten.

  1. 4. Sondereinheit für Sommer

Wie oben beschrieben, finden Elfmeter per se als Großchancen Eingang in die Statistik, und ein Bestehen im Profifußball wird natürlich erheblich erschwert, wenn im Schnitt pro Spiel 0,89 Elfmeter gegen die eigene Mannschaft gepfiffen werden. Am Samstag gönnten sich Julian Korb und Havard Nordtveit nur einen Sekundenschlaf, was in diesem Sport jedoch genauso gefährlich ist wie im Straßenverkehr. Torwart Yann Sommer könnte als Rettungssystem fungieren, Autos bekommen das mittlerweile ja auch hin.

Doch der Schweizer wird dem Ruf des Elfmeter-Killers aus seiner Heimat im Gladbach-Trikot noch nicht gerecht. Neun von zwölf waren drin: Admir Mehmedi schoss drüber, Felix Kroos daneben und Kevin Gameiro an die Latte. Allein in seinen letzten drei Spielzeiten beim FC Basel fanden nur vier von elf Elfmetern den Weg an Sommer vorbei ins Tor. "Vielleicht können wir ab morgen Elfmeterschießen mit Yann üben, damit er vielleicht auch mal einen hält", sagte Schubert nach dem Stuttgart-Spiel. Immerhin war der Witz ein bisschen lustiger als Matthias Sammers Aussage, Robert Lewandowski stecke in einer "Krise", nachdem er auf seinen Fünferpack nur einen Doppelpack folgen ließ.

  1. 5. Nicht runterziehen lassen

Lucien Favre hätte es davor gegraut, wenn der Gegner der Borussia sein Spiel aufzwingt. Nur knapp 30 Minuten zog Gladbach in Stuttgart sein Ding durch mit ruhigem Aufbau und Beschleunigung im richtigen Moment — es waren die besten 30 Minuten. Ansonsten drückte der VfB und Befreiungsversuche glückten der Borussia erst wieder in der Schlussphase. Die Passquote stürzte auf 69 Prozent ab, unter 70 lag sie zuletzt im Dezember 2014 bei Bayer Leverkusen. Auch damals hatte der Gegner mit 22:7 Torschüssen ein deutliches Übergewicht und präsentierte sich als Pressingmaschine. Trotzdem nahm Gladbach beim 1:1 einen Punkt mit.

  1. 6. "Don't change a winning team too much!"

Nach der mutigen Aufstellung gegen Augsburg wollte Schubert zumindest bei Alvaro Dominguez nichts riskieren. Der Spanier hatte die Schlussphase beim 4:2 schon lieber mit Dehnübungen in der eigenen Hälfte überbrückt, anstatt bei Standards mit nach vorne zu gehen. Ansonsten ging die Rückkehr zur Kontinuität gegen Stuttgart voll auf, auch gegen Manchester City sollte es heißen: "Don't change a winning team too much!" Rotiert hat die Borussia in dieser Saison — wenn auch oftmals unfreiwillig — schon genug. Lediglich sechs Spieler standen im Schnitt mehr als eine Stunde auf dem Platz, aber 17 mehr als 30 Minuten.

  1. 7. Linkslastig

Dass Oscar Wendt neben Yann Sommer als einziger durchgespielt hat, ist ein schlecht gehütetes Geheimnis. Der Schwede verteidigte in Stuttgart zum 26. Mal in Folge 90 Minuten lang hinten links. Neuzugang Nico Schulz, die naheliegendste Alternative, stand nicht einmal im Kader. Dominguez wird innen gebraucht. Solange er das kräftemäßig hinbekommt, scheint Wendt momentan eine Einsatzgarantie zu haben. 38 Prozent aller Angriffe laufen in dieser Saison über seine Seite, nur Dortmund und Köln spielen linkslastiger.

  1. 8. Wie im "Bierkönig" auf Mallorca

Auf Platz drei der Einsatzminuten-Statistik steht Raffael, der Favres Vertrauen nach dessen Rücktritt doppelt zurückzahlt. Ein Tor und vier Vorlagen gehen unter Schubert auf sein Konto. Obwohl es auch in diesen beiden Spielen Auszeiten mit hängenden Schultern gab, bleibt eine andere — weil völlig ungewöhnliche — Szene im Gedächtnis: Bei einem Eckball kurz vor Schluss, es stand noch 2:1, peitschte Raffael die 5000 mitgereisten Borussia-Fan an wie ein Animateur auf Mallorca. Als zweifelhaftes Dankeschön gab es beim Torjubel nach dem 3:1 eine Bierdusche. Aber Animateure müssen das abkönnen.

  1. 9. Hahns Defizite

Am Samstagabend posteten die Social-Media-Vorreiter der Mannschaft ein Foto aus dem Flieger. Wer das Spiel gesehen hatte und nun auf die Sitzordnung achtete, fühlte sich bestätigt: André Hahn ist momentan hinten dran. Der 25-Jährige wird zwar regelmäßig eingewechselt und durfte in Sevilla sogar von Beginn an spielen. Mittlerweile fragt man sich aber, ob das wirklich dieser Hahn ist, der in Augsburg zum Nationalspieler wurde und in seinen Anfangswochen bei der Borussia als torgefährlicher Flügelflitzer mit enormer Willenskraft begeisterte. In den vergangenen beiden Spielen wurden vor allem seine technischen Defizite deutlich. Dass 14 von 24 Pässen in 55 Minuten nicht ankamen, spricht eine deutliche Sprache.

  1. 10. Ungenierte Freude

Max Eberls "Wir werden uns nicht abmelden"-Mantra liegt in der Zitate-Rangliste des Sportdirektors weit vorne. Nach dem Sieg gegen Stuttgart entstand nun der Eindruck, Eberl solle die Borussia am besten zum Favoriten gegen Manchester City ausrufen, das mit drei Niederlagen aus den vergangenen vier Spielen anreist. Am Mittwoch ist Champions League und in Mönchengladbach dürfen sich alle ungeniert darauf freuen. Vor einer Woche neigte man noch dazu, sich für die erstmalige Teilnahme zu entschuldigen. Sicher werden die 46.000 Zuschauer um 20.44 Uhr andächtig schweigen — noch einmal soll die Hymne nicht im Lärm untergehen, so dass von einem technischen Defekt die Rede ist.

(jaso)
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