Borussia Mönchengladbach Größer als Barcelona geht es nicht

Mönchengladbach · 1977 stand Borussia im Landesmeister-Finale. Es war das größte Spiel der Klubgeschichte. Das Barcelona-Spiel am Mittwoch wird in Zukunft kaum zu toppen sein.

 Borussia müsste schon wieder Titel gewinnen, um Größeres zu erleben als das Spiel gegen den FC Barcelona am Mittwoch.

Borussia müsste schon wieder Titel gewinnen, um Größeres zu erleben als das Spiel gegen den FC Barcelona am Mittwoch.

Foto: dpa, hrad nic

Größe ist im Fußball sehr variabel. Denn er neigt zu Superlativen, er überschwemmt uns damit regelrecht. Es gibt Spiele des Tages, Spiele des Jahres, Jahrhundertspiele. Groß, größer, größer geht immer. Die Zeit ist ein Faktor in dieser Geschichte, denn je mehr von ihr vergeht, desto verklärter werden die Dinge — oder sie werden relativiert. Jede Zeit hat ihre Größe — zumal, wenn es um einen Traditionsverein wie Borussia geht, einen Klub mit 116 Jahren Geschichte und einer Vergangenheit, die zeitweise überlebensgroß war.

Wer mal zu den besten Teams der Welt gehörte wie Borussia in den goldenen 70ern, der lässt späteren Generationen kaum Platz für neue Größe. Hennes Weisweilers Fohlenelf ist und bleibt der Maßstab für alles, was mit Borussia zu tun hat. Sie hat den Mythos geschaffen mit Toren, Tränen und Triumphen, denn selbst einige ihre Niederlagen waren größer als manche Siege der jeweiligen Gegenwart. Es gibt objektive und subjektive Kriterien, die Spiele zu großen Spielen machen. Die Relevanz zum Beispiel. Natürlich das Ergebnis. Aber auch das Gefühl.

Und nun steht gegen den FC Barcelona das "größte Spiel Borussias seit vielen Jahren" an, wie Gladbach-Legende Berti Vogts sagt. Er selbst war dabei im wohl größten Spiel der Vereinsgeschichte aller Zeiten (Stand heute, man darf im Fußball niemals nie oder immer sagen, Absolutismen gelten nie und werden immer ad absurdum geführt), gemessen am sportlichen Wert: Das ereignete sich am 25. Mai 1977 in Rom. Borussia stand im Finale des Landesmeisterwettbewerbs gegen den FC Liverpool. Aber: Das 1:3, die Lektion, die die "Reds" dem deutschen Meister erteilte, die verkleinert dieses Spiel gefühlt, mindestens ist es ein Makel. Aber einigen wir uns darauf: Mehr Champions League geht nicht. Das ist nur zu toppen durch ein erneutes Finale — und dann einen Sieg. Willkommen in Utopia.

Riesengroß sind natürlich die beiden Uefa-Cup-Endspiele von 1975 und 1979, genauer die Rückspiele, die entscheidend waren: das wundervolle 5:1 in Enschede, das Borussia zum 75. Vereinsjubiläum den ersten internationalen Titel bescherte. Als "historisch" definiert Borussia selbst in ihrer Chronik diesen Triumph. Der viel weniger spektakuläre Elfmeter-Sieg gegen Roter Stern Belgrad vier Jahre später durch das Tor von Allan Simonsen ist vom Gefühl her kleiner — aber immer noch groß.

Acht Jahre zuvor gab es das wohl wirklich größte Spiel der Vereinsgeschichte. Das 7:1 gegen Inter Mailand. Borussia war damals Meister, aber noch recht neu auf der internationalen Bühne. Und Inter, das war eine Institution mit Spielern wie Superstar Sandro Mazzola oder Jair. Und Borussia nahm dieses Inter, die Abwehrmaschine, am 20. Oktober 1971 unfassbar auseinander. Aber: Es flog eine Dose, und den Sieg gibt es offiziell nicht mehr. Er wurde annulliert. Große Geschichte. Die größte vielleicht. Die, die den Mythos Borussia mit geboren hat. Der Dosenwurf, der Pfostenbruch — legendär. Der ewige Platz 1a in der "Borussias-größte-Spiele-Liste". Und ganz sicher war es das größte Spiel aller Zeiten auf dem Bökelberg. Das kann man abschließend feststellen, denn es wird nie wieder Spiele auf dem Bökelberg geben. Er ist Geschichte.

Das wohl größte Spiel der 80er Jahre, das die Borussen machten, war das 5:1 gegen Real Madrid 1985. Das passierte in Düsseldorf — wie auch das 12:0 gegen Borussia Dortmund, das noch heute der höchste Sieg aller Bundesliga-Zeiten ist (Stand heute, siehe oben). Kurios: Der herrliche Erfolg gegen Real war am Ende ebenso nichtig wie das Torfestival gegen den BVB: In Madrid verlor Borussia 0:4, und gegen Dortmund fehlten dann doch drei Tore zur Meisterschaft anno 1978.

In den 90ern gab es den Pokalsieg von 1995, den nach wie vor letzten Titel. Und das 3:2 beim FC Arsenal in London, den ersten Sieg auf der Insel. Das waren große Ereignisse, durchaus von historischer Dimension. Danach kam die Tristesse.

Was internationale Super-Spiele anging, musste sich Borussia in jenen Jahren große Spiele erkaufen. Wie 2010, als sie sich den FC Liverpool als historische Reminiszenz zum 110. Geburtstag schenkte. Gerry Marsden sang "You‘ll never walk alone" live, das war großes Gänsehautkino. Zumindest für die Verfechter der Fanfreundschaft mit den "Reds" wird dieses Saisoneröffnungsspiel vom 1. August 2010 als eines der emotional größten Ereignisse der Klubgeschichte einsortiert.

Das emotional Mit-Größte, was der 2004 bezogene Borussia-Park bislang erlebte, war ein ganz kleines Spiel im Vergleich: das Relegationsspiel gegen den VfL Bochum im Mai 2011. Igor de Camargos Siegtor in der Nachspielzeit ist ein ewiger Gänsehaut-Moment, da darf man sich bei allem Respekt vor dem Einfallsreichtum des Fußballs festlegen. Dieses Tor hat die neue Zeitrechnung für die Borussen erst möglich gemacht. Wäre es nicht gefallen, wäre vielleicht alles anders gekommen.

Und da zeigt sich, wie fragil Größe sein kann: Wäre Borussia abgestiegen, wäre dieses Spiel gegen Bochum eines der traurigsten in der Vereinsgeschichte gewesen. Nun ist es eine historische Größe mit dem gigantischem "Weißt du noch"-Faktor. Wie gesagt: Jede Zeit hat ihre großen Spiele. Und dieses Spiel war Ende und Anfang zugleich (Stand heute): das Ende der ständigen Abstiegsangst, der Anfang der schönen, neuen Borussia-Welt.

In dieser muss Größe neu definiert werden. Borussia muss sich daran gewöhnen nach den Jahren, in denen größte Spiele den Wiederaufstieg in die Bundesliga brachten oder den Abstieg verhinderten, dass alles wieder einen anderen Klang hat, bis hin zum Klang der Champions League. Es begann im Kleinen: Mit großen Siegen gegen den FC Bayern München in der Bundesliga 2012 und 2015, als es jeweils ein 3:1 gab. Die Bayern sind mit das Größte, das der Weltfußball zu bieten hat. Aber die Bundesliga ist eben immer noch Alltag. Groß war auch das Pokal-Halbfinale gegen die Bayern 2012, in dem sich Geschichte kopierte: Der Spieler, der zu den Bayern geht, verschießt im Elfmeterschießen (#danteistmatthäus).

Viele Spiele waren groß, weil sie die ersten waren: das Play-off gegen Kiew 2012, das erste internationale Spiel im Borussia-Park. Das 4:2 gegen Sevilla 2015, der erste Sieg in der Champions League. Eine große Größe hatte auch das 1:1 gegen Juventus Turin mit der Torwart-Legende Gigi Buffon. Da kam der Finalist des Vorjahres, der im Endspiel gegen den FC Barcelona verloren hatte. Da war ein Hauch von Barca dabei.

Aber jetzt, jetzt kommt der FC Barcelona selbst. Borussia hat sich dieses Spiel verdient, es ist der Lohn für die gute Arbeit der vergangenen Jahre, für Konstanz, für Nachhaltigkeit, für den Willen zum schönen Spiel. Als Marc-André ter Stegen zu Barca ging 2014, da wünschte er sich ein Pflichtspiel im Borussia-Park. Der Wunsch war mit so vielem verbunden: mit Erfolg, mit Champions League. Was vor fünf, sechs Jahren noch in einem anderen Universum stattzufinden schien, kommt nun in Fleisch und Blut nach Mönchengladbach.

Allein der Name F-C-B-A-R-C-E-L-O-N-A klingt nach der Seele des Fußballs. Messi fehlt, das minimiert die Geschichte etwas, doch seine Sturmkollegen Neymar und Luis Suárez allein haben einen Marktwert von 190 Millionen Euro (ganz Gladbach hat einen Marktwert von 166 Millionen Euro). Mit oder ohne Messi (Marktwert: 120 Millionen) — Barcelonas Gigantismus — größer geht es nicht. Auch vom Gefühl her nicht. Borussias Fans werden vor Stolz zerplatzen, wenn sie an diesem Abend die "Elf vom Niederrhein" singen.

Aber es gibt immer noch eine denkbare Steigerung: Die hängt vom Ergebnis ab. Ein Spiel gegen den FC Barcelona ist riesengroß. Aber ein Sieg gegen den FC Barcelona? Das wäre das Größte, das Allergrößte. Aber gemach! Stand jetzt ist das Spiel gegen Barca das GAE, das Größte Anzunehmende Ereignis der Gladbacher Gegenwartsgeschichte, das größte Spiel im Borussia- Park. Das ist an sich schon mal ein Etikett.

(kk)
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