Raffael gegen Modeste Derby wird zum Duell der Torjäger
Mönchengladbach · Das rheinische Derby ist auch ein Duell zweier Torjäger. Auf der einen Seite Raffael, auf der anderen Anthony Modeste. Der Franzose ist die Kölner Lebensversicherung. Eine Gegenüberstellung.
RAFFAEL
Der Fußball erlaubt es immer wieder, den ganz großen Bogen zu spannen von der Weltpolitik zur schönsten Nebensache der Welt, was als Beiname oft arg untertrieben ist. Die renommierte "New York Times" ist nach der US-Präsidentenwahl ein wenig zerpflückt worden, weil sie Hillary Clinton vorab eine Siegeswahrscheinlichkeit von 84 Prozent zugeschrieben hatte. Zu 100 Prozent gewann schließlich Donald Trump. Nun also der große Bogen: Was würden die Statistiker der "New York Times" fürs Derby zwischen Borussia Mönchengladbach und dem 1. FC Köln prophezeien?
Dass sie den Gladbachern trotz der Serie von fünf Ligaspielen ohne Sieg und Tor ordentliche Chancen zuschreiben könnte, liegt vor allem an einem Mann. Raffael ist für Borussia wie der Bundesstaat Florida für angehende US-Präsidenten — ohne wird es schwierig, zu gewinnen. Von Beginn an auf dem Rasen hat der Brasilianer nach fünfwöchiger Verletzungspause bereits beim 0:3 gegen Hertha BSC wieder gestanden. Doch da war er sichtbar noch nicht so weit. "Raffael ist in einer ganz anderen Verfassung als noch vor dem Berlin-Spiel. Da merkt man, dass er jetzt zehn Tage trainieren konnte", sagt sein Trainer André Schubert, um dann ebenfalls vorzurechnen: "Im Fußball geht es immer um Wahrscheinlichkeiten des Erfolgs, und das erhöht sie natürlich."
Nun ist nicht nur Raffael wieder auf der Höhe, sondern auch Thorgan Hazard, der in der Swing-State-Analogie als Ohio zu bezeichnen wäre. Am Beispiel des jungen Belgiers lässt sich die These veranschaulichen, dass Raffael seine Mitspieler besser macht. Erst 391 Minuten haben er und Hazard in dieser Saison zusammengespielt, dabei schossen sie 13 Tore. In den restlichen 1229 Minuten, in denen mindestens einer der beiden fehlte, waren es ebenfalls 13.
Insbesondere zu Raffael — der mit 31 Jahren anscheinend noch weit davon weg ist, seinen schon drei Jahre andauernden Leistungszenit zu verlassen — besteht ein schwer aufzulösendes Abhängigkeitsverhältnis. "Ihn können wir nicht ersetzen", sagt Schubert. Große Klubs haben mit viel Geld versucht, Raffael loszueisen. So sind sie bei Borussia froh, wenigstens den einen Raffael zu haben, wenn es schon keine Kopie gibt.
Bis 2019 läuft sein Vertrag. Mittlerweile ist Raffael ein halber Meerbuscher. Online postet er Bilder vom Spaziergang über niederrheinische Felder, im April erwartet seine Frau Zwillinge. Manch ein Gegner wird hoffen, dass das private Glück den Brasilianer nicht zusätzlich motiviert. Ein Tor im Derby fehlt ihm übrigens noch.
ANTHONY MODESTE
Es wird erzählt, dass Borussia Mönchengladbach mal interessiert war an Anthony Modeste. Da war der Franzose noch bei 1899 Hoffenheim angestellt. Doch es wurde nichts aus dem Wechsel, und man kann sich durchaus vorstellen, dass Borussias damaliger Trainer Lucien Favre einen Stürmer vom Typ Modeste — schnell, robust, aber nicht filigran — nicht unbedingt haben wollte, weil er so gar nicht sein Ding ist (das war vor Mario Balotelli, mit dem er nun bei OGC Nizza zusammenarbeitet, wo übrigens Modestes Profikarriere 2007 begann). Nun denn: Modeste wechselte doch ins Rheinland. Zum 1. FC Köln.
Und dort ist er im Moment so ungefähr das Beliebteste, was es gibt in der Domstadt. Denn Modestes Tore, 13 sind es in zwölf Pflichtspielen, sind ein Hauptgrund dafür, dass die Kölner zu den positiven Überraschungen dieser Saison gehören. Zieht man nur Modestes insgesamt sechs Treffer gegen die Bayern, Ingolstadt und den HSV ab, wären die Kölner punktgleich mit den Gladbachern (zwölf Punkte), die heute Gastgeber sind beim Derby. Überhaupt: Dreimal traf er nicht in der Liga, und jedes Mal gab es keinen Kölner Sieg.
Deswegen war auch nur zu verständlich, dass ganz Köln den Atem anhielt in den vergangenen Tagen, als Modeste mit dem Training aussetzte. Sollte neben Torwart Timo Horn, den anderen Garanten des kölschen Höhenflugs, auch er ausfallen? Trainer Peter Stöger gab Entwarnung: "Tony wird spielen." Sollte dieser auch im Derby das sein, was er bislang war, eine Tormaschine, dann werden die Kölner rufen: "Tony, du bist ein Fußballgott!"
Wie es sich anfühlt, Derby-Held zu sein, erlebte Modeste in der Vorsaison. Da schoss er in Köln das 1:0-Siegtor. Er sorgte damit für ein Erdbeben in Gladbach: Die sechste Pleite in Folge trieb Lucien Favre zum Rücktritt. Heute kann Modeste nach den Klarstellungen der Gladbacher Chefetage bezüglich André Schubert keinen Trainersturz auslösen. Ein Unruhestifter wäre er dennoch, wenn er wieder Gladbach besiegt. Ein niederrheinischer Denkansatz wäre: "Hätten se den mal besser nach Jlabbach jeholt". Dann wäre Modeste kein bisschen Schreckgespenst für die Borussen. Das indes war er vergangene Saison beim Spiel in Gladbach (0:1) auch nicht. Vermutlich will er das heute anders handhaben.