Borussia Mönchengladbach Die Relegation frisst ihre Kinder

Mönchengladbach · Am Samstag bekommt Roel Brouwers Blumen überreicht, seine Zeit bei der Borussia geht zu Ende. Das liegt weniger am Niederländer selbst als an der enormen Entwicklung, die um ihn herum stattgefunden hat.

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Die Vertragslaufzeiten der Borussia-Spieler

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Foto: jdp/Jens Dirk Paeffgen

Tony Jantschke beackerte die rechte Abwehrseite, Martin Stranzl haute hinten alles raus und sich selbst wie immer voll rein, Havard Nordtveit räumte auf der Sechs auf und verursachte ein unglückliches Eigentor, Roel Brouwers nahm als Einwechselspieler die letzten Sekunden von der Uhr, Patrick Herrmann saß wie Christofer Heimeroth 90 Minuten draußen. Dieser Arbeitsnachweis jener sechs Spieler stammt vom 25. Mai 2011, dem 1:1 beim VfL Bochum. Sie sind die letzten Vertreter der "Generation Relegation", die noch in Gladbach unter Vertrag stehen.

Seit Dienstag ist klar, dass nur Jantschke, Herrmann und Heimeroth in der kommenden Saison noch da sein werden. Die ersten beiden waren damals 21 und 20 Jahre alt, sind jetzt Fußballprofis im besten Alter. Der andere gestaltet mit einem Ein-Jahres-Vertrag den Übergang vom Spieler- zum Trainerdasein.

Dagegen hat das Alter von Roel Brouwers, wenn man mal ehrlich ist, in den vergangenen neun Jahren nie eine Rolle gespielt. Für Journalisten war "der 29-Jährige", "der 32-Jährige" oder "der 34-Jährige" das gebräuchliche Synonym, wenn sie in ihren Texten nicht dauernd den Namen des Niederländers (noch so eins) schreiben wollten. Brouwers' Alter hatte seit seinem Wechsel vom SC Paderborn im Sommer 2007 eine rein biologische Bedeutung. Bei der Beurteilung seines sportlichen Niveaus war es nebensächlich, denn das war verblüffend konstant.

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Und trotzdem läuft seine Zeit bei der Borussia nun ab. Gefühlt war Brouwers immer gleich zuverlässig — ob in der Bundesliga, der 2. Bundesliga oder im Europapokal, ob von Beginn an oder als Einwechselspieler, ob im September oder im April, ob mit 28 oder 33, ob im weißen, schwarzen oder grünen Trikot. Es liegt also nicht an Brouwers, dass der Verein ihn am Samstag mit den obligatorischen Blumen verabschieden wird. Es liegt an all den Dingen, die seit 2007 und insbesondere seit 2011 um ihn herum passiert sind. Und es liegt an Brouwers und seiner Art, dass vor dem Spiel gegen Bayer Leverkusen sehr viele Taschentücher gezückt werden dürften.

Fünf Jahre sind eine lange Zeit, weshalb der Marktwert-Vergleich der besten Gladbacher Elf aus der Saison 2010/2011 mit der besten Elf aus der Saison 2015/2016 inflationsbedingt etwas hinkt. Rund 44 Millionen Euro gegenüber 118 verdeutlichen dennoch die Relationen. Das sportliche Niveau ist sukzessive in Sphären vorgestoßen, derentwegen Brouwers bislang auf nur 364 Einsatzminuten in dieser Spielzeit kommt — davon lediglich 40 unter André Schubert. Immerhin belegt die Bilanz von 2:0 Toren unter dem neuen Trainer, dass Brouwers noch ein paar Mal der Ich-komme-rein-und-mache-nichts-falsch-Verteidiger war.

Vor fünf Jahren war er der erste defensive Back-up, spielte aufgrund einer Dante-Verletzung bei den wichtigen Siegen gegen Dortmund und Hannover sogar durch. Ansonsten saß er auf der Bank mit Leuten wie Heimeroth, Thorben Marx, Karim Matmour, Levels und Igor de Camargo. Einige Akteure der Relegationssaison machten den Höhenflug 2011/2012 schon nicht mehr mit. Marco Reus, Roman Neustädter und Dante flogen so hoch, dass sie den Verein verließen. Seitdem haben die Fluktation (Marc-André ter Stegen, Max Kruse, Christoph Kramer) und der Lauf der Zeit (Juan Arango, Marx, Filip Daems) das Gesicht der Mannschaft kontinuierlich verändert — bis hin zur unfreiwilligen Emanzipation von der "Generation Relegation" durch den Rücktritt Lucien Favres.

Die Blumen für Brouwers sind nun der nächste Schritt. Im März auf Schalke, als der 34-Jährige zuletzt im Kader stand, hießen seine Sitznachbarn Tobias Sippel, Julian Korb, André Hahn, Herrmann, Jonas Hofmann und Ibrahima Traoré — drei ehemalige deutsche U21-Nationalspieler, zwei Deutsche mit A-Länderspielerfahrung und ein Nationalspieler Guineas.

Neben Brouwers stehen die Abgänge von Stranzl, Nordtveit, Branimir Hrgota, Martin Hinteregger fest. Obwohl in Tobias Strobl erst ein Zugang bekannt ist, kann Schubert Stand jetzt schon mit einem Kader für die neue Saison planen, der theoretisch sogar besser wäre als der aktuelle, weil Langzeitverletzte zurückkehren und junge Spieler sich erfahrungsgemäß nicht zurückentwickeln:

Sommer, Sippel, Heimeroth, Elvedi, Christensen, Dominguez, Jantschke, M. Schulz, Korb, Wendt, N. Schulz, Xhaka, Dahoud, Strobl, Herrmann, Johnson, Traoré, Hofmann, Hahn, Hazard, Stindl, Raffael, Drmic

Das ist eine erste und zweite Reihe, die bis Weihnachten ein Pensum von 24 bis 26 Pflichtspielen (16 in der Bundesliga, sechs bis acht im Europacup, zwei im Pokal) bitter nötig hat. Sind alle fit, wird es selbst im Rotationsmodus schwierig, den Kader bei Laune zu halten.

Die dritte Reihe machen Talente wie Marlon Ritter, Djibril Sow, Tsiy-William Ndenge, Nils Rütten und Moritz Nicolas auf. Im oben genannten Kader stehen fünf Eigengewächse, acht weitere Spieler wurden im Alter von maximal 23 Jahren verpflichtet. Und wer von Kandidaten für die erste Reihe namens Jannik Vestergaard und Kevin Volland liest, der versteht, warum die Kaderplanung nicht einmal mehr einen Dankeschön-Ein-Jahres-Vertrag für Brouwers hergegeben hat.

(jaso)
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