Borussia Mönchengladbach Vogts: "Kramers Art hätte ihm unter Weisweiler Probleme bereitet"

Mönchengladbach · Der ehemalige Bundestrainer Berti Vogts hat den Mönchengladbacher Weltmeister Christoph Kramer kritisiert. Er habe "herzlich wenig zum Titel beigetragen – und ich kann nicht verstehen, warum es für solche Spieler noch gewisse Freibriefe gibt", sagte Vogts unserer Redaktion im Interview.

Porträt: Das ist Christoph Kramer von Borussia Mönchengladbach
26 Bilder

Das ist Christoph Kramer

26 Bilder
Foto: Dirk PŠffgen/Dirk Paeffgen (dirk)

Der ehemalige Bundestrainer Berti Vogts hat den Mönchengladbacher Weltmeister Christoph Kramer kritisiert. Er habe "herzlich wenig zum Titel beigetragen — und ich kann nicht verstehen, warum es für solche Spieler noch gewisse Freibriefe gibt", sagte Vogts unserer Redaktion im Interview.

Herr Vogts, Sie waren zuletzt noch einmal in Baku, um die letzten Details der Auflösung Ihres Trainervertrages in Aserbaidschan zu klären. Wie geht es bei Ihnen weiter?

Berti Vogts Zuerst einmal genieße ich es, frei zu haben, gerade jetzt in der Vorweihnachtszeit. Ich habe jetzt genug Zeit, über einige Dinge nachzudenken. Dann werde ich sehen, was ich im nächsten Jahr mache.

Während der WM in Brasilien waren Sie Berater von US-Trainer Jürgen Klinsmann. Wäre es eine Option, so etwas längerfristig zu machen?

Vogts Es hat wieder Laune gemacht, bei der WM zu sein, beim großen Fußball dabei zu sein. Ich muss abwarten, was sich tut. Klar ist jedenfalls: Zu Hause rumsitzen und nur am Wochenende die Borussia zu beobachten, soweit bin ich noch nicht. Ich werde schon wieder etwas im Fußball machen. Es kommt auf die Option an. Wenn es im Trainerbereich sein soll, müsste es aber eine Qualitätsmannschaft geben. Wieder etwas aufzubauen über fünf, sechs Jahre, dafür bin ich nicht mehr geeignet.

Wäre die Bundesliga ein Thema?

Vogts Die Bundesliga ist interessant. Aber ich glaube, dass das Kapitel für mich abgeschlossen ist.

Wie gefällt Ihnen Ihre Borussia im Moment?

Vogts Ich glaube, dass wir bisher eine sehr gute Saison gespielt haben. Die einzige Niederlage, die wehgetan hat, war die Niederlage zu Hause gegen Frankfurt. In Dortmund und Wolfsburg kann man verlieren, aber es musste nicht sein. Gerade in Dortmund gab es trotz allem die Möglichkeit 0:0 zu spielen. Leider gab es den katastrophalen Fehler unseres Weltmeisters Christoph Kramer. So etwas tut weh. Allerdings: Wenn die zwei Punkte dem BVB fehlen würden, wäre das tragisch.

Jeder dachte, Dortmund würde in dieser Saison an die Bayern heranrücken. Jetzt ist der BVB weiter denn je von den Bayern entfernt. Wie ist das zu erklären?

Vogts Dortmund war erfolgverwöhnt. Man dachte, man wäre mit den Bayern auf einer Stufe — und das ist man eben nicht. Für einen Trainer ist es dann auch schwierig, wenn es so viel Erfolg gab, die Spieler wirklich zu kritisieren. Man sieht, wie schmerzlich der Weggang von Lewandowski ist. Der BVB hat sich nicht optimal verstärkt. Aber wenn einer die Dortmunder wieder richtig hinkriegt, dann Jürgen Klopp. Es wird eher die Welt untergehen, bevor sich der BVB und Klopp trennen. Ich halte ihn für einen sehr, sehr guten Trainer. Die Art und Weise, wie er Fußball spielen lässt, ist interessant und modern. Sie erinnert mich an Hennes Weisweiler, Borussias Meistertrainer. Immer attackieren, immer auf das nächste Tor zu spielen, das gefällt mir.

Sie haben die Weltmeister angesprochen. Dortmunds Ginter patzte in Frankfurt, Gladbachs Kramer fabrizierte das Eigentor in Dortmund — wie sind Sie generell mit dem Zustand der Weltmeister in der Nach-WM-Saison zufrieden?

Vogts Zunächst einmal sind wir alle froh, dass wir wieder Weltmeister geworden sind. Das war sehr wichtig für den deutschen Fußball. Aber die beiden Spieler, die Sie genannt haben, haben doch herzlich wenig zum Titel beigetragen — und ich kann nicht verstehen, warum es für sie immer noch gewisse Freibriefe gibt. Dass diese Spieler wegen der anstrengenden WM Probleme haben, körperlich oder mental — das kann ich nicht nachvollziehen. Vor allem dem Christoph Kramer hätte ich gewünscht, dass er einen Hennes Weisweiler als Trainer hat.

Warum?

Vogts Kramer hätte einen schweren Stand gehabt. Als wir 1974 nach der WM wiederkamen, gab es gleich die Ansprache im ersten Training: Schön und gut, die Herren! Aber jetzt zählt nur der Klub. Alles andere ich Vergangenheit. Es geht um das Morgen, das ist wichtig für den Klub, der den Spieler bezahlt. Die Art und Weise, wie sich Kramer im Moment darstellt, hätte ihm damals Probleme bereitet — im Team und mit dem Trainer.

Wäre Weisweiler ein Trainer, der heute auch in der Bundesliga funktionieren würde?

Vogts Weisweiler war sehr geschickt, ein kluger Mensch. Er hat erst die Spieler vorgeschickt, um etwas zu klären, dann hat er selbst Gespräche geführt. Und er hatte einen guten Draht zu den Medien. Das hat er eingesetzt. Er hat den Spielern immer vertraut, nur wenn das Vertrauen missbraucht wurde, hatte es der Spieler sehr schwer bei ihm.

Die Fußballwelt hat sich aber verändert. Ist es schwieriger für einen Trainer geworden?

Vogts Das hängt auch davon ab, wo der Sportdirektor steht. Der sollte ein Ansprechpartner für die Spieler und deren Berater sein. Die Berater machen allerdings in meinen Augen im Moment nicht alles richtig. Sie sollen den Spieler so beraten, dass er gute Leistungen bringt. Wenn man den Spieler aber nur pusht, damit er in der Öffentlichkeit steht, ist das zu wenig. Das Verhältnis von Spieler und Trainer ist darum heute ganz anders als früher. Es hat sich nicht unbedingt zum Vorteil der Klubs verändert. Es muss nur darum gehen, dass ein Spieler am Wochenende einen guten Job macht. Davon profitieren doch am Ende alle.

Deutschland hat bei der WM vom starken Manuel Neuer profitiert. Glauben Sie, dass er Weltfußballer wird?

Vogts Ich hoffe es. Manuel Neuer war bei der WM mit Abstand der beste deutsche Spieler. Nichts gegen Messi und Ronaldo, den ich sehr schätze, aber Neuer war der Beste. Der Torwart ist eine wichtige strategische Position im Fußball. Und wer so toll gespielt hat, im Klub, bei der WM — da gibt es nur eine Wahl: Manuel Neuer muss Weltfußballer werden.

Gibt es in der Bundesliga auch nur eine Wahl: Die Bayern als Meister für die nächsten Jahre?

Vogts Es sieht alles danach aus. Aber ich habe immer noch Hoffnung, dass Borussia Dortmund nach der jetzigen Schwächephase nachlegt und wieder zurückkommt. Das würde ich dem deutschen Fußball wünschen.

Schalke hat ebenfalls ein hohes Potenzial.

Vogts Auch Bayer 04 Leverkusen ein Klub, der Bayern München Paroli bieten kann. Und dann gibt es den VfL Wolfsburg. Mit viel Geld im Rücken und einem sehr guten Manager Klaus Allofs ist Wolfsburg vielleicht nach Dortmund der Klub, der als nächstes versuchen wird, die Bayern unter Druck zu setzen.

Wie weit ist Gladbach? Ist Borussia auch ein Bayern-Jäger?

Vogts Ich würde mich freuen, wenn die Borussen in die Champions League kommen, das würde viel Geld bringen, mit dem Max Eberl und Lucien Favre das Team weiter verstärken könnten. Aber es wäre schon ein Riesenerfolg, wenn wir wieder die Europa League erreichen. Borussia hat gut eingekauft, die Mannschaft ist breit aufgestellt. Sie hat das Zeug, sich oben zu etablieren.

Favre und Pep Guardiola haben einen ähnlichen Stil — prägen solche Trainer die Liga?

Vogts Ja, aber was Guardiola angeht, habe ich eine eigene Meinung. Die Bayern spielen mit einer Viererkette, manchmal auch mit einer Dreierkette, manchmal sogar mit zwei Ausputzern oder einer Fünferkette, wie beim 0:0 in Gladbach. Finden Sie das modern? Aber Guardiola hat Erfolg, und ist ein Klassetrainer, nur darauf kommt es an. Ich kann den anderen Teams nur raten, keine Angst zu haben, wenn es gegen die Bayern geht. Man muss sie auch mal unter Druck setzen. Falsch ist es, nur ins Spiel zu gehen und zu sagen: Wir wollen nicht zu hoch verlieren.

Die Nationalmannschaft tut sich in der EM-Qualifikation schwer. Ist die Teilnahme an der EM gefährdet?

Vogts Es ist keine Frage, dass Deutschland zur EM fährt. Ein Down hat jedes Team nach einer WM. Das war 1954 so, auch 1974 haben wir uns schwer getan. Aber wir haben eine tolle Mannschaft mit vielen jungen, interessanten Spielern, die aber international herangeführt werden müssen. Das macht Joachim Löw gut. Ich hoffe, dass wir 2016 wieder den EM-Titel nach Deutschland holen.

Karsten Kellermann führte das Gespräch

(kk)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort