Thomas Tuchel Der dünne Mann beim BVB

Bad Ragaz · Thomas Tuchel will bei Borussia Dortmund vieles anders machen als Jürgen Klopp. Bislang finden das alle toll.

Dieser Mann ist dünn, sehr dünn. Man hat beinahe ein bisschen Angst, wenn Thomas Tuchel auf seinen langen Beinen über den Sportplatz stakst. Die Sorge aber ist unbegründet, er macht das ja schon länger, und er neigt einfach nicht zur Leibesfülle. Dafür ist das Lächeln des neuen Trainers von Borussia Dortmund überhaupt nicht dünn. Es wird oft zum Lachen, es klingt herzlich und verbindlich. Nicht nur die Fans am Trainingsplatz im Schweizer Bad Ragaz rätseln, ob ihnen jemand den Zwillingsbruder des stets ein bisschen quengeligen, genervten Besserwissers geschickt hat, der vor einem Jahr als Trainer bei Mainz 05 aufgehört hat.

Auch die BVB-Spieler sind ziemlich überrascht. Sie nehmen Tuchels öffentliche Wandlung als positives Zeichen. "Keiner wusste ja, wie er arbeiten würde", sagt Gonzalo Castro, "aber er macht alles mit einem Lächeln, das macht es viel einfacher."

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Die Trainingsinhalte sind neu, für Castro, der aus Leverkusen zum Bundesliga-Rivalen kam, und für seine Kollegen, die zum Teil sieben Jahre Rock'n'Roll-Fußball mit reichlich menschlicher Nähe bei Jürgen Klopp hinter sich haben. "Bei Klopp ging es hauptsächlich um die Vollgasveranstaltung", erklärt Verteidiger Neven Subotic, "bei Tuchel geht es wirklich um Details." Eher Musik vom Notenblatt als Rock.

Der neue Orchesterchef vermittelt die Details mit sehr viel Temperament. Er korrigiert die Abstände zum Mitspieler bis in den Zentimeter-Bereich, achtet auf die Fußhaltung beim Abspiel, auf die Körperdrehung und die Stellung zum Ball. Er greift sich seine Leute, rüttelt auch mal ein wenig an ihnen herum, stellt sie auf wie Figuren auf dem Fußballschachbrett. Seine Augen glühen dabei vor Begeisterung. In Mainz haben sie ihm deswegen Besessenheit unterstellt. Sein neuer Sportdirektor Michael Zorc nennt das Leidenschaft. Man kann sich jedenfalls gut vorstellen, wie Tuchel wirken kann, wenn er auf Betriebstemperatur kommt.

In Bad Ragaz erleben ihn Spieler und Dortmunder Anhänger vor allem als Perfektionist. Tuchel ist eine halbe Stunde vor jeder Trainingseinheit auf dem Platz. Mit fast schon bürokratischer Genauigkeit vermisst er die Abstände zwischen den Plastikhütchen, persönlich kümmert er sich darum, dass die Spielfelder exakt die Größe haben, die seinen Übungen den richtigen Raum geben. Mit der Stoppuhr kontrolliert er jede Untereinheit. Besonders wichtig findet er Spielformen, die den Lebensraum der Akteure künstlich beschränken. Es können sich gar nicht genug Spieler auf ein paar Quadratmetern tummeln. Von jedem will er schnelle Lösungen sehen. Manchmal schickt er in den Kreis, den jede Amateurmannschaft zum Aufwärmen spielt, gleich zwei Bälle, damit das Hirn so richtig auf Trab kommt.

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In Bad Ragaz nimmt er gelegentlich ganz kleine Bälle, wie sie in den Sportabteilungen der Kaufhäuser in großen Körben zum Verkauf stehen. Es geht um Reize, Reaktionen, Wachheit.

Das alles kommt nicht so akademisch daher, wie es im Grunde ist. "Wir haben viel Spaß", sagt Mittelfeldspieler Henrikh Mkhitaryan. Das sieht man. Weil Tuchel dazu beständig zumindest mal sehr freundlich guckt, scheint er seinen Spaß zu haben. An nüchternen Bestandsaufnahmen ändert das nichts. "Wir sind noch lange nicht da, wo wir hinwollen", bekennt er gern. Der 41-Jährige weiß das, weil er nicht nur die Übungen präzise vorbereitet.

Tuchel nimmt sich auch Zeit, die Eindrücke aus dem Training auszuwerten. Sein Videoanalyst Benjamin Weber filmt jede Einheit, der Trainer bespricht die Videos mit seinen Assistenten. Dass er seine Spieler zum Trainingsauftakt in der Bochumer Uni einer umfassenden Leistungsdiagnostik unterziehen und sie zu Beginn Pulsuhren zur Herzfrequenzmessung tragen ließ, ist da eigentlich nur logisch.

Denn Tuchel mag keine Zufälle. Seine neuen Arbeitgeber mögen keine Vergleiche. Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke hat das in einer Art Regierungserklärung in einem Interview mit der dpa betont. "Am allermeisten stören mich Vergleiche mit Klopp", sagt er. Verhindern kann er sie nicht.

Tuchel hat kein Problem damit, dass ihm immer wieder mal die Schablone Klopp begegnet. Das kennt er aus Mainz, wo er bereits das Erbe Klopps verwaltete. Tuchels Ego ist groß genug, selbstbewusst sogar aus dem längsten Schatten zu treten. Mainz hat er fußballerisch auf ein anderes Niveau gebracht, ohne dass sie ihn dafür so geliebt haben wie den begabten Volksschauspieler Klopp.

Er hat bestimmt keine Zweifel, dass es ihm in Dortmund ebenfalls gelingen wird, wo sich Klopps Motivationstalent erkennbar erschöpft hatte. Allzu mutigen Aussichten in eine neue Ära verschließt sich sein Dienstherr Watzke (noch). Er spricht von einem neuen Anfang. Der soll in die Champions League führen.

Tuchel findet auch das nur logisch. Im Erfolgsfall wird er weiter tapfer lächeln.

(RP)
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