Das BVB-Experiment Tuchel als Psychologe und Puzzlespieler gefragt

Shanghai · Thomas Tuchel ist gefordert wie nie zuvor. Der Trainer von Borussia Dortmund muss den großen Umbruch abfedern, seine Aufgaben erscheinen gewaltig.

Thomas Tuchel im Portät: Ex-Trainer von BVB, Chelsea und Paris Saint-Germain
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Das ist Thomas Tuchel

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Foto: AP/Andy Rain

Tuchel hatte es gar nicht so gemeint. Als er von einer "Reise ins Ungewisse" sprach, bezog sich der Trainer von Borussia Dortmund auf das Trainingslager in China, nicht auf den riesigen Umbruch in seiner Mannschaft. Doch seine Worte passen perfekt: Tuchel ist der Leiter eines abenteuerlichen Fußball-Experiments, bei dem alles möglich ist.

Das zeigte auch das 4:1 im Testspiel gegen Manchester United am Freitag in Shanghai, ohne Mario Götze wohlgemerkt, auch noch ohne André Schürrle. Doch als José Mourinho anschließend vorpreschte, bremste Tuchel ihn scharf aus. Das große Manchester United - ein Formel-3-Wagen? Der BVB jedoch, mit seinen Top-Talenten: ein Formel-1-Geschoss? "Dieser Vergleich ist mir zu drastisch", sagte er seinem Trainerkollegen.

Verfrühte Euphorie kann Tuchel nicht gebrauchen. "Wir haben noch einen langen Weg zu gehen und noch viele Dinge zu verbessern", sagte er fast vorsichtig, denn er weiß: Es werden harte Rückschläge kommen. Und er selbst wird gefordert sein wie nie zuvor.

Der 42-Jährige hat eingeräumt, dass er sich die Saisonvorbereitung anders vorgestellt hatte. Er dachte, er würde ein, zwei Solisten in ein funktionierendes Ensemble einpassen. Stattdessen muss er Hochtalentierte zu einem neuen Orchester formen. "Den größten Umbruch der vergangenen zehn Jahre" nennt BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke diese Aufgabe.

Abgang von Mchitarjan hat Tuchel getroffen

Tuchel hat tief durchgeatmet, besonders der Abgang von Henrich Mchitarjan hat ihn getroffen. Dann hat er begonnen, sich das Wegbrechen seiner Stützen "zu einer Herausforderung umzudeuten". Tuchel redet begeistert vom "Leuchten in den Augen" seiner Neuzugänge, von der Lust am "Neuanfang". Gelingt er auf Anhieb, ist Tuchel ein Großer.

Mit Schürrle wird es nicht einfacher werden. Tuchel verkauft den Mann vom VfL Wolfsburg als perfekten Mchitarjan-Ersatz, der Schürrle kaum sein wird. 26 Tore oder Vorlagen lieferte der Weltmeister 2015/16 in 41 Pflichtspielen, nur 14 davon in der Bundesliga, das sind 0,63 pro Spiel.

Mchitarjan war überragend, es wäre absolut nicht verwunderlich, würde er zu Deutschlands Fußballer des Jahres gewählt. 55 Tore oder Vorlagen in 52 Spielen stehen für ihn in der Statistik, 31 in der Liga, pro Spiel 1,06.

Tuchel ist also als Psychologe gefragt, und als Puzzlespieler, der zudem die Balance zwischen der bestens besetzten Offensive und der anfälligen Defensive herstellt. "Es wird immer zu unserem Profil gehören, nicht nur offensiv zu attackieren, sondern auch aggressiv zu verteidigen", betont er.

Für Watzke ist die Jugend-Ausrichtung ohnehin alternativlos. "Wenn wir mittelfristig wieder eine richtig gute Mannschaft haben wollen, dürfen wir nicht in 29-Jährige investieren", sagte er der "Bild am Sonntag".

Tuchel bittet um Geduld. "Wir werden Zeit brauchen, die Dinge neu zu ordnen", sagt er, "der Weg, den wir einschlagen, ist ein riskanter Weg." Aber: "Risiko wird manchmal belohnt."

(sid)
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