Anschlag auf BVB-Bus Die große Geste von Familie Schweer

Düsseldorf · Nach dem Angriff auf den BVB-Bus wurde das Champions-League-Spiel gegen den AS Monaco abgesagt. Plötzlich standen Tausende Fans aus Frankreich ohne Übernachtungsmöglichkeit da. Eine Familie aus Schwerte nahm sechs Gestrandete auf – die sich rührend bedankten.

 Vater Detlev Schnitker (obere Reihe v.l.), die Söhne Jans und Lennard sowie Mutter Anita Schweer mit ihren Gästen aus Frankreich.

Vater Detlev Schnitker (obere Reihe v.l.), die Söhne Jans und Lennard sowie Mutter Anita Schweer mit ihren Gästen aus Frankreich.

Foto: Detlev Schnitker

Nach dem Angriff auf den BVB-Bus wurde das Champions-League-Spiel gegen den AS Monaco abgesagt. Plötzlich standen Tausende Fans aus Frankreich ohne Übernachtungsmöglichkeit da. Eine Familie aus Schwerte nahm sechs Gestrandete auf — die sich rührend bedankten.

Detlev Schnitker und seine Frau Anita Schweer sind der Attacke auf den Mannschaftsbus des BVB nur knapp entgangen. Gegen 19 Uhr fuhr das Ehepaar mit dem Auto an eben jenem Teamhotel und an der Stelle vorbei, an der knapp 15 Minuten später die Sprengsätze detonierten. Das ungute Gefühl, das nach der Attacke geblieben sei, so erzählen die Schweers am Tag danach unserer Redaktion, habe die Eheleute nicht davon abgehalten, anderen ihre Hilfe anzubieten. Nach der Spielabsage öffneten die Schweers ihre Tür für sechs Fußballfans aus Lille — eine Selbstverständlichkeit für die Familie aus Schwerte.

Die Eheleute Schweer sind eingefleischte BVB-Anhänger. Sie haben Dauerkarten für die Südtribüne, sind regelmäßig im Stadion und begleiten ihr Team zu internationalen Auswärtsspielen überall in Europa. Am Dienstagabend seien die beiden für ihre Verhältnisse früh unterwegs gewesen, schildern sie. Nach einem Bier an ihrem Stammbüdchen erreichten sie gegen 19.30 Uhr den Signal-Iduna-Park.

"Etwas war anders als sonst"

"Im Block haben wir relativ schnell gemerkt, dass etwas anders ist als sonst", erzählt Detlev Schnitker. "Die Atmosphäre war sehr angespannt und auch die Stadionmusik passte nicht zu dem, was wir gewohnt sind. Sie war so betont ruhig und wenig fröhlich." Das Netz sei schlecht gewesen, deshalb habe noch für einige Minuten Unklarheit geherrscht. "Nach und nach wurde deutlich, dass etwas Schlimmes passiert sein musste." Der BVB habe auf der Anzeigetafel von einem "Vorfall mit dem Mannschaftsbus" berichtet. Die folgenden Minuten auf der Tribüne seien von einer um sich greifenden Unsicherheit bestimmt gewesen. "Und als schließlich die offizielle Mitteilung kam, dass kein Spiel stattfinden würde, haben wir uns nach Hause aufgemacht."

Auf dem Heimweg nach Schwerte hörten die Schweers dann im Radio, dass Dortmunder unter dem Twitter-Hashtag "bedforawayfans" Schlafplätze für gestrandete Monaco-Fans anbieten. "Für uns war dann schnell klar, dass wir uns beteiligen wollen", erzählt Schnitker. Schließlich seien sie selbst Auswärtsfahrer. "Wir wissen, wie das ist, in einer fremden Stadt zu sein. Wir mussten den Leuten einfach helfen." Zuhause angekommen, hätten sie trotzdem zunächst ihre beiden Kinder gefragt, ob sie einverstanden seien. "Lennart und Jans haben sich unglaublich reif gezeigt", sagt der Vater mit hörbarem Stolz in der Stimme. "Für die beiden war das überhaupt keine Frage. Sie haben sofort damit begonnen, das Wohnzimmer herzurichten." Am Ende hätten sie vier Schlafplätze gehabt, plus zwei weitere im Gästezimmer.

Das Telefon stand nicht mehr still

Derart vorbereitet machte sich die Familie auf die Suche nach gestrandeten Fans aus Frankreich. "Das war gar nicht so einfach", erinnert sich Schnitker. "Wir hatten gar keinen Twitter-Account. Lennart hat schnell einen angelegt. Dann haben wir unsere Schlafplätze angeboten. Danach stand das Telefon nicht mehr still." Schon nach 20 Minuten seien die sechs Schlafplätze vergeben gewesen. "Lennart hat sich aber auch danach noch stundenlang ans Telefon gehängt und allen anderen Anrufern abgesagt."

Eine halbe Stunde nach dem ersten Telefonat standen sechs Freunde aus Lille bei den Schweers vor der Türe - fünf junge Männer und eine Frau. "Die Truppe war unglaublich dankbar", erinnert sich Schnitker. "Sie wollten sofort nach dem Spiel nach Hause fahren, hatten also keinen Schlafplatz. Und alle Hotels, bei denen sie angerufen hatten, waren ausgebucht." Sie hätten auch nichts bei sich getragen, außer ihrer Fankleidung, ihren Smartphones und ihren Geldbörsen. Er sei dann noch schnell zu Tankstelle gefahren und habe einen Kasten Bier für die Truppe gesorgt. "Damit sie nach dem ganzen Stress wenigstens noch etwas zu trinken bekommen."

Gäste besorgen Eintrittskarte

Die Atmosphäre sei super gewesen, erinnert sich der Familienvater. "Eben international", sagt er. "Mit dem Fußball und den Ereignissen des Abends hatten wir auch genügend Gesprächsstoff." Irgendwann hätten sich seine Frau und er dann ins Bett verabschiedet. "Lennart saß aber noch bis in den späten Abend mit unseren Gästen zusammen. Er hat ihnen geholfen und ihnen gesagt, was sie bis zum Spiel noch so unternehmen können." Am Morgen sei er dann vor der Arbeit zum Bäcker gefahren und habe Brötchen für alle besorgt, sagt Schnitker. "Meine Frau ist Lehrerin und hat Osterferien. Sie hat sich um die jungen Leute gekümmert, bis sie sich auf den Weg gemacht haben."

Als Anlaufstelle vor dem Spiel haben sich die Franzosen das Deutsche Fußball Museum ausgeguckt. Danach wollen sie weiter zum Stadion. Und auch die Schweers wollen am Abend wieder im Signal-Iduna-Park stehen. "Wir lassen uns davon nicht abhalten", sagt Vater Detlev. "Im Gegenteil: Wir werden sogar mit einer Person mehr ins Stadion fahren." Sohn Lennart wird am Abend auch mit dabei sein. Die Gäste der Schweers haben sich zusammengetan und Lennart eine Karte für die Nordtribüne besorgt. Als Dank. Damit er, der sich am Abend so rührend um sie gekümmert hat, das Spiel auch sehen kann.

(th)
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