Verteidiger fehlt mehrere Monate Die Folgen von Boatengs Verletzung für den FC Bayern

Düsseldorf/München · Der FC Bayern München hat den 2:1-Auswärtssieg beim Hamburger SV teuer bezahlt. Abwehrchef Jerome Boateng verletzte sich beim Rückrundenauftakt und wird dem Rekordmeister mehrere Monate fehlen. Sogar die EM-Teilnahme im Sommer ist in Gefahr. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

FC Bayern München: Die Muskelverletzungen in der Saison 15/16
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Die Muskelverletzungen des FC Bayern

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Foto: dpa, chr fpt

Der FC Bayern teilte am Samstag mit, dass sich Boateng in Hamburg eine Muskelverletzung im linken Adduktorenbereich zugezogen hat und nun "eine längere Pause" einlegen muss. Hinter vorgehaltener Hand gingen die Verantwortlichen von einer rund vierwöchigen Pause aus. Diverse Münchner Medien berichten mittlerweile von einem Muskelbündelriss und Adduktorenabriss. Der Verein bestätigte diese Diagnose bislang noch nicht, es stehen noch weitere Untersuchungen an. Sollten sich diese Verletzungen jedoch bestätigen, droht Boateng mindestens ein Ausfall von drei Monaten, eine längere Ausfalldauer ist möglich. Bayerns Abwehrchef droht sogar das vorzeitige Saison-Aus. "Bis zur EM sollte es im Normalfall reichen", sagte er dem "kicker". Das impliziert, dass es für die Bundesliga diese Saison nicht mehr reicht.

Boatengs Ausfall tut dem Rekordmeister richtig weh. Im luxuriös besetzten Kader der Bayern besitzen nicht viele Spieler das Prädikat "unersetzbar", Boateng schon. Er ist Bayerns Abwehrchef, ermöglicht es Trainer Pep Guardiola aufgrund seiner Schnelligkeit, die Abwehrreihe hoch, also weit weg vom eigenen Tor, verteidigen zu lassen. Durch Boatengs Athletik kann Guardiola immer wieder zwischen Dreier- und Viererkette wechseln, seine Zweikampfstärke rundet das Paket ab. Der Innenverteidiger wird zudem oft als Bayerns erster Spielmacher bezeichnet, weil er mit seinen genauen und langen Diagonalbällen das Angriffspiel der Bayern entscheidend prägt.

Als reinen Abwehrspieler können die Bayern Boateng wohl ersetzen, im Spielaufbau reichen die Ersatzleute ihm nicht das Wasser. Besonders bitter ist sein Ausfall für die Bayern in den sogenannten "großen Spielen", wie im Achtelfinale der Champions League gegen den Vorjahresfinalisten Juventus Turin, wenn Kleinigkeiten Spiele entscheiden.

Guardiola war schon am Freitag bemüht, das Thema kleinzureden: "Wenn wir Jerome Boateng für längere Zeit verlieren, werden wir trotzdem mit elf Mann spielen." Doch jetzt muss sich der 45-Jährige nicht nur in der Theorie damit befassen, wie er den langfristigen Ausfall kompensieren kann. Javi Martinez, Holger Badstuber und der derzeit verletzte Medhi Benatia sind Bayerns verbliebene Innenverteidiger-Alternativen. Der Marokkaner Benatia befindet sich jedoch seit seiner Ankunft in München im Sommer 2014 mehr im Krankenstand als auf dem Platz. Bereits acht Muskelverletzungen zwangen ihn alleine in der Bundesliga schon 25 Mal zum zuschauen. Auch Martinez und Badstuber sind alles andere als verletzungsfrei, beide fielen die vergangene Spielzeit nahezu komplett aus.

Im Kader der Bayern finden sich noch weitere gestandene Akteure, die in einer Dreier- oder Viererkette zum Einsatz kommen könnten, in der Abwehr aber nicht ihre stärkste Position haben. David Alaba, Xabi Alonso, Arturo Vidal, Rafinha, Phillip Lahm und Juan Bernat sind durchaus klangvolle Namen, jedoch kommen nur die ersten zwei als zentrale Figuren einer Abwehrkette infrage. Im direkten Aufeinandertreffen mit internationalen Top-Klubs dürfte jedoch von den Alternativen eigentlich nur Alaba als Boateng-Ersatz genügen. Wie sagte Guardiola doch so schön in der jüngeren Vergangenheit: "Alaba kann einer der besten Innenverteidger der Welt werden." Der Österreicher muss es wahrscheinlich bald beweisen.

Trotz der eher dürftigen Alternativen ist ein Panikkauf nur schwer vorstellbar. Mögliche Kandidaten sind entweder komplett überteuert, zu schwach für die hohen Ansprüche der Münchner oder nicht mehr in der "Königsklasse" spielberechtigt, da sie — wie zum Beispiel der deutsche Weltmeister Shkodran Mustafi vom FC Valencia — schon in der Gruppenphase dort zum Einsatz kamen.

In Internetforen werden dennoch Kandidaten genannt: John Stones vom FC Everton zum Beispiel, doch der Klub aus Liverpool gab im Sommer bereits dem FC Chelsea einen Korb. Aymeric Laporte von Athletic Bilbao soll sich bereits mit dem FC Barcelona über einen Transfer im Sommer einig sein soll. Joel Matip, dessen Vertragsverlängerung auf Schalke seit Monaten stockt, wird als Kandidat genannt. Aufgrund seines auslaufenden Vertrags im Juli dürfte er relativ günstig zu haben sein, wobei Schalkes Sportvorstand Horst Heldt bei einer Anfrage der Bayern sicherlich eine Ablöseforderung in Höhe von rund 20 Millionen Euro erheben würde. Doch daran würde ein Transfer nicht scheitern. Wichtiger scheint die Frage, ob die Bayern in Matip langfristig einen Spieler mit der nötigen Klasse sehen.

Mindestens 14 Muskelverletzungen haben die Bayern seit Saisonbeginn bereits zu beklagen. Ein hoher Wert. Das Portal Fußballverletzungen.com zählt sogar 16 Muskelverletzungen in der Hinrunde. Demnach ist fast jede zweite Bayern-Blessur eine Muskelverletzung, damit belegen die Münchner den zweiten Rang hinter dem FSV Mainz 05.

Ob, oder was die Bayern im Vergleich zur Konkurrenz falsch machen, darüber lässt sich jedoch nur spekulieren. Steuert Guardiola das Training falsch? Ist die Belastung nach überstandenen Verletzungen zu schnell zu hoch? Wird im Präventionsbereich zu nachlässig gearbeitet? Liegt es an einer bestimmten Schuh-Marke? Welche Rolle spielt der Hybrid-Rasen? Ist es einfach Pech? Da kein externer Beobachter wirklich Einblick in die tägliche Trainingsarbeit Guardiolas hat, bleibt die Beantwortung dieser Fragen unseriös. Dass die Bayern in diesem Bereich jedoch ein Problem haben, ist unstrittig, obwohl der Trainer davon nichts wissen will.

Ohne Boateng wird der vierte Münchner Meistertitel in Serie wohl kaum in Gefahr geraten. Die Bayern haben weiterhin acht Punkte Vorsprung vor Borussia Dortmund. Der Titelverteidiger muss in der Rückrunde im März jedoch zu den Schwarz-Gelben, im Februar stehen bereits die unangenehmen Auswärtshürden Leverkusen, Augsburg und Wolfsburg für Guardiolas Mannen auf dem Programm. Auch in der Vergangenheit hatten die Bayern unter Guardiola immer wieder mit zahlreichen Verletzungen zu tun, mehrere Patzer in Folge leisteten sie sich aber nie. Doch die Saissonziele der Bayern gehen bekanntlich weit über eine letzte Meisterfeier mit Guardiola auf dem Balkon des Marienplatzes hinaus. Das Triple, mindestens aber der Titel in der Champions League sollten es schon sein, auch wenn solche Erfolge unmöglich zu planen sind. Für Guardiolas finale Champions-League-Mission mit dem FC Bayern könnte Boatengs Ausfall jedoch schon mit Blick auf die Achtelfinalhürde Juventus Turin am 23. Februar und 16. März fatale Auswirkungen haben.

Bundestrainer Joachim Löw und Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff haben die Hoffnung auf ein EM-Turnier mit einem gesunden Boateng noch nicht aufgegeben. Das erste Gruppenspiel der DFB-Elf in Frankreich findet schließlich erst am 12. Juni in Lille gegen die Ukraine statt — in 139 Tagen. "Wir hoffen, dass er es in Richtung Saisonende und Europameisterschaft noch packt und sind wie bei allen anderen Spielern positiv davon überzeugt", sagte Bierhoff am Montag.

Bundestrainer Löw hat schon bei der WM in Brasilien gute Erfahrung damit gemacht, einen verletzten Spieler nicht zu früh abzuschreiben und an ihm festzuhalten. Sami Khedira hatte nach einem Kreuzbandriss im Knie eigentlich keine Chance auf die WM-Teilnahme, doch er nutzte sie, kam in fünf Spielen zum Einsatz und überzeugte im deutschen Mittelfeld in Brasilien.

(can)
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