Franz Beckenbauer Gratulier'n mer mal

München · Diese Geschichte fängt normalerweise mit einer Backpfeife an. Die verhinderte wahrscheinlich, dass aus dem TSV München 1860 ein Weltklub wurde. Und sie half entscheidend dabei, dass der FC Bayern heute Deutschlands größter Fußballverein ist. Normalerweise geht diese Geschichte damit weiter, dass Franz Beckenbauer als Sonntagskind gerühmt wird, dem alles im Leben gelingt. Normalerweise wird dabei die Szene geschildert, wie er im ZDF-Sportstudio den Ball von einem gefüllten Weißbierglas in die Torwand befördert. Und normalerweise handelt diese Geschichte von einem glücklichen Menschen.

 Franz Beckenbauer im Trikot der Nationalmannschaft.

Franz Beckenbauer im Trikot der Nationalmannschaft.

Foto: dpa

Nichts aber ist in diesem Jahr normal. In dem Jahr, in dem Franz Beckenbauer 70 Jahre alt wird, muss er seinen Sohn Stephan beerdigen. Stephan Beckenbauer wird nur 46, und er stirbt an einem Hirntumor. Das Glückskind Franz Beckenbauer ist schwer getroffen, tief erschüttert. Es sagt alle Medientermine auf unbestimmte Zeit ab — der öffentliche Mensch Beckenbauer wird ganz privat, ein trauernder Vater.

Kein Privatleben seit 50 Jahren

Den Privatmenschen Beckenbauer hat es mehr als 50 Jahre nicht gegeben. Beckenbauer lebt sein Leben in der Öffentlichkeit, seit ihn seine ungeheure Begabung zwangsläufig vor die Scheinwerfer gestellt hat. Bei der WM 1966 in England geht sein Stern vor aller Welt auf. So einen leichtfüßig spielenden Deutschen hat die Konkurrenz noch nicht gesehen. Beckenbauer schwebt geradezu mit dem Ball über den Rasen, und auch die junge Bundesliga staunt.

Den FC Bayern führt er zu Meisterschaften, zum Sieg im Landesmeister-Pokal. Und bald erzählt der anfangs so scheue Münchner mit seinem jungenhaften Lächeln, warum er nicht beim Ortsrivalen 1860 gelandet ist. Besagte "Watsch'n" ist schuld. Der kleine Franz spielt beim SC 1906, und in einem Schülerspiel verpasst ihm ein Gegner vom TSV 1860 eine Ohrfeige. Zu diesem Klub kann er natürlich nicht gehen. Die Bayern-Fans lächeln noch immer.

Sie verehren diesen Spieler, der die Position des Liberos erfindet, des freien Mannes vor und hinter einer nach teutonischer Art herumgrätschenden Abwehr. Beckenbauer ist so frei, dass er sich dem Zugriff der Gegner entziehen kann, ohne dass die so richtig wissen, warum das so ist. Er hat es ihnen nie erklärt.

"Vom Fußball kann man doch nicht leben", sagt sein Vater, der Postobersekretär. Sein Sohn wird Welt- und Europameister, und er streicht eine Million Mark im Jahr ein. Viele Nationalmannschafts-Kollegen bringen es nur auf ein Zehntel.

Franz Beckenbauer: Was andere über den "Kaiser" sagten
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„Wenn er sagt, der Ball ist eckig, glauben ihm alle“

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Er ist der erste deutsche Fußballstar mit einem eigenen Manager. Robert Schwan, der auch die Geschäfte des FC Bayern führt, erhöht den Marktwert. Im Werbefernsehen sagt Beckenbauer: "Kraft in den Teller - Knorr auf den Tisch." 12 000 Mark kassiert er dafür. Bis heute ist Beckenbauer ein Werbegesicht. Für 12000 Mark (6000 Euro) ist er allerdings nicht mehr zu haben.

Beckenbauers sportliches Leben ist so außerirdisch wie sein Spiel. Er wird nicht nur als Spieler Weltmeister, sondern auch als Trainer (1990). Sie nennen ihn Kaiser, weil ein Wiener Fotograf die gute Idee hatte, ihn neben einem Standbild von Kaiser Franz (dem Österreicher) abzulichten. In einer Fotoserie spielt er den Ball im Frack und mit Zylinder.

Seinem segensreichen Wirken als Chef des Bewerbungskomitees verdankt Deutschland die WM 2006. So will es die Legende. Und während der Titelkämpfe hebt er sogar physikalische Gesetze auf. Im Hubschrauber fliegt der Chef des Organisationskomitees von Spiel zu Spiel, manchmal scheint er an mehreren Orten gleichzeitig zu sein. Die Bilder im Fernsehen nähren den Mythos der Allgegenwart.

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Sie erzählen wieder von der Leichtigkeit des Seins — genau wie die Bilder des Fußballers Beckenbauer. Aber sie täuschen den Betrachter. Denn Beckenbauer arbeitet hart, als Spieler, als Trainer, als Funktionär. Man sieht es ihm nur nicht an. "Wenn man selbst mit Freude bei der Sache ist, spürt man nicht die Anstrengungen, die dahinter stecken", sagt er.

Beckenbauer kann diese Freude verbreiten. Er hat keinen Dünkel, er verfügt über eine angeborene Freundlichkeit und über ein einnehmendes Wesen. Berti Vogts, Kollege bei der Nationalmannschaft und Assistent auf dem Weg zum WM-Titel 1990, hat das alles in den Satz gekleidet: "Wenn ich in einen Raum komme, dann muss ich den Lichtschalter suchen. Wenn der Franz eintritt, dann geht das Licht an." Niemand hat das mit der Lichtgestalt des deutschen Fußballs besser beschrieben. Die strahlende Leichtigkeit erklärt wahrscheinlich, warum Beckenbauer bis heute alles verziehen wird. Er kann abends seine Reden vom Vormittag bestreiten, heute dies behaupten, morgen das. Es macht nichts.

Selbst sein seltsames Engagement für den russischen Staatskonzern Gazprom hat ihm niemand richtig übel genommen. Vielleicht liegt das auch daran, dass Beckenbauer schnell die Macht der Boulevardmedien begriffen hat. Als Kolumnist und exklusiver Gesprächspartner der "Bild" hat er sich früh gegen Angriffe von dieser Seite gesichert. Gelegentlicher Unmut begleitet ihn eigentlich nur in seinem früheren Leben als Fußballer. Weil alles so leicht scheint, halten ihn vor allem die Anhänger der Gegner für arrogant. Pfiffe begleiten ihn gar bei Länderspielen außerhalb der Münchner Heimat.

Beckenbauer, der Unnahbare

Beckenbauer hat an dem Image des Unnahbaren mitgebastelt. Seine gerade Körperhaltung, der durchgestreckte Rücken, der stolz zurückgeworfene Kopf und die lässig dahingespielten Pässe mit dem Außenrist heben ihn heraus. So einen lieben die Massen nicht.

Auch die herrische Geste mit der hervorwischenden rechten Hand, mit der er Fehler von Mitspielern und Schiedsrichtern kommentiert, ist scheinbar Ausdruck seiner Überheblichkeit. Als er in Gelsenkirchen auf Schalke mal wieder ausgepfiffen wird, jongliert er den Ball eine Minute lang vor der Fankurve. Während des Spiels. Freunde macht er sich damit nicht.

Nur auf dem Fußballplatz fällt er aus der Rolle und ist häufig ein sehr wilder Kaiser. Die Spieler, die sich den Ausbrüchen des Trainers Beckenbauer aussetzen müssen, fürchten seinen Jähzorn. Und sie gehen in Deckung, wenn der Überbegabte seinen Unmut über den Mangel an Begabung seiner Schützlinge in der Kabine auslebt.

Aber alle akzeptieren die Sonderrolle des besten deutschen Fußballers aller Zeiten. Niemand sucht den Konflikt mit ihm, schon gar nicht seine Mitspieler in den 60er und 70er Jahren. Legendär ist die Auskunft von Georg Schwarzenbeck, der als tapferer Verteidiger dem Kaiser den Rücken frei hält. Einmal ist Schwarzenbeck der Star. Mit einem Verzweiflungsschuss rettet er die Bayern 1974 ins Wiederholungs-Endspiel des Landesmeister-Pokals, das die Münchner dann gegen Atlético Madrid gewinnen. Als die Reporter auf den Verteidiger zustürmen, sagt der mit einem bildschön gelispelten S: "Fragen S' der Franz, der weiß eh all's besser." Das ist so geblieben.

Der altersmilde Beckenbauer verrät, was er alles besser weiß, heute aber nur noch im Fernsehen und manchmal in der Zeitung. Das herrische Herumwedeln mit der Hand lässt er bleiben. Zum Fürchten ist er schon lange nicht mehr. Und bald werden die Geschichten auch wieder von einem glücklichen Menschen handeln.

(pet)
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