Dafür mehr lange Bälle im Training Ancelotti schafft Guardiolas "Rondos und Kreiserl" ab

München · Die Ära Carlo Ancelotti beim FC Bayern ist erst eine Woche alt, und doch sind die Unterschiede zu Vorgänger Pep Guardiola bereits klar erkennbar.

FC Bayern München: Blaskapelle empfängt Carlo Ancelotti und seine Frau
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Carlo Ancelotti steht regungslos neben dem Spielfeld, die rote Schirmmütze tief ins Gesicht gezogen, die Arme verschränkt. Der neue Trainer von Rekordmeister Bayern München ist der Gegenentwurf des alten, Pep Guardiola. Der Spanier war stets auf 180, unterbrach das Training alle paar Minuten, korrigierte wild gestikulierend. Ancelotti beobachtet, pfeift, sagt "gut". Es weht ein neuer Wind an der Säbener Straße, eine sanfte Brise.

"Er ist eine Persönlichkeit, die sehr viel Ruhe ausstrahlt und eine gewisse Aura hat", sagte Holger Badstuber über den neuen Chef, "er wird uns sehr gut tun." Dem ebenfalls eher ruhigen Badstuber scheint der neue Führungsstil zu gefallen.

Die Unterschiede zwischen Ancelotti und Guardiola fallen schon nach einer Woche und vor dem ersten Testspiel am Samstag beim SV Lippstadt 08 (17 Uhr/Sport1) auf. Guardiola ließ seine Kicker ständig Rondos machen, dieses Passspiel, bei dem zwei Akteure ihren im Kreis stehenden Kollegen den Ball abjagen müssen. Unter Ancelotti gibt es diese Übung nicht mehr. "Rondos oder Kreiserl machen immer Spaß, aber es ist nichts, was ich so extrem vermisse", sagte Kapitän Philipp Lahm.

Die Bayern machen noch immer Pass- und Positionsübungen, nur sind diese eben anders und manchmal ungewohnt. Für Lahm hat dies jedoch Vorteile: "Da kommt etwas Neues, die Spieler sind gespannt und müssen hellwach sein, sind konzentrierter. Diese neuen Impulse werden uns sicherlich nicht schaden."

Auffällig ist, dass Ancelotti vermehrt Übungen mit langen Bällen einbringt. Er kann schließlich darauf bauen, dass Guardiola in seinen drei Jahren eine wahre Kurzpassmaschine geschaffen hat. Dies könnte die Bayern variabler machen, andererseits aber in ihrer Spielweise etwas verändern, wie Lahm vermutete: "Es kann durchaus sein, dass es einen Tick defensiver wird."

Ancelotti steht für den pragmatischen Ansatz

In die Karten lässt sich Ancelotti nicht schauen. Seine Vorliebe zum 4-4-2-System ist ebenso bekannt wie sein stetes Bemühen, seine Spieler auf den für sie besten Positionen spielen zu lassen. "Es gibt kein bestimmtes System, um zu gewinnen. Es ist wichtig, ein System aufzubauen, in dem sich die Spieler wohlfühlen", sagte er, ganz Pragmatiker. Der nächste Unterschied zum Fußball-Philosophen Guardiola.

Der Testkick in Lippstadt wird noch keine großen Aufschlüsse bringen, auch der Vergleich mit Guardiolas Manchester City am Mittwoch oder die mit drei Topgegnern gespickte USA-Reise werden kein klarer Fingerzeig in die Zukunft sein. Dafür fehlen mit den im Urlaub befindlichen EM-Fahrern noch zu viele Säulen.

"Das Wichtigste ist der Teamgeist", betonte Ancelotti (57) am Freitag: "Sie sollen zusammenspielen als Einheit. Das ist der Schlüssel zum Erfolg." Er selbst wolle erst einmal die Kultur des Vereins und der Stadt München verinnerlichen.

Was Ancelotti bereits geschafft hat: Wenn er den Raum betritt, wird gelächelt und gelacht. Alles wirkt herzlicher und offener als vorher, weniger perfektionistisch. Seine zweite Pressekonferenz funktionierte er gleich zu einer persönlichen Deutschstunde um. Eine Erkenntnis: Der Rotweinliebhaber ist tatsächlich ein ganz normaler Mensch, "ich muss auch essen und trinken". Außerdem erstaunt ihn der gut geregelte Verkehr und nervt ihn das Regenwetter.

(sid)
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