Stefan Kiessling "Ich habe mit mir selbst gehadert"

Leverkusen · Der 31-Jährige spricht über körperliche Beschwerden, eine ungewisse Zukunft und den geplatzten Wechsel zu Hannover 96.

 Stefan Kießling spürte in der Hinrunde nicht immer das Vertrauen seines Trainers Roger Schmidt.

Stefan Kießling spürte in der Hinrunde nicht immer das Vertrauen seines Trainers Roger Schmidt.

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Herr Kießling, über das wievielte Trainingslager sprechen wir eigentlich?

Kießling (denkt nach) Gute Frage. Auf jeden Fall ist es das 13. Wintertrainingslager. Und ich kann Ihnen sagen: Es wird zunehmend härter.

Sind Sie froh, dass es vorbei ist?

Kießling Am Ende eines Trainingslagers spüre ich den Verschleiß ganz schön. Dann tun mir die Knochen weh, und ich merke mein Alter.

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Ist Ihr Körper womöglich irgendwann der Indikator, der bestimmt: Jetzt ist es vorbei mit Profifußball?

Kießling Das kann gut sein. Ich bin anfällig am Rücken und habe seit Jahren Probleme mit der Hüfte. In der Vorbereitung, wenn viel trainiert wird, spüre ich das besonders. Bislang sind die Beschwerden ziemlich schnell wieder weg. In meinem Fall ist auch wichtig, was mir mein Kopf sagt. Wenn das Signal kommt, es ist Schluss, ist egal, wie fit ich bin.

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Ist nicht das selbstbestimmte Aufhören ohnehin das erstrebenswertere?

Kießling Mein Ziel ist es, selbst zu entscheiden, wann Schluss ist. Aufhören zu müssen, weil ich es körperlich nicht mehr schaffe, und mich womöglich eine halbe Saison über den Platz zu schleppen, wäre schlimm für mich. Ich hätte Simon (Rolfes, Anmerk. d. Red.) diese Saison schon noch zugetraut. Aber vor der Art und Weise, wie er seine Karriere beendet hat, ziehe ich den Hut. Vor der Saison anzukündigen: Das ist meine letzte, finde ich groß.

Kamen Ihnen im Dezember, als Sie Wechselabsichten hegten, auch Gedanken ans Aufhören?

Kießling Ja klar, aber die waren nie wirklich ernsthaft. Mir ging so vieles im Kopf herum. Dann gab es Phasen, in denen er einfach leer war. Ich bin seit zehn Jahren in dem Verein. Plötzlich auf der Bank zu sitzen und weniger zu spielen, das war eine Situation, die ich über all die Jahre nicht kannte. Dann kommt hinzu, dass ich keine 20 mehr bin. Mit 31 Jahren habe ich andere Prioritäten. Wenn die Karriere dem Ende entgegen geht und man noch möglichst viel spielen möchte, dann denkt man über solche Situationen anders. Die Gründe für einen Wechsel waren allein persönliche. Ich will noch zwei oder drei Jahre Fußball spielen und nicht womöglich bis zum Vertragsende meine Zeit absitzen. Das passt auch nicht zu mir.

Bekommt man in solchen Momenten Selbstzweifel?

Kießling Das nicht. Aber ich habe in dieser Phase sehr viel mit mir selbst gehadert, habe viel hinterfragt, was sicher normal ist. Deswegen bin ich nach langer Zeit auch zu dem Gedanken gekommen, ob es nicht besser ist, nochmal was Neues zu versuchen.

Chicharitos 19 Tore in 22 Spielen sprechen für sich. Sie haben zwar weniger Treffer erzielt, dafür aber zum Beispiel herausragende Zweikampfwerte. Hat Ihnen ein wenig die Wertschätzung gefehlt?

Kießling Die habe ich schon bekommen - allein, wenn ich daran denke, was von den Fans nach dem Gladbach-Spiel, aber auch in der Woche danach bis zum Ingolstadt-Spiel alles kam. Das hat mir sehr gut getan und war eine wichtige Bestätigung für mich. Da ist unglaublich viel Druck von mir abgefallen. Das war sehr emotional. Aber auch der Verein hat seine Wertschätzung letztlich darin ausgedrückt, in dem er mir gesagt hat, dass er mich auf keinen Fall gehen lassen will.

Werden im Fußball menschliche Werte immer unwichtiger?

Kießling So blöd es klingt, Fußball ist ein Geschäft. Da geht es um viel Geld und darum, gute Leistung zu bringen. Am besten in jedem Spiel. In meinem Fall kann ich nur sagen, dass ich sehr gute Gespräche geführt habe. Ich kenne Rudi Völler und Jonas Boldt schon so lange. Da begegnet man sich auf einer anderen Ebene. Und es war ja auch nicht so, dass der Trainer mich links liegen gelassen hätte. Er hat mir immer wieder gesagt, dass er weiß, was er an mir hat. Aber es war eben für mich eine schwere Phase, weil ich nicht immer zeigen durfte, was ich kann.

Was hätte denn noch gefehlt, dass Sie in diesem Winter nach Hannover gewechselt wären?

Kießling Die Freigabe des Vereins.

Tatsächlich?

Kießling Ich hatte gute Gespräche mit Hannover. Ob es gut gegangen wäre, weiß ich nicht. Ob ich abgestiegen wäre, auch nicht. Aber das war für mich nicht wichtig. Ich möchte einfach nur spielen. Mein Plan wäre dann gewesen, irgendwann zurückzukehren und hier zu arbeiten. Der Verein hat dann auf die Erfüllung des Vertrages bestanden, aber auch gesagt, dass er für die Zeit nach meiner Karriere mit mir plant. Das war ein schönes Zeichen und gibt mir das nötige Vertrauen.

Haben Sie konkrete Vorstellungen, was Sie nach Ihrer aktiven Karriere bei Bayer 04 machen könnten?

Kießling Überhaupt nicht. Ich glaube fest daran, dass sich eine Tür für mich öffnen wird. Außerdem ist nicht gesagt, ob ich nicht vielleicht nach 2017 nochmal einen Vertrag bekomme. Zuallererst steht jetzt die Rückrunde an, dann schauen wir, was im Sommer ist.

Womöglich ist Chicharito dann nicht mehr bei Bayer 04. Zumindest hat er seine Zukunft offen gehalten.

Kießling Damit beschäftige ich mich nicht. Ich denke, wir haben vor der Winterpause gezeigt, dass wir ein gutes Duo auf dem Platz sein können. Daran gilt es anzuknüpfen.

Was kann er von Ihnen lernen?

Kießling (lacht) Das müssten Sie ihn mal fragen. Ich könnte scherzhaft sagen, er muss größer werden, um die Kopfbälle zu gewinnen. Aber auch das schafft er auf seine Art. Wenn ich das Sportliche mal außen vor lasse, denke ich, dass ich mit meinem Verhalten, meiner Einstellung und ehrlichen Art insgesamt ziemlich weit in meinem Leben gekommen bin.

Müssen Sie sich jedes Mal neu motivieren für ein Trainingslager?

Kießling Das ist jedes Mal eine Quälerei, bei der man auf die Zähne beißen muss, die aber dazu gehört. Die zwölf Tage in Florida waren lang. Wir hatten montags das erste Training. Zu wissen, da kommt noch mal ein Montag, und auch ein Dienstag und ein Mittwoch, ist schon hart. Aber solange ich gesund bin und den Spaß nicht verliere, genieße ich es, dabei zu sein.

Freuen Sie sich auf die EM?

Kießling Was heißt freuen. Ich werde mir auch bei dieser Europameisterschaft nicht den Wecker für die Nationalmannschaft stellen. Wenn es passt, und ich sitze auf der Couch, schaue ich mir vielleicht Spiele an. Das ist die Zeit, in der ich Urlaub habe und den auch nutzen möchte. Das Finale, egal wer es bestreitet, werde ich sicher nicht verpassen.

Trauern Sie dem Thema Nationalmannschaft noch hinterher?

Kießling Ich wurde Dritter bei einer WM und habe eine Medaille zu Hause. Das können nicht viele sagen. Ich bin froh, dass ich das erleben durfte. Auch wenn vieles danach nicht so gelaufen ist, wie ich es mir gewünscht hätte.

Über die Schwankungen in dieser Saison und die Erwartungen an die Rückrunde wurde oft gesprochen. Was ist darüber hinaus Ihr Ziel?

Kießling Ein Pokalsieg zum Ende meiner Karriere wäre ein Riesentraum. Wir haben als nächstes ein Heimspiel gegen Bremen, das können wir gewinnen, wenn wir unser Leistungsvermögen abrufen. Dann wäre es noch ein Spiel bis Berlin. Das ist möglich - in diesem Jahr vielleicht mehr als in den Jahren zuvor.

STEFANIE SANDMEIER FÜHRTE DAS GESPRÄCH

(RP)
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