Bayer-Trainer Herrlich in Gladbach zu Gast Held, Verräter, Überlebender

Leverkusen · Als Trainer von Bayer 04 kommt Heiko Herrlich zurück nach Mönchengladbach. 1995 hatte der damalige Borussia-Torjäger nach wochenlangem Hin und Her seinen Wechsel zu Borussia Dortmund erzwungen.

Heiko Herrlich: Torjäger, Aufstiegstrainer, Leverkusen-Coach
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Das ist Heiko Herrlich

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Foto: dpa/Federico Gambarini

Es ist Heiko Herrlich anzumerken, dass er nicht allzu gerne über dieses Kapitel seiner Karriere redet. Dennoch konzentrieren sich die Fragen an den Trainer von Bayer 04 vor dem Derby bei Borussia Mönchengladbach auf jene Episode, die im Sommer 1995 als "Judas-Affäre" für Schlagzeilen sorgte. Der damalige Torjäger hatte nach einer angeblichen mündlichen Zusage des 2009 verstorbenen Gladbacher Managers Rolf Rüssmann nach wochenlangem Hin und Her seinen Wechsel zu Borussia Dortmund erzwungen - für die damalige Bundesliga-Rekordsumme von elf Millionen Mark. Der wenig schmeichelhafte Beiname war geboren. 22 Jahre später holt ihn die Geschichte immer noch ein.

Dass er öffentlich als "Judas" beschimpft wurde, dürfte den gläubigen Christen damals wie heute getroffen haben. Sein Glaube ist für ihn eine Quelle der Stärke - vor allem in der bislang wohl schwierigsten Phase seines Lebens. Ein Hirntumor warf ihn 2000 komplett aus der Bahn. Nach erfolgreicher Strahlentherapie kehrte er rund ein Jahr später auf die Fußballbühne zurück, ohne jedoch an alte Erfolge anknüpfen zu können. 2004 beendete der dreifache Vater seine Laufbahn und wechselte anschließend ins Trainerfach.

"Ich habe in meinem Leben auch mit Gott gehadert und Zweifel gehabt", sagt er. Natürlich habe er sich nach der Diagnose und der kräftezehrenden Behandlung gefragt, warum er das jetzt ertragen müsse. "Tief in mir hatte ich aber ein unerschöpfliches Gottvertrauen. Ich glaube, dass alles so seine Richtigkeit hat", sagt Herrlich. Das Überleben hat ihn stärker gemacht.

Die Liste seiner Erfolge als Spieler ist lang: Herrlich hat in Dortmund zwei Deutsche Meisterschaften sowie 1997 die Champions League und den Weltpokal gewonnen. Mit Bayer 04, wo 1989 seine Profikarriere begann, und Gladbach holte er jeweils den DFB-Pokal. 1995 war er Torschützenkönig und ein Held der einen Borussia, ehe die unrühmliche Wechselaffäre zur anderen Borussia seinen Lauf nahm.

"Das ist lange her, aber ich glaube, viele Dinge haben sich aufgeklärt". sagt der 45-jährige, der sich nach wie vor nicht im Unrecht wähnt. "Das wird wahrscheinlich nie mehr so aufgearbeitet und ich möchte das nicht noch einmal aufbauschen. Ich weiß, was damals richtig war, und so habe ich mich auch verhalten." Nun sei genügend Gras über die Sache gewachsen. Wer die Kommentare von Borussia-Fans unter einem Facebook-Post liest, in dem es um Herrlichs Rückkehr mit Bayer geht, könnte aber zu dem Schluss kommen, nur eine Minderheit habe ihm verziehen. "Verräter" und "Judas" steht da, und ein Kommentar, den unsere Redaktion löscht, weil er die Grenzen des Geschmacks überschreitet. "Ich habe Borussia Mönchengladbach sehr viel zu verdanken", sagt Herrlich dennoch, "und auch Rolf Rüssmann, der mich damals extrem gepusht hat, dass ich so eine Leistung bringen konnte und Nationalspieler geworden bin."

Dass mit ihm damals so hart ins Gericht gegangen wurde, kann er nicht nachvollziehen. "Man sollte sich in meine Situation versetzen: Ich bin 23 Jahre alt, denke, ich bin im Recht und werde dann wochenlang als das größte Geldschwein vorgeführt. Ich habe die Welt nicht mehr verstanden." Böses Blut gebe es aber nicht mehr. Als Trainer des VfL Bochum war Herrlich vor knapp acht Jahren schon einmal in Mönchengladbach zu Gast - und feierte einen 2:1-Sieg. "Da hat keiner gepfiffen. Das war alles positiv."

Zynisch gesehen ist Bayers Coach ein Trendsetter. Es ist längst keine Seltenheit mehr, dass Spieler zu drastischen Maßnahmen wie Trainingsboykott greifen, wenn sie einen Verein unbedingt verlassen wollen. Ex-BVB-Star Ousmane Dembélé, der im Sommer seinen Wechsel zum FC Barcelona erzwang, ist nur ein Beispiel. Rationalisten betrachten diesen Opportunismus im durchkommerzialisierten Sport vergleichsweise kühl. Fußballromantiker reagieren deutlich emotionaler.

Herrlich hat aus der Vergangenheit gelernt. Bei seiner Vorstellung in der BayArena betonte er, dass die Vorderseite des Trikots - das Vereinswappen - wichtiger sei als der Name des Spielers auf dem Rücken. Der Star ist das Kollektiv. Im Kontext seiner Vergangenheit klingt das nur auf den ersten Blick heuchlerisch. Die Wahrheit ist: Herrlich ist jetzt 45 und nicht mehr 23. Die Frage, ob er heute noch einmal so handeln würde, verneint er.

Das kleine rheinische Derby heute (15.30 Uhr) bietet auch ohne Ausflüge in die Vergangenheit reichlich Gründe, sich darauf zu freuen. Für Bayer 04 auf Platz zwölf (neun Punkte) geht es darum, die eklatante Auswärtsschwäche zu beheben und die Punktausbeute aufzupolieren. Mit einem Sieg wäre Bayer wieder näher dran an den internationalen Plätzen - von denen Gladbach als Fünfter einen innehat.

(RP)
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