Bayer Leverkusen Kießling: "Für die Gesundheit ist Geld keine Entschädigung"

Zell am See · Zurzeit bereiten sich die Spieler von Bayer Leverkusen in Österreich in Zell am See auf die neue Saison vor. Noch kann Stefan Kießling wegen Hüftschmerzen nicht mit der Mannschaft trainieren. Im Interview mit unserer Redaktion spricht er über die schwierige Situation.

Stefan Kießling ist zum Zuschauen gezwungen.

Stefan Kießling ist zum Zuschauen gezwungen.

Foto: KSMedianet / Bayer 04

Herr Kießling, können Sie die Frage nach dem 'Wie geht's' noch hören?

Kießling Schon, ich weiß ja, dass es die Leute gut meinen. Deswegen versuche ich auch, ehrlich darauf zu antworten. Auch die Frage, ob es mir hier in Österreich langweilig ist, wird mir häufig gestellt. Mich nervt es ehrlich gesagt mehr, nicht mit der Mannschaft trainieren zu können.

Chronische Hüftschmerzen lassen keine Belastung zu. Eine Geduldsprobe für einen Vollprofi wie Sie?

Kießling Das kann man so sagen. Jeder der mich kennt, weiß, wie ich mich fühle, wenn ich die Jungs trainieren sehe. In den ersten Tagen war das besonders hart. Aber die Spritzenkur hat in den zurückliegenden drei Tagen gut gewirkt. Ich kann inzwischen ein Programm aus Fahrrad fahren, Schwimmen, Laufen und Oberkörper-Krafttraining absolvieren, bei dem ich etwas schwitze. Ich war sogar schon wieder laufen, teils auch schon etwas schneller. Der Plan ist, die Belastung behutsam zu steigern, aber ich muss schmerzfrei sein.

Haben Sie dauerhaft Schmerzen?

Kießling Ich habe schon das letzte halbe Jahr mit Hüft- und Rückenproblemen zu kämpfen. Der Sturz auf die Hüfte im Spiel gegen Sporting Lissabon Anfang des Jahres war sicher so etwas wie der Knackpunkt. Von da an wurden die Schmerzen zunehmend schlimmer.

Sie gehen in Ihre elfte Saison mit Bayer 04. Ihre vielleicht schwierigste?

Kießling Ganz sicher. Ich habe 375 Bundesligaspiele auf dem Buckel und 13 Jahre durchgängig gespielt. Bis auf einen Syndesmosebandriss hatte ich praktisch nie eine Verletzung. Das ist eine völlig neue Situation für mich, die ich aber annehme. Ich versuche zu beißen, um bald wieder auf dem Platz zu stehen.

Sie stehen stets in der Statistik der Spieler mit den meisten Zweikämpfen in der Liga. Zahlen Sie jetzt den Tribut für Ihre körperbetonte Spielweise?

Kießling Diese intensiven Jahre gehen natürlich nicht spurlos an einem vorbei. Der Körper spürt den Verschleiß, trägt, wie in meinem Fall, Blessuren davon. Das sieht dann so aus, dass ich abends auf der Couch sitze und alle zwei Minuten eine andere Position einnehme, weil ich Schmerzen habe.

Sie nehmen den Kampf an, wissen aber, dass ein zu frühes Belasten kontraproduktiv sein kann. Können Sie mit dieser Situation als erfahrener Spieler, der bereits eine erfolgreiche Karriere genießen konnte, besser umgehen?

Kießling Es fiel mir schon schwer, die Situation zu akzeptieren.

Sie haben im Winter Ihren Vertrag verlängert, weil Sie noch zwei schöne Jahre als Fußballer haben wollten. Haben Sie Angst vor einem unschönen Karriereende?

Kießling Nicht mehr. Ob es mir gelingt, den Vertrag zu erfüllen, kann ich nicht sagen. Mein Ziel ist es, wieder auf dem Platz zu stehen. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, zumal ich gerade wieder Fortschritte sehe. Ich gebe alles dafür, dass meine Karriere kein blödes Ende nimmt. Aber ich bin elf Jahre hier, habe in all den Jahren alles für den Verein gegeben. Jeder weiß, dass ich das auch weiterhin tue. Wenn aber der Zeitpunkt gekommen ist, dass es nicht mehr funktioniert, dann wird mir da auch niemand böse sein. Die Gesundheit geht vor. Ich bin keine 20 mehr.

Mussten Sie geduldig sein lernen?

Kießling (lacht) Ich habe schon keine Geduld, wenn ich mit meinem Sohn Memory spiele. Nicht anders ist es, wenn ich jetzt auf dem Laufband bin und das Gefühl habe, es läuft ganz gut. Dann juckt es, das eine oder andere km/h drauf zu packen. Das ist aber nicht der richtige Weg. Deswegen nehme ich mir die Zeit, die ich brauche.

Was sagt Ihnen die Familie?

Kießling Meine Tochter ist noch zu klein. Mein Sohn fragt mich eher: Papa, warum hast du eigentlich kein Tor geschossen?

Tatsächlich?

Kießling Er bekommt natürlich mit, dass es mir nicht so gut geht. Mit meiner Frau habe ich in der Rückrunde sehr oft über die Situation gesprochen. Es ging dabei nie ums Aufhören, mehr darum, dass sie mir Mut machte und zusprach, mich nicht unter Druck zu setzen. Es gibt schließlich auch ein Danach. Ich muss mir zum Glück nichts mehr beweisen. Ich hatte bis hierhin eine sehr positive und großartige Karriere. Sollte dies das Ende sein, ist das sicher keines, das man sich als Profi wünscht. Aber ich glaube daran im Moment nicht. Ich versuche, wieder in diesem Stadion zu spielen.

Gibt es den Moment, bei dem Sie sagen: Es geht nicht mehr?

Kießling Das kann schon sein. Wenn die Schmerzen zu groß sind und ich merke, dass ich zu häufig aussetzen muss, muss ich wohl so ehrlich zu mir sein und sagen: Es hat keinen Sinn.

Gibt es ein Zeitfenster?

Kießling Nein. Ich tausche mich regelmäßig mit dem Trainer und den Ärzten aus, aber es ist nicht mehr so, dass ich jeden Tag eine Wasserstandmeldung abgebe. Das habe ich die gesamte Rückrunde gemacht, als ich permanent Schmerzen hatte. Jetzt bin ich in einer Phase, in der es ganz gut geht und ich mich hocharbeiten muss. Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich alles in der Hand. Ich entscheide: Mache ich mein Programm oder sogar ein bisschen mehr. Da wird sehr viel Rücksicht auf mich genommen. Ich sehe das als große Wertschätzung mir gegenüber, dass man mir diese Freiheit einräumt.

Denkt man gerade jetzt mehr noch als zuvor über die Zeit nach der Karriere nach?

Kießling In welche Richtung es geht, ist offen. Noch will ich mich aber nicht damit beschäftigen.

Es wurde in diesem Sommer gerade im Zuge der EM viel über zunehmende Belastung diskutiert. Mutet man den Fußballern zu viel zu?

Kießling Die Belastung hat über all die Jahre immer nur zugenommen. Mehr Länderspiele, mehr Testspiele, mehr Turniere. Gerade für die Nationalspieler, die praktisch keine freie Zeit mehr haben, ist die Belastung enorm. Im Prinzip haben sie in Deutschland zwischen Weihnachten und Neujahr ein paar Tage Urlaub und die drei Wochen nach einem Turnier-Aus. Ich bin froh, dass ich das nicht mehr aushalten muss. Ich weiß auch nicht, wo sich das hinentwickelt. Es gibt Leute, die sagen: Ihr verdient ja auch gutes Geld. Das stimmt, aber trotzdem sind wir keine Roboter. Für die eigene Gesundheit ist Geld schon gar keine Entschädigung.

Der Fußball hat sich auch verändert. Er ist athletischer, schneller geworden.

Kießling Wenn ich unsere Nachwuchsspieler sehe: Sam Schreck und Kai Havertz sind 17. Sie sind schon extrem weit für ihr Alter. Wenn ich an meine Zeit zurückdenke: Ich war 18, 19, die Jungs heute sind uns zwei, drei Jahre voraus. Heute rückt das Karriereende schon mit Anfang 30 näher. Ich hatte das Glück, dass ich nach der Schule eine Ausbildung machen konnte. Die Zeit haben die Jungs heute oft nicht mehr.

Wie beurteilen Sie diese Entwicklung? Werden die Jungsprofis von heute womöglich gar nicht mehr so lange spielen können wie Sie?

Kießling Zu meiner Zeit hatten wir eine Handvoll Spieler über 30. Heute bin ich mit Roberto Hilbert der einzige Feldspieler, der älter ist. Aufzuhalten ist diese Entwicklung sicher nicht, dafür sind die Jungs mit 18, 19 einfach zu gut. Aber ich glaube, dass künftig tatsächlich weniger Spieler mit über 30 Jahren noch auf Top-Niveau spielen können.

Bastian Schweinsteiger, ihr Jahrgang, hat gerade sein Ende im Nationalteam bekanntgegeben. Seine Zukunft im Verein ist offen. Ist man mit 32 Jahren heutzutage einfach am Zenit angekommen?

Kießling Spieler wie Klose oder Pizzarro beweisen ja, dass es Ausnahmen gibt. Wenn Sie mich zu "Schweini" fragen: Er hat viele Jahre auf Weltklasse-Niveau gespielt und hatte vielleicht drei Wochen im Jahr frei. Dass man körperlich irgendwann an seine Grenzen stößt, ist doch normal. Trotzdem glaube ich, dass er weiterhin auf hohem Niveau spielen kann. Sollte er Manchester verlassen, bin ich mir sicher, dass er einen guten Klub findet, in dem er noch ein, zwei Jahre dranhängen kann. Das wünsche ich ihm.

Wenn Sie sehen, wie Chicharito, Karim Bellarabi und Kevin Volland im Training und in den Spielen wirbeln. Was denken Sie? Haben Sie Angst, den Anschluss zu verlieren?

Kießling Nein, ich habe ihn doch längst verloren. Schon allein, weil die Jungs drei Wochen mehr Training haben. Aber ich weiß auch, dass ich durchaus noch Bäume ausreißen und wichtig für die Mannschaft sein kann, wenn ich fit auf dem Platz stehe. Das versuche ich, wieder hinzukriegen. Wir haben eine gute Mannschaft. Wenn die Jungs gesund bleiben, können wir eine gute Rolle spielen. Wir wollen den Abstand nach oben verkürzen. Es wäre aber verfrüht, irgendwelche Prognosen abzugeben.

Stefanie Sandmeier führte das Gespräch.

(sand)
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