Bayer Leverkusen Rolfes: "Viele drücken sich davor, aufzuhören"

Leverkusen · Nach der Saison beendet der Bayer-04-Kapitän seine Karriere. Im Interview spricht er über sein letztes Trainingslager, seine Pläne und den Druck im Sport.

 Kurz vor der Abreise ins Trainingslager nach Florida diente das Deutsche Sport und Olympia Museum in Köln als Kulisse für den Neujahrsempfang von Bayer 04. Knapp 500 Gäste kamen zur Veranstaltung. Gut gelaunt präsentierten sich auch Simon Rolfes (re.) und Trainer Roger Schmidt.

Kurz vor der Abreise ins Trainingslager nach Florida diente das Deutsche Sport und Olympia Museum in Köln als Kulisse für den Neujahrsempfang von Bayer 04. Knapp 500 Gäste kamen zur Veranstaltung. Gut gelaunt präsentierten sich auch Simon Rolfes (re.) und Trainer Roger Schmidt.

Foto: KSMedianet

Herr Rolfes, das letzte Trainingslager der Karriere steht an. Gehen Sie es mit gemischten Gefühlen an?

Rolfes Nein. Mir ist schon bewusst, dass es so ist, aber ich habe kein komisches Gefühl dabei. Als man 18, 19 oder 20 Jahre alt war, hat man gezählt, wie viele Trainingslager man noch vor sich hat und hat sich gesagt: ,Oh Gott, noch 30.' Es gibt wirklich auch schönere Zeiten, als das Trainingslager.

Werden Sie von den Kollegen angesprochen, dass Sie im letzten Trainingslager noch etwas Besonderes machen müssen? Gibt es da Bräuche?

Rolfes (lacht) Der Brauch im Trainingslager ist, viel zu trainieren. Auch wenn es für mich eine besondere Situation ist, ist es für die meisten Kollegen eine normale Situation, dass jemand im Sommer den Verein verlässt.

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Für Sie ist es aber ein einschneidendes Erlebnis. Sie wechseln ja nicht den Verein, Sie hören auf.

Rolfes Ich habe als Vierjähriger gesagt, ich werde Fußballprofi. Darauf habe ich hingearbeitet, viel investiert und es geschafft. Somit geht der erste Karriereabschnitt nach 14 Jahren als Profi zu Ende. Das hat viel Leidenschaft und Einsatz erfordert, sich immer auf Top-Niveau zu beweisen. Es wird mit Sicherheit auch Wehmut dabei sein, aber mehr noch Stolz, dass man sich den Kindheitstraum erfüllt hat. Es geht danach aber auch gut weiter. Darauf freue ich mich.

Wie reift so eine Entscheidung?

Rolfes Das kommt Stück für Stück. Ich hatte bei der Vertragsunterschrift über zwei Jahre schon im Kopf, dass es durchaus der letzte Vertrag sein könnte. Irgendwann merkt man, 2015 ist ein guter Zeitpunkt aufzuhören. Die Entscheidung stand eigentlich im Sommer 2014 für mich zu 98 Prozent fest. Ich wollte das dann auch frühzeitig kommunizieren, dass dieses Thema nicht bis in den April gezogen wird.

Wir hatten vor Weihnachten Rudi Völler im RP-Interview. Er hat gesagt, er wollte Sie umstimmen, weil es nichts Besseres gäbe, als Fußballprofi zu sein. Warum hat das Argument nicht gezogen?

Rolfes Wer mich kennt, weiß, dass ich so etwas nicht aus der Emotion heraus entscheide. Es ist ja nicht so, dass ich nicht weiß, was ich die nächsten 30 Jahre machen soll, außer meiner Frau auf die Nerven zu gehen (lacht). Ich glaube, dann hätte sie gesagt: ,Spiel noch zehn Jahre weiter, egal wo.'

Vor allem haben Sie selbst entschieden, wann Schluss sein wird.

Rolfes Das ist doch die schönere Art aufzuhören. Viele drücken sich vor dieser Entscheidung oder ihnen wird sie abgenommen. Man kann auch solange weiterspielen, bis es nicht mehr geht. Dann reizt man jede Stufe aus und bekommt irgendwann mitgeteilt, dass es nicht mehr reicht. Und dann geht es vom Niveau immer weiter herunter. Das wäre kein Modell für mich. Der langsame Niedergang würde mir keine Freude bereiten.

Sie haben vorhin schon den Punkt Wehmut angesprochen. Was werden Sie vermissen?

Rolfes Es war insgesamt eine schöne Zeit. Es ist ein Traumjob. Ein Job hat immer auch negative Seiten, aber Fußballprofi hat natürlich auch ganz viele tolle Seiten. Ich bin im Sommer 33 Jahre alt. Wenn ich dann auf 14 Berufsjahre zurückblicke, habe ich schon viel erlebt. Das ist schon irre. Aber trotzdem habe ich noch ein Leben vor mir.

Die Vorstellung, im Sommer mal drei Wochen Urlaub zu machen ohne den Trainingsstart im Hinterkopf, ist schon sehr schön, oder?

Rolfes Klar. Was man nicht unterschätzen darf, ist der Druck für den Körper. In anderen Berufen hat man mal einen energiereichen Tag, an dem man viel erledigt, dafür macht man am nächsten Tag ein bisschen weniger. Bei uns ist es so: Terminkalender im Handy auf, Samstag, 15.30 Uhr. In den 90 Minuten musst du leistungsfähig sein. Der Rest der Woche ist im Prinzip völlig egal. Das ist ein körperlicher Druck, den jeder Spieler hat. Das wird bestimmt deutlich entspannter. Und natürlich ist es auch für die Familie schön, selbstbestimmter zu sein.

Hat sich der angesprochene Druck in Ihren 14 Profijahren gewandelt, ist er stärker geworden?

Rolfes Ja, das Spiel ist noch viel, viel athletischer geworden. In meinen Anfängen war das anders. Jetzt wird auch im Training viel mehr Wert auf den Körper gelegt. Der Druck ist höher geworden, weil das Niveau höher geworden ist. Früher konnten richtig gute Fußballer sich etwas weniger Fitness erlauben und mit ihren Fähigkeiten über Wasser halten. Das geht nicht mehr. Arjen Robben ist ein gutes Beispiel. Natürlich ist er ein super Fußballer, aber er ist auch ein Athlet. Genauso Cristiano Ronaldo. Nur guter Fußballer zu sein, reicht nicht mehr.

Mit Ihrer Firma wollen Sie ab dem Sommer junge Sportler beraten. Ist da großer Bedarf, weil sich viel verändert hat im Fußball?

Rolfes Ich glaube der Bedarf ist wirklich gestiegen. Spieler können nicht mehr in den Profisport reinwachsen. Ich habe eine Karriere mit einem kleinen Zwischentief gemacht. Ich war ein großes Talent in Bremen, aber in der zweiten Reihe, und bin dann schließlich mit 23 Jahren nach Leverkusen in die erste Liga gegangen. Ich hatte also vier, fünf Jahre, um zu wachsen. Das haben die Jungen heute nicht mehr. Sie sind mit 18 Jahren entweder fußballerisch sehr, sehr weit oder die Karriere ist schnell vorbei. Der Druck und die Anforderungen werden immer größer, aber sie bleiben trotzdem noch 18-Jährige, das hat sich nicht geändert. Man muss sofort liefern und gleichzeitig langfristig seine Karriere planen.

Sehen Sie die Entwicklung kritisch?

Rolfes Welcher 18-Jährige sagt bei der Gelegenheit Profi zu werden schon nein? Das ist nicht mehr zurückzudrehen und muss es auch nicht werden. Nur: Es gibt bestimmte Konsequenzen bei der Entwicklung der Jungen. Sie trainieren eben mit zehn Jahren schon vier oder fünf Mal die Woche. Klar, sie sind fußballerisch mit 18 Jahren dann sehr weit, aber sie bringen auch Opfer in ihrer Jugend, was ihre Persönlichkeitsbildung beeinflusst.

Das Abitur ist dann eher nicht möglich.

Rolfes Ja, das ist so. Es gab die Generation, als ich 2008 bei der EM war, da hatten viele Spieler Abitur. Davor gab es eine Zeit, in der das eher unüblich war und wenn man es sich jetzt anschaut, brechen viele die Schule vorher ab. Zum Teil spielen die Jungs mit 17 Jahren schon Bundesliga und können das mit der Schule nicht vereinbaren. Ok, dann eben keine Schule mehr. Das ist eine der Konsequenzen von denen ich eben sprach.

Bevor Sie sich mit diesen Problemen beschäftigen, haben Sie noch 17 Spiele in der Liga zu absolvieren. Was haben Sie sich vorgenommen?

Rolfes (lacht) Mein legendärer, historischer Platzverweise nach 75 Sekunden ist ja kaum noch zu unterbieten. Ansonsten will ich eine gute Rückserie spielen und natürlich ein Tor machen. Ich habe immer gerne Tore gemacht, Tore fand ich immer geil.

Zum Abschluss Ihrer aktiven Karriere wäre bestimmt auch ein Pokal schön, oder?

Rolfes Klar, Berlin ist grandios. 2004 war ich zumindest als Ersatzspieler auf der Bremer Bank beim Pokalsieg dabei. Eine fantastische Atmosphäre, das ist elektrisierend. Ein Sieg dort zum Abschluss wäre einfach grandios.

Trauern Sie einer Auslandsstation hinterher?

Rolfes Nein, weil ich aus der Situation schon die richtigen Entscheidungen getroffen habe. Deshalb trauere ich nichts hinterher.

STEFANIE SANDMEIER UND PATRICK SCHERER FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

(RP)
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