Bayer Leverkusen Ligafrust trifft Europalust

Leverkusen · Wenn sich am Samstag Bayer 04 und der 1. FC Köln begegnen, prallen zwei Gefühlswelten aufeinander, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Während Leverkusen die schwächste Saison seit 2003 spielt, darf Köln von der Europa League träumen.

 Kevin Kampl (links) und Aleksandar Dragovic von Leverkusen sind enttäuscht.

Kevin Kampl (links) und Aleksandar Dragovic von Leverkusen sind enttäuscht.

Foto: dpa, puc nic

Es wird wohl auch etwas Trotziges haben, wenn am kommenden Samstag irgendwann zwischen 15.20 und 15.30 Uhr das Stadionlied durch die BayArena hallt. Mit reichlich lokalem Pathos wird ein Leverkusen besungen, das die "Macht am Rhein" sei, inklusive des optimistischen Zusatzes: "und das wird immer so sein." Das ist angesichts der aktuellen Situation eine zumindest gewagte These, denn die fußballerischen Kräfteverhältnisse entlang des großen Flusses scheinen sich verschoben zu haben.

In der aktuellen Bundesligatabelle steht die Elf vom Niederrhein aus Mönchengladbach auf Rang neun bereits besser da als Bayer 04. Noch deutlicher ist es beim kommenden Gegner der Werkself. Der 1. FC Köln belegt Platz sieben und hat berechtigte Hoffnungen, in der kommenden Spielzeit das erste Mal seit Ende der 1990er Jahre wieder international spielen zu können. Die Akteure aus Leverkusen hingegen werden die Saison 2017/2018 an Dienstag-, Mittwoch-, oder Donnerstagabenden vor dem Fernseher verbringen müssen, wenn sie Fußball auf europäischer Ebene erleben wollen - eine unerwartete Entwicklung für den in den vergangenen Jahren zum Dauerteilnehmer der Champions League avancierten Werksklub.

Dass Köln und Leverkusen eine innige Fußballrivalität "verbindet", ist bundesweit bekannt. Zuletzt hatte stets das Team aus dem im Vergleich eher beschaulichen Leverkusen die Nase vorn. Nun kann ausgerechnet die Elf von Kölns Trainer Peter Stöger der wankenden Werkself um Tayfun Korkut ein gehöriges Beinchen auf dem Weg zum nach wie vor gefährdeten Klassenerhalt stellen. Eine Pleite gepaart mit aus Leverkusener Sicht unvorteilhaften Ergebnissen der Konkurrenz, und das Schreckgespenst Relegation spukt wieder unter dem Bayer-Kreuz. Das gilt es aus Sicht von Rudi Völler unbedingt zu vermeiden. Der Sportchef von Bayer 04 ist sich der Brisanz des anstehenden Nachbarschaftsduells bewusst - und der Bedeutung der Partie für die eigene Anhängerschaft. "Unsere Fans wurden in dieser Saison bei Heimspielen definitiv nicht verwöhnt", sagte der 57-Jährige dem TV-Sender Sport1. "Die Kölner spielen eine sehr gute Saison, aber wir wollen vor unserem Publikum noch einmal alles rausholen und ein tolles Spiel abliefern."

Köln (45 Punkte) kommt nach dem 4:3-Spektakel gegen Werder Bremen am vergangenen Spieltag selbstbewusst in die BayArena, Leverkusen (37) hat nach dem 1:1 in Ingolstadt zumindest den direkten Abstieg abgewendet. Um sich endgültig aller Sorgen um den Klassenerhalt zu entledigen, braucht die Werkself einen Sieg. Bei entsprechenden Resultaten auf den anderen Plätzen reicht vielleicht auch ein Remis. Darauf will sich bei Bayer 04 aber freilich niemand verlassen.

"Kampf, Leidenschaft und Wille werden im Derby ausschlaggebend sein", weiß Mittelfeldmann Julian Baumgartlinger. Insofern sei das erkämpfte Remis in Ingolstadt eine gute Einstimmung auf das rheinische Duell gewesen. Auch Teamkollege Kevin Volland, der gegen den FCI kurz vor Schluss eine Großchance zur Führung und damit den wohl sicheren Sieg vergab, verspricht mit Blick auf Samstag: "Wir werden kämpferisch alles geben, aber spielerisch müssen wir noch eine Schippe drauflegen."

Wie emotional bedeutsam die Partie ist, hatte Stefan Kießling bereits nach der 1:4-Heimpleite gegen den FC Schalke demonstriert. Die Fans der Werkself blockierten nach dem Debakel die Ausfahrt der BayArena-Tiefgarage und forderten eine Aussprache mit der Mannschaft. Bayers Identifikationsfigur war an vorderster Front dabei, um an jenem nasskalten Freitagabend mit der frustrierten Anhängerschaft zu diskutieren. Gegen Mitternacht ließ er sich zu einer undiplomatischen Aussage über das Kölner Team hinreißen. Man müsse in Ingolstadt punkten und dann die "Scheiß Kölner" weghauen, ließ er verlauten.

Die derben Worte gegen den Rivalen kamen bei den hörbar begeisterten Fans gut an, bei FC-Ikone Lukas Podolski sorgten sie hingegen nur für süffisanten Spott. Der Ex-Nationalspieler fragte sich bei Twitter, ob Bayer immer noch keine Pille gegen Minderwertigkeitskomplexe erfunden habe. Kießling entschuldigte sich wenig später für seinen Ausflug in die Fäkalsprache. Er habe niemanden beleidigen wollen, sagte der 33-Jährige. Das sind wohl Geschichten, die ein Derby ausmachen. Etwaige Geplänkel sind seit jeher Teil des Vorspiels.

Für Sorgenfalten auf Korkuts Stirn sorgt die Verletztenliste. Bei Jonathan Tah (Faserriss im Oberschenkel) und Ömer Toprak (Bänderanriss im Sprunggelenk) ist ungewiss, ob sie rechtzeitig fit werden. Tah war - ebenso wie der von musklären Problemen geplagte Julian Brandt - gestern vor allem im individuellen Training und Toprak ist noch im Aufbautraining. Ob die beiden Innenverteidiger Kölns Torjäger Anthony Modeste davon abhalten können, sein 26. Saisontor zu erzielen, ist offen. Wenn, dann werde es "eine Punktlandung", sagt Bayers Pressesprecher Dirk Mesch.

(RP)
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