Bayer Leverkusen Das Projekt Schmidt auf dem Prüfstand

Leverkusen · Die Bilanz des Trainers ist alarmierend. Mit seiner provozierten Sperre lässt er sein Team im Stich, das gegen Bremen total verunsichert wirkte und völlig in sich zusammenbrach. Schmidts Trainingsarbeit, Führungsstil und nicht zuletzt seine Zukunft müssen kritisch hinterfragt werden.

 Roger Schmidt im Büro der Geschäftsstelle.

Roger Schmidt im Büro der Geschäftsstelle.

Foto: imago

Als Roger Schmidt im Sommer 2014 Trainer der Werkself wurde, war es ein Aufstieg des Neulings in der Bundesliga. Die Leverkusener waren plötzlich in aller Munde, weil sie mit sehenswertem und erfolgreichem Powerfußball überraschten. Schmidt hat den Stil der Mannschaft verändert, sorgte mit dem aufsehenerregenden wie riskanten Überfallspiel für eine willkommene Abwechslung - und nährte die Hoffnung, nach etlichen Trainerwechseln wieder einer zu sein, der dem Verein eine (langfristige) Identität geben könnte.

Der 48-Jährige begann sein Projekt mit einer jungen Mannschaft, auf deren Entwicklung man gespannt war, und die Begeisterung auslöste. Diese allerdings hat sich längst gelegt. Statt hohe Spielkultur, bot Bayer allzu oft schwer verdauliche Kost, betrieb hohen Aufwand für vergleichsweise wenig Ertrag und verlief sich im "gewollten Chaos" auf dem Platz. Inklusive des 24. Spieltages ist die Mannschaft - (der teuerste Kader der Vereinsgeschichte) - den Nachweis einer Weiterentwicklung schuldig geblieben. Das 1:4 gegen Werder Bremen war die neunte Niederlage, die vierte zu Hause. Damit hat Bayer 04 schon jetzt zweimal häufiger verloren als in der abgelaufenen Saison. Nur ein Sieg gelang aus den letzten fünf Spielen. Schmidts Quote: 1,66 Punkte pro Spiel.

Der grauenhafte Auftritt gegen Abstiegskandidat Bremen wurde noch verschlimmert durch den Eindruck, den die Mannschaft hinterließ. Die wirkte - von vielen Verletzten ohnehin arg gebeutelt - nicht nur sportlich am Tiefpunkt angekommen. Die Profis wirkten verunsichert, hilflos und kraftlos. Bei der Suche nach Gründen einte sie die Ratlosigkeit in den Blicken und das Schulterzucken. Die meisten wollten lieber nichts sagen. Was auch? Sie hatten keine Erklärung.

Derjenige, der dazu am besten in der Lage gewesen wäre, sah das dramatisch schwache Spiel in einem Büro von der Südtribüne aus. Welchen Schaden Roger Schmidt seinem Team durch seinen provozierten Spielabbruch gegen Dortmund und seine Drei-Spiele-Sperre zugefügt hat, wird in dieser Woche erst richtig deutlich. Drei Spiele zuvor war Bayer 04 noch Dritter, hatte - natürlich auch dank der schwachen Resultate der Konkurrenz - beste Chancen auf die Champions-League-Qualifikation. Es folgten drei Pleiten und das Debakel gegen Werder. Christoph Kramer, selbst ein Sinnbild für die Form- und Sinnkrise des Teams, sprach Klartext. "Das war Totalversagen", gab er zu. Was er damit meint: Auf dem Platz war kein Plan zu erkennen, keine gemeinsame Idee, kein Aufbäumen.

Roger Schmidt hatte "maximale Geschlossenheit" gefordert. Tatsächlich brach das Team im Laufe der Partie kollektiv immer mehr zusammen. Zu den sieben Ausfällen kam mit Roberto Hilbert ein weiterer hinzu. Der Rechtsverteidiger zog sich bei einem Zweikampf einen Bruch des rechten Schlüsselbeins zu und wird voraussichtlich sechs Wochen fehlen. Der Abend zeigte außerdem: Leistungsträger wie Toprak, Tah, Kießling, Kampl, Papadopoulos oder Bender kann der Rest offenbar nicht kompensieren. Eine derart schlechte Leistung wie gegen Bremen ist trotzdem nicht entschuldbar. Der bemitleidenswerte Co-Trainer Markus Krösche hatte nämlich weiterhin namhafte und hochgehandelte Spieler wie Bellarabi, Calhanoglu, Kramer, Mehmedi oder Brandt zur Verfügung. Schmidt gelang es bislang allerdings nicht, sie dauerhaft in Form zu bringen. Dass einige überspielt und ausgelaugt sind, wollte Rudi Völler gar nicht abstreiten. "Dem einen oder anderen täte eine Pause gut, aber bei so vielen Verletzten geht das nicht", entgegnete der Sportdirektor frustriert. "Das tut weh. Es ist eine schwierige Situation für den ganzen Klub. Wir haben so viele Verletzte wie noch nie, seit ich hier bin. Jetzt müssen es die Jungen richten."

In solchen Momenten rächt sich womöglich die anstrengende Spielweise. Insbesondere bei Teams, die wie Bayer 04 auf mehreren Hochzeiten tanzen und einen hohen Aufwand im Spiel betreiben, gehört die Belastungsteuerung zu den kritischen Erfolgsfaktoren. Einen Zusammenhang in der Häufung der Verletzungen sieht Schmidt aber nicht ("Das ist manchmal auch ein unglücklicher Zufall").

Gegen Bremen erhöhte sich die Gegentorquote nach ruhenden Bällen auf 18 - von insgesamt 30. Völler wollte die lange Ausfallliste jedoch nicht allein als Alibi hernehmen. "Es passt im Moment vieles nicht zusammen, dazu kommen dann noch ein paar dumme Fehler", kritisierte er. "Auch diejenigen, die gespielt haben, hätten es besser machen müssen."

Der Druck auf Roger Schmidt nimmt zu, der nun den Nachweis erbringen muss, einen Weg aus dieser schwierigen Situation zu finden. "Der Trainer trägt natürlich die Gesamt-Verantwortung. Und wenn wir nicht da stehen, wo wir stehen wollen, und so spielen wie wir spielen wollen, ist es legitim, meine Arbeit zu hinterfragen", sagte er gestern nach dem Training.

Der Abstand zum Tabellendritten Hertha BSC beträgt schon sieben Punkte. Leverkusen droht, alle Saisonziele zu verspielen. "Die Gefahr ist da. Da dürfen wir nicht um den heißen Brei rumreden", sagte Völler, der zu dem Schluss kam: "Wir müssen jetzt kleinere Brötchen backen, dürfen aber bloß nicht in Selbstmitleid verfallen. Das wäre das Allerschlimmste."

Der 55-Jährige weiß: Ungeachtet aller Umstände zählen auf Sicht nur Punkte. Inzwischen ist das Team, das davor sechs Bundesliga-Spiele nicht verlor, nach drei Pleiten in einer prekären Situation angekommen. Die könnte noch schlimmer werden, wenn Roger Schmidt nicht die Trendwende gelingt. Im Verein bis hinein in den Gesamtkonzern wird genauer hingeschaut werden, was in der nächsten Zeit passiert. Schmidts Ansehen hat gelitten - nicht nur wegen seiner Fehltritte.

(RP)
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