DFB-Team Müller in der Wohlfühlzone

Düsseldorf · Bei Bayern München scheint er keinen mehr Stammplatz zu haben, bei Joachim Löw ist Thomas Müller gesetzt. Weil der "Raumdeuter" gleichermaßen für Unberechenbarkeit und Verlässlichkeit steht.

 Thomas Müller bei der Vorbereitung auf das WM-Qualifikationsspiel gegen Tschechien.

Thomas Müller bei der Vorbereitung auf das WM-Qualifikationsspiel gegen Tschechien.

Foto: dpa, scg kde

Als Hans Meyer (74) und Louis van Gaal (66) noch Trainer waren, da haben sie die Knorrigkeit zum Geschäftsprinzip erhoben. Aber nicht nur in dieser Beziehung werden sie sich schnell einig. Auch in der Beurteilung der Fußballkünste von Thomas Müller (27) erreichen sie überragende Übereinstimmungswerte. Meyer sagte am Stammtisch von Sport1: "Bei mir hätte er einen Freifahrtschein, als Basisspieler." Und von van Gaal ist aus seiner Zeit bei Bayern München der schöne Satz überliefert: "Müller spielt immer."

So weit würde van Gaals Nach-Nach-Nachfolger Carlo Ancelotti nicht gehen. Der Italiener gehört offenbar nicht zu den größten Anhängern des freigeistigen Müller-Stils. Schon im ersten Jahr unter Ancelottis Führung kam Müller häufig erst von der Ersatzbank ins Spiel. Und am Wochenende, beim 2:0 in Bremen, schmorte er dort wieder fast 75 Minuten. Das nagte am sonst so zuverlässig sonnigen Gemüt des Bayern. "Ich weiß nicht genau, welche Qualitäten der Trainer sehen will", maulte Müller, "aber meine sind scheinbar nicht hundertprozentig gefragt."

Beim Bundestrainer ist das völlig anders. Wie selbstverständlich nimmt Müller in den Planungen von Joachim Löw eine tragende Rolle ein. Natürlich auch in den bevorstehenden WM-Qualifikationsspielen in Tschechien (Freitag, 20.45 Uhr) und gegen Norwegen (Montag, 20.45 Uhr). "Er ist ein unheimlich positiver Faktor in unserem Spiel", erklärte Löw, "ich weiß, was Thomas Müller bei uns leistet." Beim DFB hat der Offensivspieler jenen Freifahrtschein, von dem Meyer sprach.

Löw, Meyer und van Gaal schätzen nicht nur Müllers schwer zu erschütternde gute Laune, seine Schlagfertigkeit und die natürliche Fähigkeit zu einer unverkrampften Öffentlichkeitsarbeit. Sie erkennen als Trainer die Vorzüge des leicht anarchischen Spielentwurfs, dem Müller auf dem Platz folgt. Er bewegt sich eher nach Gefühl als nach taktischer Maßgabe über das Feld. Und sein ausgeprägtes Talent, in den wesentlichen Situationen am richtigen Ort aufzutauchen, trug ihm den vielsagenden Titel "Raumdeuter" ein. Er weiß vermutlich selbst nicht, warum es ihm gelingt, dem Spiel manchmal einen Zug voraus zu sein. Aber das ist auch nicht wichtig. Zumindest für Löw nicht, für van Gaal nicht und für Meyer nicht, selbst wenn der das nie im Ernstfall nachweisen musste.

In Ancelottis Konzept ist kein Platz für Anarchie

Ancelotti, der bei den Bayern in einem guten Jahr nicht durch taktische Revolutionen aufgefallen ist, hat seiner Mannschaft ein vergleichsweise stures Konzept verordnet, in dem für Müllers Anarchie kein Platz vorgesehen ist - jedenfalls kein Startplatz in der ersten Elf. Die offensiven Positionen besetzt Ancelotti mit Arjen Robben, Thiago, Franck Ribéry und Robert Lewandowski. Punkt. Seine Begründung: Alle sind auf ihren Plätzen besser als Müller. Dass Müller nicht an einer konkreten Position festzumachen ist, unterschlägt er lieber. Es ist ihm möglicherweise zu anstrengend. Und dass Müller als echter Bayer eine wesentliche Identifikationsfigur für den bodenständigeren Teil des Münchner Publikums ist, interessiert den Geschäftsmann Ancelotti nicht.

Das verlangt wahrscheinlich auch niemand von ihm. Ob es klug ist, neben der fußballerischen Unberechenbarkeit auch noch landsmannschaftliche Folklore ohne große Not aufzugeben, ist eine ganz andere Frage.

Für Löw zählt neben dem Faktor Unberechenbarkeit auch der Faktor Verlässlichkeit. Das hört sich nur unvereinbar an. Müller gehört seit 2010 zu Löws Erfolgsweg. Und alte Verbündete lässt der Bundestrainer nicht fallen. Er schafft ihnen bei der Nationalmannschaft eine Wohlfühlzone, eine Oase jenseits der manchmal so schwierigen Situation in den Klubs und völlig unbeeindruckt vom öffentlichen Gerede. Bastian Schweinsteiger, Lukas Podolski und Miroslav Klose können ein fröhliches Lied davon singen. Natürlich ist das nicht nur selbstlos. Denn Löw weiß, dass seine Jungs für Vertrauen auf dem Platz zurückzahlen. Auch Müller wird das tun. Und dann ist wieder alles gut. Außer bei den Bayern.

(pet)
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