"Amerika braucht uns nicht" Formel 1 schwächelt im Nascar-Land USA

Düsseldorf/Austin · Die selbst ernannte Königsklasse des Automobilsports stößt im Land der unbegrenzten Möglichkeiten auf wenig Resonanz.

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Großer Preis der USA 2017: freies Training

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Und am Sonntagmorgen geht es in den Kindergarten. Eine Stunde den Kids Rede und Antwort stehen, das gehört zum Pflichtprogramm aller 40 Nascar-Fahrer, die sich um die Fans von übermorgen kümmern sollen. Auch, dass jeder Pilot am Renntag auf einer Bühne den Fans präsentiert wird, ist für den Automobilsportfan in den USA der Normalfall. Motorsport zum Anfassen, die Show als fester Bestandteil der Serie, die Rennen an 38 Wochenenden präsentiert - das gefällt.

Kein Wunder, dass sich die Formel 1 schwertut, die USA zu erobern. "Amerika ist wichtig für uns, aber Amerika braucht uns nicht", erkannte der frühere McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh den kaum zu schaffenden Spagat. Trotz zahlreicher Versuche seit 1959 ist die Formel 1 bisher nie wirklich angekommen - auch nicht in Austin, wo seit 2012 der jüngste Eroberungsversuch gestartet wurde und der Engländer Lewis Hamilton morgen (21 Uhr MESZ/RTL) zum vierten Mal Weltmeister werden kann. Die Geheimnistuerei und das Abschotten von den Fans kommen nicht gut an. "Es gibt ein riesiges ungenutztes Fanpotenzial in den USA. Wir haben ein Premiumprodukt, und als solches will man in die großen Städte: Los Angeles, New York, Miami", sagte der neue Formel-1-Chef Chase Carey, der zu Jahresbeginn den legendären Bernie Ecclestone aufs Altenteil geschickt hatte.

Sein Arbeitgeber Liberty Media geht neue Wege. Wegen des Auftritts von Superstar Justin Timberlake wurde das Qualifying heute um zwei Stunden auf 16 Uhr Ortszeit verlegt, um einerseits Motorsportfans den Besuch des Konzerts, andererseits Musikliebhabern den Weg zum Rennsport zu ermöglichen. Doch der findet für die meisten US-Amerikaner nicht auf Rundstrecken, wie sie die Formel 1 nutzt, sondern überwiegend auf Ovalkursen statt. 40 und mehr Autos, die im Kreis bei Tempo 300 und mehr dicht an dicht über den Asphalt preschen, das gefällt. Allerdings sind die Zeiten, als die Rennen stets ausverkauft waren, Vergangenheit. Die Wirtschaftskrise hat auch die Nascar-Serie erreicht, die in der Popularität an zweiter Stelle hinter der Football-Profiliga NFL steht.

Die Macher der Formel 1 haben es auch schwer, weil es im Feld der aktuell 20 Fahrer keinen US-Amerikaner gibt. Alexander Rossi war der bislang letzte. Er konnte sich allerdings 2015 in den fünf Rennen für Marussia nicht empfehlen. Davor versuchte sich Scott Speed, dessen Leistungen aber mit seinem Namen nicht mithalten konnten. Nach 28 Rennen für Toro Rosso musste er Mitte 2007 sein Cockpit räumen - für Sebastian Vettel. Ein Topfahrer als Lockvogel, davon träumen die Formel-1-Vermarkter.

Es gab sie, doch das ist lange her. Phil Hill (1961) und Mario Andretti (1978) holten sich den WM-Titel, für anhaltende Begeisterung konnten sie aber nicht sorgen im Land, das 1982 sogar drei WM-Rennen hatte: USA West in Long Beach, USA Ost in Detroit und Las Vegas. Es fehlt der Hero, wie einst Michael Schumacher in Deutschland, der damit eine Begeisterungswelle auslöste.

Dass seit 2016 mit dem Haas-Team erstmals seit 30 Jahren wieder ein Rennstall aus den USA mitmischt, hat das Interesse jedenfalls nicht wirklich gesteigert. Dass aber bei einem zeitgleich stattfindenden Straußenrennen mehr Zuschauer als bei der Formel 1 waren, gehört zu den Ausnahmen, passierte allerdings 1991 in Phoenix.

Der Weg in die Großstädte wäre der zweite Schritt. Auch wenn die Formel 1 sich als Premiumprodukt sieht, ist sie davon doch weit entfernt. Zu technisch, zu wenig Spannung, zu reglementiert, zu abgeschottet - ein Angebot wird nicht attraktiver dadurch, dass man es an möglichst vielen Orten anbietet. Motorsport muss begeistern, will er neue Märkte erobern und neue Fans gewinnen. Kostspielige Ruinen wie die Strecken in der Türkei (nach sieben Jahren), Indien (drei Jahre) oder Südkorea (vier Jahre) blieben nach kurzen Episoden zurück, als sich die Erwartungen nicht erfüllten.

Auch der Skandal von 2005, als in Indianapolis zwar 20 Autos am Start standen, 14 Fahrer aber nach der Einführungsrunde an die Box zurückfuhren, hat die Popularität nicht gesteigert. Reifenhersteller Michelin, damals noch im Duell mit Bridgestone, hatte seinen sieben Teams aus Sicherheitsgründen den Verzicht empfohlen, weil im Training Reifenschäden aufgetreten waren. Die Fans hatten wenig Verständnis. "Ruhe in Frieden, Formel 1", stand in Zeitungen. Zwei Jahre später war die Formel 1 mal erneut weg aus den USA und startete 2012 einen neuen Versuch.

(RP)
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