Formel 1 Letzte Ausfahrt Hockenheim

Hockenheim · Die Zeiten, als Michael Schumacher die Formel-1-Fans in Deutschland in Scharen an die Rennstrecke lockte, sind vorbei. Auch am Hockenheimring kämpft man seit Jahren um die Existenz und um jeden Zuschauer.

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Foto: dpa

Volker Klein zögert nur einen kurzen Moment. Dann sagt er: "Es ist traurig." Sein Blick geht die Heidelberger Straße hinunter. Es sind nur wenige Personen unterwegs. Die roten Farbtupfer, für die Fans von Ferrari sorgen, sucht man vergeblich. Auch Besucher, die in der Kluft anderer Formel-1-Teams unterwegs sind, sieht man nicht. Der 63-Jährige kennt noch die Zeiten, als hier mehr los war. Damals standen auf dem Gehsteig Tische, Garagen wurden ausgeräumt, Parkraum als Verkaufsfläche genutzt. Viele Hausbesitzer wurden zum Getränke- und Kuchenverkäufer. Und schon am Donnerstag war mächtig was los. "Auch meine Kinder haben sich damals ihr Taschengeld aufgebessert. Sie haben Eis gemacht und verkauft", erzählt Klein.

Ja, damals. Da war es leicht, am Rennsonntag die Marke von 100.000 Besuchern zu überbieten. Es war die Zeit, als Michael Schumacher die Formel 1 in Deutschland salonfähig machte und durch seine Erfolge das Interesse am Automobilrennsport weckte. Doch die Euphorie ist vorbei. In der 21.000-Seelen-Stadt deutet heute nicht viel darauf hin, dass die Formel 1 zu Gast ist. Mit Fahnen geschmückte Häuser - Fehlanzeige. Der Marketing-Verein versucht nun, die Stimmung neu zu entfachen. Unter dem Motto "Hockenheim liebt Formel 1" wurden die Geschäftsinhaber aufgefordert, ihre Schaufenster mit Formel-1-Motiven zu dekorieren. Morgen wird während der Fete auf dem Zehntscheunenplatz das schönste Schaufenster prämiert. Am Abend geht es auf der Party und Fanmeile weiter.

Schauplatz ist die Karlsruher Straße. Sie ist das Zentrum der Formel-1-Wiederbelebungsversuche. Dort befindet sich auch die Metzgerei Hauser. "Damals war die Straße wie ein Strom, voller Menschen. Und nun? Tot", sagt Bettina Hauser. Für die Chefin ist das Formel-1-Wochenende längst kein außergewöhnlicher Termin mehr. Seit die Besucher auf Campingplätze ausgelagert wurden, verirrt sich kaum jemand in den Ortskern. Verpflegung wird oft mitgebracht, die Partys finden draußen vor der Stadt statt.

Gestern tauchte Sebastian Vettel am Rathaus auf. Der viermalige Champion, nur 40 Kilometer von Hockenheim entfernt in Heppenheim aufgewachsen, spielte das Zugpferd, um Fans zu locken. Mitte der Woche waren 54.000 Tickets verkauft. 59.000 ist die Marke, bei der der Hockenheimring die Verlustzone verlässt. Dieter Gummer setzt auf die Kurzentschlossenen. "Natürlich hoffen wir, dass auch viele niederländische Fans kommen, die ihren Max Verstappen unterstützen wollen", sagt der Bürgermeister. Die Zeiten, als die Königsklasse auch für Hockenheim und die Umgebung lukrativ war, sind vorbei. Auf zehn Millionen Euro wurde die sogenannte Nettowertschöpfung für die Region einst kalkuliert. Lang, lang ist es her. Kamen einst die ersten Fans schon eine Woche vor dem Rennen mit ihren Zelten oder Wohnwagen an die Strecke, sind nun viele nur tagsüber da, mitunter sogar nur zum Rennen. 2015 fand erstmals nach 55 Jahren kein Formel-1-Rennen in Deutschland statt. Der Nürburgring konnte und wollte das finanzielle Risiko nicht übernehmen.

In Hockenheim handelten sie 2009 einen Vertrag aus, den Georg Seiler, Geschäftsführer der Hockenheimring GmbH, als gut bezeichnet. Bernie Ecclestone, Vermarkter der Formel 1, war den Betreibern entgegengekommen. "Wir haben einen Vertrag, aber keinen guten", sagt der Brite. 2018 endet die Vereinbarung. Zwölf Millionen Euro kassiert Ecclestone, damit die Formel 1 ins Badische kommt. Im Nahen Osten oder in Südostasien sind schon mal 40 bis 50 Millionen Euro fällig. Vor zwei Jahren kamen nicht mal 50.000 zahlende Besucher zum Rennen. Bitter für Ecclestone, der 100 Euro von jedem Ticket oberhalb 50.000 bekommen hätte.

Eines scheint klar: Wird der Große Preis von Deutschland auch in diesem Jahr wieder ein Minusgeschäft für den Hockenheimring, dann ist auch 2018 gefährdet, dann könnte es sein, dass die Formel 1 sich aus Deutschland verabschiedet. Die Fans stimmen am Wochenende ab. Als zuletzt immer weniger kamen, bezeichnete Ecclestone sie als lausig. Sie hätten doch Topfahrer, in Mercedes einen Toprennstall - und dennoch kämen sie nicht.

Warum aber sollten die Besucher kommen und sich eine Serie anschauen, die Ecclestone unlängst noch als größten Mist bezeichnete? Eine Serie, die sich mit ihrer komplizierten Technik immer mehr von den Fans entfernt. Eine Serie, deren Verantwortliche sich in Machtkämpfen verzetteln und eher Geschäfts- denn Sportsleute sind. Eine Serie, die drauf und dran ist, ihren Kredit zu verspielen. Rund 500 Euro für den teuersten Platz sind auch nicht wenig. Tickets fürs Motodrom sind allerdings auch schon für 200 Euro zu haben. Kindertickets für alle Tribünen kosten 50 Euro.

Am Sonntag (14 Uhr) wollen die 22 Fahrer wieder Werbung betreiben, will Nico Rosberg die an seinen Teamrivalen Lewis Hamilton verlorene WM-Führung zurückholen. "Ich hoffe, dass es auch am Wochenende brummt", sagt Ina. Sie arbeitet in der Bäckerei Grimminger. 800 statt 200 Brötchen wurden für morgen und Sonntag geordert. Dann stehen drei statt zwei Bedienungen hinter der Theke. Auch in der Hogemer Curry- Worschd-Bude liegen morgen 400 statt 200 Würste parat, wenn die große Sause wenige Meter entfernt auf der Karlsruher Straße stattfindet.

Hockenheim kämpft um die Formel 1 - und das im Gegensatz zu anderen Rennstrecken ohne Zuschüsse von Land und Bund oder einen Gönner. "Aber es muss auch wirtschaftlich passen", sagt Geschäftsführer Georg Seiler. Die Rennstrecke ist auch ohne Formel 1 lebensfähig, sie wird gut genutzt. Das Image teuer zu bezahlen, wird man sich nicht länger leisten können und wollen.

Es ist wohl die letzte Chance

(RP)
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