EM-Viertelfinale Frankreich - Island David Island macht den Goliath Frankreich klein

Düsseldorf · Gastgeber Frankreich empfängt am Sonntagabend (21 Uhr/Live-Ticker) im EM-Viertelfinale das Überraschungsteam aus Island. Die Stärken und Schwächen der beiden Teams in der Analyse.

Frankreich - Island: die Fakten
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Torwart FRA: Manuel Neuer thront über allen. Hinter dem Branchenführer der Reflextitanen, Strafraumbeherrscher und Verteidiger mit Torwarthandschuhen kommt eine Reihe von Weltklasseleuten, deren Ranking häufig auch eine Geschmackssache ist. Frankreichs Hugo Lloris darf getrost zu ihnen gezählt werden, ohne Proteststürme auszulösen. Thibaut Courtois (Belgien), Jan Oblak (Slowenien) und David De Gea (Spanien) sind wie Italiens Legende Gigi Buffon Keeper der Kategorie Lloris. Aus dem Spiel heraus hat den französischen Rekordkapitän bei dieser EM noch niemand bezwungen, die einzigen beiden Gegentore fielen vom Elfmeterpunkt.

Torwart ISL: Dass Hannes Halldórsson einer der bekanntesten Regisseure Islands ist, trifft sich gut: Er könnte seine Lebensgeschichte einfach selbst verfilmen. Noch mit 21 Jahren war er zu schlecht und vor allem zu dick für einen isländischen Drittligisten. "Damals hätte er wohl mehr Chancen gehabt, Islands erfolgreichster Strandtuchverkäufer zu werden als Nationaltorwart", schrieb das Magazin "11 Freunde" über den Keeper vom FK Bodø/Glimt aus Norwegen. Auf der Linie agiert Halldórsson zwar stark. Sportlich reicht das Gesamtpaket aber nicht heran an Lloris.

Abwehr FRA: Raphaël Varane, Mamadou Sakho, Jérémy Mathieu, Adil Rami - auf dieses Quartett muss Frankreichs Nationalcoach Didier Deschamps in der Innenverteidigung verzichten. Für den gelbgesperrten Rami wird er wohl den jungen Samuel Umtiti bringen, der zur neuen Saison für rund 25 Millionen Euro von Olympique Lyon zum FC Barcelona wechselt. Der Haken: Für Umtiti wäre es das erste Länderspiel - ein EM-Viertelfinale im eigenen Land, nur zur Erinnerung. Trotz der nominell schwachen Gegner hat die Abwehr öfters gewackelt. Laurent Koscielny hält den Laden zusammen, so gut es geht. Doch wie lange geht es gut?

Abwehr ISL: Islands Viererkette spielt bei Hammarby IF, FK Krasnodar, Malmö FF und Odense BK. Allerdings dürfte sich das noch in diesem Sommer ändern. Ragnar Sigurdsson und Kári Árnason bilden in der Innenverteidigung eine Abwehrmauer der alten Schule, Torverhinderer par excellence. Beide sind je einmal zum "Man of the Match" gewählt worden, weil sie bei Standards gerne ihre Pendants auf der Gegenseite testen. Árnason kommt so auf zwei Assists nach Einwürfen, Sigurdsson traf im Achtelfinale gegen England zum Ausgleich. Islands Verteidigung antizipiert glänzend, wann es brenzlig wird - der Ball auf die Tribüne ist ihnen heilig.

Mittelfeld FRA: Paul Pogba wird irgendwann Weltfußballer. Das hat ein Meinungsforschungsinstitut namens Paul Pogba ermittelt. Befragt wurden Paul Pogba und sein Umfeld. Diverse Großklubs sollen überzeugt sein, rund ein Prozent des isländischen Bruttoinlandsproduktes zu investieren. Bei der EM hat der 23-Jährige bislang allerdings enttäuscht. Gegen Albanien saß er nur auf der Bank, gegen Irland lief Frankreich lange dem durch Pogba verschuldeten Elfmeter hinterher. Aber das kann - und muss - sich noch ändern. Shootingstar N'Golo Kanté fehlt aufgrund einer Gelbsperre im Viertelfinale. Yohan Cabaye könnte ihn ersetzen.

Mittelfeld ISL: Der Underdog antwortet auf die Pogba-Prominenz mit dem allgegenwärtigen Wikinger Birkir Bjarnason sowie Gylfi Sigurdsson, dem besten Fußballer der Isländer. Dann wären da noch der einwurfgewaltige Kapitän Aron Gunnarsson und der quirlige Jóhann Berg Gudmundsson. Drei von ihnen waren schon dabei, als Islands U21 vor sechs Jahren dem deutschen Team eine blamable Niederlage zufügte. 4:1 hieß es in Reykjavik. Dass Gegner das Gefühl haben, gegen eine diszipliniert verschiebende Handball-Mannschaft mit zehn Leuten zu spielen, hängt auch mit der enormen Einsatzbereitschaft des isländischen Mittelfeldes zusammen.

Sturm FRA: In der Offensive kann kaum ein zweites Team dieser EM auf eine ähnliche Bandbreite an spielstarken Torjägern zurückgreifen wie die Gastgeber. Frankreichs Trainer Didier Deschamps hat die Wahl zwischen dribbelstarken Alleskönnern (Kingsley Coman und Antoine Griezmann), pfeilschnellen Außenspielern (Anthony Martial), Kopfballungeheuern (Olivier Giroud) und erfahrenen Stoßstürmern (André-Pierre Gignac). Bis auf das Vorrunden-Spiel gegen die Schweiz (0:0) trafen die Franzosen in jeder EM-Partie doppelt.

Sturm ISL: Island stellt in Alfred Finnbogason (FC Augsburg) sowie Jón Dadi Bödvarsson (1. FC Kaiserslautern) zwar zwei Deutschland-Legionäre. Doch weder sie noch Kolbeinn Sigthórsson, der gegen England zum 2:1-Sieg traf, besitzen internationales Format. Alt-Star Eidur Gudjohnsen (37 Jahre) ist eher in beratender Funktion in Frankreich mit dabei. Die sechs Tore der Isländer erzielten sechs verschiedene Schützen.

Teamgeist FRA: Die Franzosen konnten sich zuletzt auf Einzelaktionen ihrer Starspieler verlassen. Dimitri Payet (zwei Tore) und Antoine Griezmann (drei Tore) retteten das Team gleich mehrmals mit ihren späten Treffern gegen Rumänien, Albanien und Irland und trugen es so bis ins Viertelfinale.

Teamgeist ISL: Die Schlachtgesänge der isländischen Fußballer ("Hu!") sind jetzt schon legendär, der Zusammenhalt innerhalb des Kaders sucht seinesgleichen. Bei keiner anderen Mannschaft des Turniers spürt man eine ähnliche Verbundenheit unter den Spielern wie bei den Isländern. Spätestens seit dem Erfolg gegen England strotzen sie nur so vor Selbstvertrauen. "Wir sind Wikinger. Wir haben vor niemandem Angst", sagte Abwehrspieler Ragnar Sigurdsson. In puncto Teamgeist kann keine Mannschaft Island das Wasser reichen.

Fans FRA: Zwar kommen auch die französischen Fans mit jedem Sieg ihrer Equipe Tricolore mehr und mehr in EM-Stimmung. Doch auch sie sind dem Charme des Inselvolks längst erlegen, sind wie große Teile Rest-Europas zu Island-Fans geworden. Liebevoll nennen sie die Gäste aus dem Norden "Ruligans" - da die Isländer zwar schon zum Frühstück ihr Bier bestellen, im Gegensatz zu den Krawallmachern sich aber an Regeln ("rules") halten.

Fans ISL: Mehr als 10.000 Menschen bejubelten in der Insel-Hauptstadt Reykjavik den Sensationssieg ihrer Mannschaft gegen England, feierten vereint in Island-Blau und mit Wikingerhelmen auf dem Kopf den historischen Triumph. Und in Frankreich selbst sind derzeit rund 20.000 Isländer unterwegs, die ihre Mannschaft begleiten. Das sind rund sechs Prozent der Gesamtbevölkerung!

(RP)
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