Bundestrainer Sturm im Interview "Ich finde mich als Trainer nicht perfekt"

Marco Sturm steht erstmals als Bundestrainer bei einer Weltmeisterschaft auf eigenem Eis an der Bande. Der 38-Jährige spricht im Interview über seine Erinnerungen an 2001, wenig Schlaf als Chefcoach, sein Erfolgsrezept für die WM und die Zukunft des deutschen Eishockeys.

Marco Sturm: Vom NHL-Star zum Bundestrainer
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Das ist Marco Sturm

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Foto: dpa, dna nic

Herr Sturm, erinnern Sie sich an den 28. April 2001?

Marco Sturm (Eishockey-Bundestrainer): "War da das erste Spiel der WM?"

Ja, das 3:1 zum Auftakt in Köln gegen die Schweiz bei Ihrer Heim-WM als Spieler.

Sturm Es war für mich eines der schönsten Turniere überhaupt, die Begeisterung war enorm. Wir haben gleich gegen ein starkes Team gewonnen, gegen das viele eine Niederlage erwartet hatten.

Und Sie haben das erste Tor geschossen, oder besser: Sie wurden angeschossen.

Sturm Ja, es war nicht das schönste Tor meiner Karriere.

Damals sind Sie mit einem Sieg und zwei Unentschieden ins Viertelfinale gekommen.

Sturm Es war ein anderer Modus, aber wir haben gutes Eishockey gespielt und auch gegen die Tschechen gepunktet.

Kann man eine solche Heim-WM als Spieler mehr genießen als als Trainer?

Sturm Ich denke schon. Man hat nicht so viel im Kopf wie der Trainer, sondern geht - in Anführungsstrichen - nur raus und spielt Eishockey. Der Trainer muss an alle Situationen, an all das Drumherum denken. Aber trotzdem sollte man so etwas auch genießen.

Können Sie zwischendurch mal abschalten, sich mal entspannt vor den Fernseher setzen?

Sturm Nein. Man hat als Trainer sehr wenig Schlaf, man schaut sehr viel Video, die eigenen Spiele, die der Gegner. Die Nächte sind sehr, sehr kurz.

Bei einer WM auf eigenem Eis sind die Erwartungen naturgemäß größer. Ist der Druck für den Trainer größer als für den Spieler?

Sturm Vielleicht einen Tick. Aber man hat immer Druck, er war auch in den letzten beiden Turnieren riesengroß. Bei einer Heim-WM will man natürlich besonders glänzen.

Wo waren Sie 2010?

Sturm Im Bett, mit einer Schiene nach meinem Kreuzbandriss. Ich habe mir ein paar Spiele online angeschaut und schon mitbekommen, was für ein tolles Ereignis die WM war.

Mit dem Weltrekord-Auftakt auf Schalke vor 80.000 Zuschauern und dem Halbfinaleinzug lief die Heim-WM damals sensationell gut, da liegt die Latte ziemlich hoch. Fürchten Sie, dass Sie daran gemessen werden?

Sturm Das kann man nicht verhindern. Aber es interessiert mich weniger, die Jungs werden es von mir auch nie hören.

Deutsche Mannschaften haben bei Heim-Weltmeisterschaften zuletzt sehr gut abgeschnitten. Lag es auch an den Trainern, an Hans Zach und Uwe Krupp?

Sturm Ja, die Jungs brauchen einen Leader, der ihnen den Weg zeigt. Wenn einer das nicht kann, ist es für die Spieler schwierig. Es ist mein Ziel, ihnen alles mitzugeben, was sie brauchen, um Erfolg zu haben.

Sie sind seit fast zwei Jahren im Amt. Wie würden Sie sich selbst als Trainer charakterisieren?

Sturm Ich lege sehr viel Wert auf Disziplin, auf Genauigkeit, will aber auch am Ende Spaß haben. Wir versuchen, mit einer guten Defensive, Stabilität und Disziplin mutig nach vorne zu spielen. Ich achte darauf, dass alle mitmachen. Wenn einer oder zwei anders spielen, haben wir ein Problem.

Wie wichtig ist ein guter Co-Trainer? 2010 war Harold Kreis als Krupps Assistent einer der Erfolgsgaranten.

Sturm Es ist mir bei der WM in Russland aufgefallen, es war für mich auch eine neue Erfahrung. Als Trainer schaffst du es nicht alleine. Als jetzt in der WM-Vorbereitung Geoff Ward nicht dabei war, gab es ein großes Loch. Wir verstehen uns sehr gut, denken fast genau gleich.

Ist ein erfahrener Co-Trainer besonders wichtig, wenn man wie Sie neu in dem Job ist?

Sturm Ich habe lange in der NHL gespielt und viel gelernt, das kann mir auch keiner nehmen. Aber es kommt am Ende auf Kleinigkeiten an, und er gibt mir die Tipps, aus denen ich lerne. Ich finde mich als Trainer nicht perfekt, ich will mich immer weiterbilden. Es gibt Trainer, die finden sich toll. Die sagen: Es passt alles. Aber ich bin noch jung, ich will dazulernen. Und durch Geoff Ward kann ich das. Deswegen ist er mein Co-Trainer.

Was ist das Erfolgsrezept für eine gute WM?

Sturm Wie es unser Logo sagt: Wir müssen eine Mannschaft sein. Es muss jeder für den anderen da sein, für den anderen fighten. Wir haben keine Superstars in der Mannschaft, es gibt keinen, der ein Spiel alleine entscheiden kann. Deswegen geht es nur über Teamwork.

Sie starten gegen die USA. Ist es ein gutes Omen, dass es 2010 mit einem 2:1 gegen die Amerikaner losging und Sie letztes Jahr in Russland mit einem Sieg gegen die USA das Viertelfinale perfekt gemacht haben?

Sturm Gutes Omen, ja. Aber der US-Kader sieht ganz anders aus als in den letzten Jahren, als viele Collegespieler, viele Junge dabei waren. Jetzt kommen sie mit einer sehr, sehr guten NHL-Truppe.

Sie testen also nicht für Olympia 2018 ohne die NHL?

Sturm Nein, das hat mich auch ein bisschen überrascht. Aber auch die anderen Nationen setzen voll auf NHL-Spieler, die Kanadier sowieso, die Schweden haben sieben NHL-Verteidiger. Dieses Jahr gibt's noch mehr NHL-Power als sonst.

Nach den USA kommen Schweden und Russland als nächste Gegner. Schwerer kann es nicht losgehen, oder?

Sturm Darüber dürfen wir uns keine Gedanken machen. Wir versuchen, so gut wie möglich ins Turnier reinzukommen. Egal, was passiert, wir dürfen nicht von unserer Linie abrücken. Und es ist wichtig, dass wir den Rückhalt der Fans haben.

Wann wäre es eine gute WM?

Sturm Wir wollen uns weiterentwickeln. Letztes Jahr haben wir den großen Schritt in der Weltrangliste von 13 auf 10 gemacht. Wir wollen uns weiter nach oben bewegen. Das geht nur mit guten Leistungen und guten Ergebnissen.

Und dem Einzug ins Viertelfinale?

Sturm Natürlich wäre es schön. Aber manchmal spielt man gut, und es klappt nicht.

Wie entwickelt sich das deutsche Eishockey weiter?

Sturm Wir brauchen mehr junge Spieler, wir müssen sie besser ausbilden. Der aktuelle Kader ist okay, aber was passiert in drei, vier, fünf Jahren? So rosig sieht es nicht aus.

Hat man die riesige Euphorie von 2010 nicht genügend genutzt?

Sturm Es ist leider nichts passiert, es hatte auch mit dem damaligen Präsidenten (Uwe Harnos/d. Red.) zu tun. Auf einmal war der Schwung weg - leider. Aber jetzt ist die Situation mit Franz Reindl als Präsident ganz anders, wir haben ein langfristiges Projekt gestartet. Doch man merkt jetzt, was in den letzten zehn, 15 Jahren versäumt wurde. Es hat die A-Nationalmannschaft noch nicht erreicht, aber es kommt. Deswegen habe ich mehr junge Spieler mitgenommen. Wir müssen die wenigen, die wir haben, pushen. Für mich war das Enttäuschendste, als ich die Bilder von 2010 gesehen habe, dass die meisten Spieler jetzt wieder da sind. Das kann's nicht sein. Wenn man sechs Jahre lang fast den gleichen Kader hat, dann läuft irgendwas falsch.

Wie kann man diese Heim-WM besser nutzen?

Sturm Wir wollen so viele Kinder wie möglich in die Stadien locken, damit sie Spaß am Eishockey finden. Wir als Verband müssen bessere Trainer ausbilden, es ist erschreckend, wie sehr da die Qualität fehlt. Es geht weiter mit der Struktur der Nachwuchsligen. Aber es braucht Zeit, und es müssen alle mitspielen. Das ist der heiße Kampf.

(sid)
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