Gegenpressing Erinnerungslücken bei Theo Zwanziger

Düsseldorf · Der Ex-Präsident des DFB würde es begrüßen, wenn die Fans die WM 2022 in Katar boykottieren würden. Als er selbst noch bei der Fifa in Führungsposition mitwirkte, war er nicht ganz so rebellisch.

 RP-Redakteur Gianni Costa.

RP-Redakteur Gianni Costa.

Foto: Phil Ninh

Es ist noch gar nicht so lange her, da ist Theo Zwanziger deutlich handzahmer durch durch die Welt gelaufen. Als Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) war die gute Seite der Macht vorzugsweise überall da, wo er mitmischte. Seit einigen Monaten nun ist Zwanziger 70 Jahre alt, hat alle Ämter im Fußball abgegeben und dafür eine neue Lebensaufgabe gefunden: Grantler auf zwei Beinen. Seine neu gewonnene Freizeit investiert er am liebsten darin, dass er sich an früher erinnert. Er hat alles richtig gemacht, bei anderen ist er indes deutlich strenger und fördert immer mal wieder belastendes Material zu Tage. Quasi im Alleingang hat er so aufgedeckt, dass beim Sommermärchen 2006 im großen Stil geschummelt worden ist.

Nun hat der Chefermittler ein weiteres Lieblingsthema gefunden. In acht Jahren soll in Katar eine Fußball-Weltmeisterschaft gespielt werden. Viele halten das nach wie vor nicht für die allerschlauste Entscheidung und begründen das vor allem mit klimatischen Vorbehalten - es sei in Katar zu heiß für Profisport. Zwanziger hat sich zu einer Zeit, als Franz Beckenbauer noch von Entdeckungstouren aus der Region zurückgekehrt ist und beteuerte, keine Sklaven auf den Baustellen gesehen zu haben, immerhin leise Zweifel ob der moralischen Vertretbarkeit angemeldet. "Die Entscheidung, die WM 2022 nach Katar zu vergeben, hat mich trotz der Diskussionen und Meldungen der vergangenen Wochen ein wenig überrascht. Ich bin mir sicher, dass die Mitglieder des Fifa-Exekutivkomitees alle Bedenken, die es gegen die Wahl geben kann, bei ihrer Entscheidungsfindung bedacht haben", sagte Zwanziger 2010 als Mitglied des engen Führungszirkels der Fifa. "Ich bin der Meinung, dass ein friedliches Fußballfest einen Beitrag zur politischen Stabilisierung in dieser Region leisten kann."

Mittlerweile ist er nicht mehr so ganz von der Kraft des Fußballs überzeugt. Angesichts der Menschenrechtslage in Katar hat er zu einem Fan-Boykott bei der WM in dem Emirat aufgerufen. "Ich würde als Fan nicht zur WM nach Katar fahren. Ethisch ist ein solcher Besuch nicht zu begründen", sagt Zwanziger der "Welt". Rechtlich sei ein Boykott hingegen nicht einfach, "aber am besten wäre es, wenn die neue Fifa-Führung Katar die WM entzieht", betonte Zwanziger. Die Internationale Gewerkschaftsunion ITUC hat einen neuen Report zur Ausbeutung von Arbeitskräften in Katar veröffentlicht. Darin spricht der Verband von 7000 Bauarbeitern, die bis zum WM-Beginn ums Leben kommen werden. "Man muss enttäuscht und resigniert feststellen, dass sich unsere Maßstäbe nicht auf Katar anwenden lassen", sagte Zwanziger. "Ich hatte zwischenzeitlich die Hoffnung, dass sie sich aufraffen und tatsächlich etwas verändern. Sie wären auch in der Lage, aber sie wollen einfach nicht."

Das ist natürlich eine total überraschende Erkenntnis.

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(RP)
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