Kolumne: Gegenpressing Dürfen Helden böse sein?

Düsseldorf · Profi-Sportler wollen gewinnen. Dafür ist häufig jedes Mittel recht. Peter Sagans Ellbogencheck beim Tour-Sprint ist dafür nur ein Beispiel.

Tour de France 2017: Pressestimmen zum Ausschluss von Peter Sagan
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Pressestimmen zum Ausschluss von Peter Sagan

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Was ist bloß mit unseren Helden los? Im Sprint einer Tour-Etappe räumt Peter Sagan einen Kollegen mit einem Ellenbogenschlag buchstäblich aus dem Rennen. Und er wundert sich anschließend, dass er fortan das Treiben der Kollegen am Fernseher verfolgen muss. Beim bewegenden Turnier um den Pokal der Fußball-Konföderationen hatte der Chilene Gonzalo Jara vorgemacht, wie wirkungsvoll Treffer mit dem Ellenbogen sind. Weil Jara selbst nach Zuschaltung des TV-Gerichts mit einer Verwarnung davonkam, wird sich Sagan umso mehr gewundert haben.

Der TV-Experte Mehmet Scholl ist mal kurz in den Streik getreten, weil er nicht begreifen wollte, dass sein Sender ausgiebig über den russischen Dopingskandal berichten wollte. Das muss man ja auch nicht verstehen, wo doch täglich die Gelegenheit besteht, viel mehr bunte Geschichtchen um Stars und tolle Typen erzählen (und senden) zu können.

Scholl dokumentiert der Welt auch in seinem zweiten Leben nach dem als Fußball-Star, wie sich die Hauptdarsteller in diesem Geschäft fühlen: vor allem als Hauptdarsteller nämlich. Damit geben sie sich das Recht, über richtig und falsch zu entscheiden. Und dabei sind sie selbst der Maßstab.

Das haben wir Sportfans davon, normale Menschen zu Helden unseres Alltags zu erklären. Es ist nur logisch, dass Helden die Welt allein aus ihrem Blickwinkel wahrnehmen. Helden im Sport sind Egoisten, weil sie ihre Stellung durch Erfolge bewahren. Und weil diesen Erfolgen lästige Konkurrenten im Weg stehen, räumt man die dann gern mit dem Ellenbogen oder einem wörtlichen Schlag unter die Gürtellinie weg. Das hat Scholl mit Mario Gomez vorgemacht. Er fürchte, dass Gomez sich wundliege und zwischendurch mal gewendet werden müsse, sagte der Experte bei der EM 2012 - ein durch und durch cleveres, sprachgewandtes und ich-bezogenes Kerlchen, der Herr Scholl.

Entrüstet zeigten damals die Moralisten auf Scholl, heute zeigen sie auf Sagan. Und sie stellen fest, dass beide ihrer Vorbildfunktion nicht gerecht werden. Darüber wundern sich nun wieder die Helden. Denn Vorbilder wollen die gar nicht sein. Sie wollen gewinnen - auf der Straße, auf dem Rasen, im Studio beim Wettlauf um die frechste Bemerkung. Das ist nur konsequent in der reichlich erbarmungslosen Leistungsgesellschaft des Profisports. Dabei ist nicht einmal ausgeschlossen, dass Sieger auch gute Menschen sein können. Aber im Wettbewerb müssen sie eben keine guten Menschen sein. Manchmal stört das sogar.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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