1964 ging sein Stern auf Als Muhammad Ali den Box-Thron erklomm

Muhammad Ali ist tot. Der Tag, an dem er die Welt erschütterte, begründete seinen Mythos. Der Sieg über Sonny Liston am 25. Februar 1964 war die Geburtsstunde des Größten aller Zeiten.

Muhammad Ali: "Der größte Mythos des Sports ist tot" – Pressestimmen
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Pressestimmen zum Tod von Muhammad Ali

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Foto: dpa, jgm ms

Cassius Marcellus Clay Junior bestellte sich ein Steak und Salat, dazu Gemüse. Später schlüpfte er in einen engen schwarzen Anzug, band sich eine Fliege und machte sich auf den Weg zu seinem bislang wichtigsten Kampf - mit dem er die Welt in ihren Grundfesten erschütterte.

Als Sonny Liston am 25. Februar 1964 nach der sechsten Runde seinen Mundschutz ausspuckte und auf seinem Hocker sitzen blieb, war nichts mehr wie zuvor. Clay war Boxweltmeister im Schwergewicht. Manche sagen, an diesem Tag, gut drei Monate nach der Ermordung von Präsident John F. Kennedy, begannen in den USA die 60er Jahre.

Aus Cassius Clay wurde Muhammad Ali

Clay konvertierte zwei Tage später zum Islam, er hieß nun Muhammad Ali. Es war die Geburtsstunde eines Mythos, einer Legende, einer Ikone - des Größten aller Zeiten, dessen Herz am Freitagabend aufhörte zu schlagen.

"Ich bin der König der Welt, ich bin der Größte. Ich habe die Welt erschüttert", schrie Ali nach dem Kampf gegen Liston in Mikrofone und Kameras. Und die ganze Welt hörte zu, immer noch nach Atem ringend, fassungslos, dass dieses Großmaul den vielleicht härtesten aller Schläger tatsächlich in die Knie gezwungen hatte. "Das ist die größte Sensation in der Boxgeschichte", nuschelte der große Joe Louis, der als TV-Experte hautnah dabei war.

Muhammad Ali – seine spektakulärsten Kämpfe
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Die spektakulärsten Kämpfe von Muhammad Ali

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Er, der "braune Bomber", der Antagonist von Max Schmeling, hatte fest mit einem Sieg von Liston gerechnet. Wie fast alle in der halbleeren Convention Hall von Miami Beach, wie die Fans, die Experten und die Presse. 43 der 46 anwesenden, hauptsächlich weißen, vermeintlichen Koryphäen der Sportpresse hatten auf einen K.o.-Sieg von Liston getippt, nachdem sie wochenlang schlecht über Ali geschrieben hatten. "Eat your words", schleuderte ihnen Ali nun entgegen: "Nehmt das zurück!"

Alis Sieg war mehr als ein sportlicher. Auf einmal war ein Schwarzer Weltmeister alle Klassen, einer, der in keine Schublade der immer noch rassistisch geprägten amerikanischen Gesellschaft passte. Sonny Liston, ja, das war der "böse Schwarze", der Dieb, der Ex-Knacki, der Mafia-Schläger, der hässliche Bär, der nicht lesen und schreiben konnte. Er hatte sich den Gürtel von Floyd Patterson geholt, dem "guten Schwarzen", dem angepassten Champion, der wusste, wo sein Platz in der Gesellschaft war - am Dienstboteneingang.

Zuschauer sahen Ali als Großmaul

Liston hatte Patterson zweimal fürchterlich verprügelt, sein Ruf klang wie Donnerhall, umweht vom Hauch des organisierten Verbrechens, der ihn stets umgab. Und trotzdem wollten viele Weiße Liston gegen Ali siegen sehen. "Liston war ein Ganove: jetzt ist er unser Polizist, er ist der große Neger, den wir bezahlen, damit freche Neger nicht aus der Reihe tanzen", schrieb der spätere Pulitzerpreisträger Murray Kempton.

So sahen sie Ali: Das Großmaul, die Lippe aus Louisville, der fröhlich reimte, wie er Sonny das Licht ausknipsen würde, der nachts um drei vor Listons Haus in Denver mit einem Bus stand, auf dem zu lesen war: "Der farbigste Kämpfer der Welt, Liston fällt in der achten Runde", und der rumpöbelte. Der die Beatles traf und anschließend fragte, mit welchen "Weicheiern" er da gerade (Foto-)Geschichte geschrieben hatte. Der beim Wiegen auf seine Jeansjacke "Bärenjagd" gestickt hatte und mit einem Puls von 120 hysterisch herumschrie.

Muhammad Ali – seine besten Sprüche
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Foto: Ali

Was viele übersahen - oder nicht sehen wollten: Ali war schon mit seinen 22 Jahren ein außergewöhnlich guter Boxer. Er schwebte tatsächlich wie ein Schmetterling und stach wie eine Biene. Und als sich die beiden Boxer schließlich im Ring gegenüberstanden und Liston seinen bösen Blick versuchte, musste er nach oben schauen. Liston, ein Gebirge von einem Mann, war sechs Zentimeter kleiner als Ali.

Dennoch gestand Ali später: "Ich hatte Angst." Im Moment des gegenseitigen Anstarrens, zum ersten und einzigen Mal in seinem Leben. Doch da war er bereits in Listons Kopf. Der hatte zwar vor gar nichts Angst, aber wie sollte er gegen einen Verrückten boxen? Das war Ali in seinen Augen, ein Verrückter, ein Schwätzer, eine Null. Statt richtig zu trainieren gönnte sich Liston Hot Dogs, Popcorn, Bier und leichte Mädchen. Zwei Runden sollten für Ali reichen. Welch fataler Irrtum.

Der erste Schlag verfehlte Ali um einen halben Meter. Der Schmetterling schwebte mit hängenden Fäusten vor dem Bären, der sich einen Bienenstich nach dem anderen einfing. Auch wenn Ali die fünfte Runde fast blind kämpfte, weil seine Augen wie Feuer von etwas brannten, das auf Listons Handschuhen gewesen war, und er seinen Trainer Angelo Dundde anflehte, seine Handschuhe aufzuschneiden und den Kampf zu beenden - am Sieg des Herausforderers bestanden schon lange keine Zweifel mehr.

Die Schläge der sechsten Runde brachen Listons Willen. Auch wenn später eine lädierte Schulter als Grund für die Aufgabe angegeben wurde - der geschlagene Champ wollte einfach nicht mehr. Genug der Demütigung.

Ali feierte mit Vanilleeis

Ali, der endlich sein größtes Ziel erreicht hatte, feierte nach der Show am Ring ganz leise. Zusammen mit dem Bürgerrechtler Malcolm X, Football-Star Jim Brown und einem Becher Vanilleeis. Einem großen.

Der Rest ist Geschichte. Ali wurde zu einer der großen Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts, weit jenseits der beschränkten Welt des Sports hinterließ er tiefe Spuren. Er schlug Foreman, er schlug Frazier, der "Rumble in the Jungle" und der "Thrilla in Manila" waren die größten Boxkämpfe der Geschichte. Ali war aber auch Poet, Provokateur, er war Menschenrechtler, Gerechtigkeitsfanatiker, als Kämpfer - auch und vor allem abseits des Rings - Vorbild und Inspiration für Millionen.

(areh/sid)
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