Köln Bouldern mit Sehnen aus Stahl

Köln · Juliane Wurm (24) ist die erfolgreichste deutsche Boulderin. Die aktive Profikarriere hat sie beendet, nun ist sie Jugend-Nationaltrainerin.

 Juliane Wurm beim Bouldern in der Kletterhalle.

Juliane Wurm beim Bouldern in der Kletterhalle.

Foto: imago sportfotodienst

Sie trägt Schal, Wintermantel und ein offenes Lächeln auf den Lippen, als sie an diesem kalten Abend die Kletterhalle in Ehrenfeld betritt. Ihr schmales Gesicht verrät es nicht. Und auch die Kleidung der zierlichen 1,60-Meter-Frau verbirgt die austrainierten Oberarme und das muskulöse Kreuz. Es bedarf eines genaueren Blickes auf die Hände, um Juliane Wurm als beste Sportkletterin der Welt zu enttarnen. Denn das Einzige an ihr, was Aufmerksamkeit zu erhaschen versucht, sind die kräftigen Sehnen, die sich auf ihren Handrücken hervorheben.Denn sie sind die stählernen Fäden, an denen die erfolgreiche Karriere der 24-Jährigen hängt.

Begonnen hatte alles mit einer Geburtstagsfeier in der Dortmunder Kletterhalle. Die Beweglichkeit und Körperspannung der damals zehnjährigen Leistungsturnerin fielen auf. "Ein Trainer sprach mich an und fragte, ob ich zum Kindertraining kommen möchte", sagt Juliane Wurm. Aus einem Training werden tägliche Besuche in der Kletterhalle. Mit 15 Jahren verdient sie ihr Taschengeld damit, Gleichaltrigen ihre Kletter-Kniffe zu zeigen. Zu dieser Zeit heißt die deutsche Vorzeigeathletin im Sportklettern noch Marietta Uhde. Sämtliche internationalen Titel räumt sie damals ab - mit weit über 30 Jahren. Jedes Turnier, jede Stunde an der Kletterwand aber bringt Juliane Wurm weiter, sie rückt immer näher heran. Mit 13 Jahren klettert sie die zweite Jugend-WM in Peking und Turniere in Schottland, Ecuador, den USA oder Kanada. Während andere die Schulbank drücken, wird Juliane Wurm als 16-Jährige zur jüngsten Deutschen Meisterin.

"Marietta Uhde war ein Idol, aber der Altersunterschied war für einen Vergleich zu groß", sagt Juliane Wurm heute. Auf den Deutschland-Cups habe sie Motivation gefunden. Nettes Aussehen oder andere Anzeichen für einen guten Charakter reichten ihr, um sich - im wahrsten Sinne - an Menschen hochzuziehen. Und prominente Vorbilder aus Musik oder Kunst? Die 24-Jährige überlegt kurz und schüttelt grinsend den Kopf, "brauchte ich eigentlich nie." Eine pragmatische, geradlinige Art, die sie im Leben und beim Klettern auszeichnet. "Da ploppen keine Gedanken auf. An der Wand zählt nur der nächste Zug und der nächste Zug und der nächste Zug." Und wenn sie das beschreibt, dann greift sie mit den Händen nach den Worten, gerade so, als wäre sie nicht im Gespräch, sondern hangele sich durch den nächsten Boulder. Dabei enden ihre Sätze meist mit einem Punkt, und immer mit einem freundlichen Lachen.

Nach Erfolgen in anderen Kletterdisziplinen, entschied sich Juliane Wurm für das Bouldern, das ungesicherte Klettern. Eine Disziplin, in der Maximalkraft wichtig ist - kleine Griffe, viel Armkraft, möglichst weite Züge. Wer abrutscht, landet auf mehr oder weniger weichen Matten. "Im Winter habe ich viel Krafttraining im Fitnessraum gemacht", sagt Wurm. Im Sommer lag ihr Fokus auf der Wand.

Wenn Juliane Wurm an der bis zu 50 Grad geneigten Wand hochsteigt, ist da nur diese flinke Leichtigkeit. In der Kletterszene wird sie dafür bewundert. Vor zwei Jahren nahm sie parallel zur Profi-Karriere ihr Medizinstudium in Witten/Herdecke auf. Was zuerst wie eine Entscheidung gegen den Sport anmutete, entpuppte sich als Schub für die Sportkarriere. Paradoxerweise kam mit dem Studienbeginn die Lust, nochmal anzugreifen. Es hatte sich gelohnt, denn der schönste Moment der Karriere sollte noch kommen.

Wurm wollte die WM 2014 in Deutschland mit einem freien Kopf angehen: statt Uni-Vorlesungen, hieß es jeden Tag drei Stunden Training, viel Dehnen, ganz viel Joggen und Yoga. Die indische Lehre "für die innere Ruh", sagt sie. Das viele Reisen und die Turniere zehrten an ihr. "Man ist oben und unten mit den Emotionen und weiß nicht, woran es liegt. Dann mache ich Yoga."

In München kam dann alles zusammen, als die Familie im Publikum zuschauen konnte, wie Wurm das Urlaubssemester vom Studium rechtfertigte, sich für das Extra-Training belohnte und den Titel beste "Boulderin der Welt" holte. Ihr schönster Moment "im eigenen Land zu gewinnen." Im Juli beendete die siebenfache Deutsche Boulder-Meisterin ihre Karriere. "Ich habe das so lange gemacht, aber jetzt möchte ich nicht mehr mit anderen um die Wette klettern", sagt Juliane Wurm.

Mit ihrer Unbeschwertheit hat es die Wuppertalerin, die mittlerweile mit Freund und Kletter-Europameister Jan Hojer in Köln lebt, bis an die Weltspitze geschafft. Und sie weiß nicht erst seit zwei Monaten, als sie vom Deutschen Alpenverein zur Jugend-Nationaltrainerin ernannt wurde, dass das Klettern in ihrem Leben bleibt: "Ich gehe immer noch fünf Mal die Woche klettern", sagt sie, und grinst schon wieder. Das Training mit Kindern sei ihr Ding. Kein Wunder, dass sie einmal in die Fachrichtung Pädiatrie gehen wird. Der (Kletter-) Nachwuchs ist bei der angehenden Kinderärztin sicher in den besten und stärksten Händen.

(ball)
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