Tischtennis Schlägertuning für Boll eine "Wettbewerbsverzerrung"

Düsseldorf · Timo Boll fordert vor der Heim-WM in Düsseldorf, Schlägertuning besser zu kontrollieren. Der Tischtennis-Weltverband ITTF verweist auf zu teure Messverfahren.

 Timo Boll fokussiert sich im Champions-League-Finale auf den Ball.

Timo Boll fokussiert sich im Champions-League-Finale auf den Ball.

Foto: dpa, hpl

Timo Boll hat einen ruhigen, besonnenen Charakter. Es gibt aber einen Umstand, der seinen Puls spürbar erhöht: Ungerechtigkeit. Boll steht wie kein Zweiter für Fairplay. Gerne verweist die ehemalige Nummer eins der Tischtennis-Welt darauf, dass er mit einem Schläger spielt, der genau in dieser Form herkömmlich gekauft werden kann. Einige seiner Kollegen behandeln ihr Spielgerät hingegen mit verbotenen Substanzen. Das regt den 36-Jährigen maßlos auf. Vor der Tischtennis-WM in Düsseldorf (29. Mai bis 5. Juni) kritisiert Boll deshalb gegenüber unserer Redaktion den Weltverband ITTF mit dem deutschen Präsidenten Thomas Weikert. "Ich bin ein Mensch, der Fairplay lebt. Für mich ist das eine große Wettbewerbsverzerrung. Die darf einfach nicht sein", sagt Boll.

Die Probleme beginnen bei den ITTF-Zulassungsbestimmungen für den Schlägerbelag. Diese beziehen sich nur auf die Dicke des Obergummis, nicht aber auf den darunter angebrachten Schwamm und das Holz. Michael Geiger, Präsident des Deutschen Tischtennis-Bundes (DTTB), erklärt: "Der Schläger muss zu 85 Prozent aus Holz bestehen, was allerdings nicht kontrolliert wird. Und der Schwamm wird nur im Rahmen der vorgegebenen Belagdicke behandelt, in der er mit eingeschlossen ist." Boll geht es vor allem um das verbotene Nachbehandeln des Belags. Zur Messung müsste man Gummi und Schwamm vom Holz lösen. Das geschieht bisher aber nicht, und so wird Betrügern Tür und Tor geöffnet.

Das Schlägertuning mit so genannten "Boostern" findet zwischen Holz und Schwamm statt. Eine zähflüssige Masse wird auf das Holz aufgetragen. Die entstehenden Gase erhöhen den Katapulteffekt beim Schlag und machen den Belag schneller, wie es die Spieler nennen. In Paragraf 4.7 des Tischtennisregelwerks heißt es: "Das Belagmaterial muss ohne irgendeine physikalische, chemische oder sonstige Behandlung verwendet werden."

Seit 2008 ist das "Frischkleben", das Kleben des Belags unmittelbar vor dem Spiel, verboten. Grund hierfür sind gesundheitsschädliche Gase durch giftige Lösungsmittel. Diese sind auch in den Boostern enthalten.

Die Universität Regensburg hat mittlerweile ein Messverfahren entwickelt, das es ermöglicht, einen regulären von einem behandelten Schläger zu unterscheiden. Allerdings wird das Verfahren noch nicht eingesetzt. "Ich werde immer an die ITTF-Materialkommission verwiesen", sagt Boll. "Die sagen mir dann, es sei zu kompliziert und zu teuer. Es ist einfach ein leidiges Thema, das nicht wirklich vorangeht."

Als deutscher Vertreter sitzt Torsten Küneth in der Materialkommission. "Ich gebe Timo recht, technisch wäre es möglich, die Messung vor jedem Spiel durchzuführen. Die praktischen Probleme sind aber erheblich", sagt Küneth. Ein 70 Kilo schweres Messgerät kostet knapp 100.000 Euro und müsste dann von Turnier zu Turnier transportiert werden. Dazu kommen die Kosten für geschultes Personal. Boll lässt diese Ausreden nicht gelten: "Wenn ich dann sehe, dass für das Hobby-Tischtennis-Programm TTX vom Weltverband zigtausende Euro ausgegeben werden, aber für den eigentlichen Sport kein Geld da ist, um sauberen Sport zu gewährleisten, kann ich das null nachvollziehen."

Eine Möglichkeit wäre, zumindest bei Großveranstaltungen wie der WM oder bei Olympia mit Messungen zu beginnen. "Das wäre eine Option, um ein Exempel zu statuieren", sagt Küneth. "Für Timo und Co. wäre es ein Fortschritt." Um dieses Messverfahren einzuführen, bräuchte es einen Mehrheitsbeschluss auf dem jährlichen ITTF-Treffen AGM, das in diesem Jahr am 31. Mai in Düsseldorf stattfindet. Küneth glaubt aber nicht, dass solch ein Vorstoß eine Mehrheit unter den mehr als 220 Verbänden fände, da viele Verbände dafür plädieren, solche Messungen bis zur Basis vereinheitlicht zu halten.

Die WM in Düsseldorf soll dennoch genutzt werden, um das Thema voranzutreiben. "Ich hoffe sehr, dass ich oder andere Kollegen aus der Materialkommission die Gelegenheit bekommen, mit Thomas Weikert mal zu sprechen", sagt Küneth.

Boll betont: "Bei den Funktionären gerät dieses Thema schnell wieder in Vergessenheit. Ich bekomme diese Stiche und dieses Gefühl aber fast jedes Wochenende wieder und muss immer wieder die Contenance bewahren. Das ist verdammt schwierig."

(erer)
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