Schach-Genie Kasparow ist zurück

Düsseldorf · Garry Kasparow, früherer Schach-Weltmeister, tritt erstmals seit 2005 wieder bei einem Turnier mit lauter Großmeistern auf - in St. Louis. Er schlägt sich achtbar.

 Schachgenie Garri Kasparow.

Schachgenie Garri Kasparow.

Foto: dpa, ped vge nic

Die Schachwelt hat soeben die Wiederauferstehung einer berühmten Giftschlange erlebt, die mancher schon im Reptilienmuseum wähnte. Seit 2005 hat der russische Ex-Schachweltmeister Garry Kasparow kein öffentliches Turnier mehr gespielt, von den atemberaubenden Großmeisterturnieren hatte er sich vollständig zurückgezogen, reiste als Vortragskünstler, Schach-Botschafter und russischer Oppositioneller durch die Welt. Und er wütete mit einem Restbudget an erforderlicher Spielstärke bei Simultanauftritten gegen deutlich schwächere Spieler, die beispielsweise unlängst in Städten wie Mönchengladbach den Kampf ihres Lebens gegen den Mann mit den gefährlichsten Augenbrauen der Welt natürlich verloren.

Doch jetzt war es einem genialischen Strippenzieher gelungen, Kasparow mit einer Wild Card (und möglicherweise einem Sonderhonorar, darüber wurde geschwiegen) für das mit zehn Spitzenspielern besetzte Großmeisterturnier in St. Louis zu versorgen, wo der ehemalige Titan gegen die aktuelle Weltelite antrat, etwa Levon Aronian, Hikaru Nakamura, Viswanathan Anand, Fabiano Caruana und Sergej Karjakin. Sein langjähriger Eleve, der amtierende Weltmeister Magnus Carlsen, den Kasparow über Jahre trainiert hatte, war nicht im Teilnehmerfeld; Carlsen war es gewesen, der Kasparow den Rekord einer epochalen Elo-Wertungszahl von 2812 Punkten geklaut hatte.

Gespielt wurde in Saint Louis in zwei Runden, einmal im Rapid- und einmal im Blitzsystem. Die Spieler hatten also zunächst 25 Minuten für alle ihre Züge, dann gar nur fünf Minuten. Alle Blicke und Fragen richteten sich vor allem auf Kasparow: Wird er versagen? Mündet die Vorstellung in eine Blamage? Oder kehrt er als Triumphator zurück?

Schon in seinen ersten drei Partien, die allesamt Remis endeten, zeigte sich, dass Kasparow gut vorbereitet war; allerdings rannte ihm die Zeit weg. In den ersten 15 Zügen, die für einen trainierten Großmeister pure Eröffnungsroutine sind, dachte Kasparow unverhältnismäßig lange nach, um schwierige Varianten zu entwickeln und die deutlich jüngeren Spieler von gesicherten Pfaden wegzulocken. Das gelang nicht ganz zu Kasparows Zufriedenheit.

Jedenfalls führte der Wunsch nach originellen Manövern immer wieder zu fürchterlicher Zeitnot, die Kasparow etwa in der Rapid-Partie gegen Ian Nepomniachtchi in ein unzerreißbares Mattnetz fliegen ließ. Dass er es übersah, werteten die Kommentaren als argen Patzer. Nach der Rapid-Runde stand Kasparow hinten in der Tabelle, schlechter war nur der tschechische Großmeister David Navara.

Im Blitz-Wettbewerb besserte sich die Lage. Man merkte, dass Kasparow in all den Jahren nicht tatenlos geblieben war, sondern sich in Internet-Turnieren unter Pseudonym, sozusagen in Erlkönig-Tarnung, immer wieder dem Kampf gestellt hatte. Im Blitzmarathon schob sich Kasparow nach vorn, strich unter Zuhilfenahme seiner immer noch glänzenden Intuition schöne Siege ein, so dass er am Ende auf Platz fünf landete, zusammen mit dem Vietnamesen Quang Liem Le und noch vor Caruana und Anand. Man darf also sagen: Kasparow ist wieder da. Vielleicht war er auch nie weg. Jedenfalls hat er gezeigt, dass man mit 54 Jahren noch keineswegs zum alten Eisen im Schach zählt.

Das Turnier gewann der Armenier Levon Aronian, ein düsterer Einzelgänger, der in einem Interview auf die Frage, was ihm ein Sieg gegen Kasparow bedeutete, abgebrüht sagte: "Es ist mir egal."

(w.g.)
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