Weißenfeld neu im Deutschland-Achter Plötzlich Teil des Mythos

Dortmund · Johannes Weißenfeld ist 22, studiert Medizin und sitzt neu im Deutschland-Achter, einem der symbolträchtigsten Sportteams. Doch wie lebt ein Ruderer den Mythos heute?

Deutschland-Achter ohne Mühe im Vorlauf
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Deutschland-Achter ohne Mühe im Vorlauf

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Foto: dpa, nic

Ein Mythos, der Jahrzehnte überdauern will, muss es schaffen, zu jeder Zeit seinen Platz in der kollektiven Wahrnehmung zu finden. Und wer 2017 einen Mythos transportieren will, kommt an Internet und sozialen Medien nicht vorbei. Also hat der Deutschland-Achter eine eigene Homepage, ein Facebook-Profil, er ist bei Twitter und Instagram vertreten. Und natürlich gibt es auch eine WhatsApp-Gruppe "Deutschland-Achter". Die indes ist den Ruderern vorbehalten, die es in das wohl symbolträchtigste Team im deutschen Olympia-Sport geschafft haben. Johannes Weißenfeld hat neulich auch eine Einladung in diese Gruppe erhalten. Denn der 22-Jährige sitzt in dieser Saison erstmals im Achter.

"Ich fühle mich dadurch jetzt nicht als besserer Mensch. Ich fühle mich nur zufriedener", sagt Weißenfeld lächelnd. Und er kassiert sogleich die Annahme, dass in der Deutschland-Achter-Gruppe andere Dinge besprochen würden, als es eine Fußball-Kreisliga-Truppe dort tut. ",Wann ist morgen noch mal Training?' ,Ach, 7.30 Uhr. Alles klar.'" Ein Mythos kann im Alltag also auch zuweilen ganz banal sein. Doch in der Regel ist er es eben nicht. Denn Teil des Deutschland-Achters zu sein, bedeutet auch heute noch das Größte für einen Ruderer. Daraus macht Neuling Weißenfeld keinen Hehl. "Es ist schon eine andere Wahrnehmung. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass man einfach mehr in der Öffentlichkeit steht", sagt er.

Der Zwei-Meter-Mann aus Herdecke, der als Bugmann ganz hinten im Boot sitzt, ist sich bewusst, dass seine neue Rolle auch neue Aufgaben mit sich bringt. "Im Deutschlandachter hast du schon eine andere Verantwortung. Für den Mythos, den es zu bewahren gilt, aber auch allgemein für das Rudern. Das predigt Ralf [Bundestrainer Ralf Holtmeyer, Anm. d. Red.] auch immer. Das ist etwas Gutes, was wir hier haben, und das wollen wir uns auch erhalten", erklärt Weißenfeld. Das bedeutet auch: keine Ego-Trips auf Kosten des Teams, kein Körperkult-Marketing wie bei anderen Wassersportlern. "So sind wir nicht. Körperkult ist bei uns nicht so ausgeprägt, uns geht es um die Leistung. Ob mit Sixpack oder mit einem kleinen Röllchen."

Geboren wurde der Mythos Deutschland-Achter 1959, als sich Ruderer aus Kiel und Ratzeburg zusammentaten, im französischen Mâcon als Renngemeinschaft Europameister wurden und ein Jahr später auf dem Albaner See südlich von Rom den ersten Olympiasieg holten. "Das haben die Leute, die sich den Namen Deutschland-Achter ausgedacht haben, schon schlau gemacht", findet Weißenfeld.

Sein Anlauf ins Prestige-Boot des Ruder-Verbandes begann im vergangenen Jahr, als er bei Olympia in Rio als Ersatzmann dabei war. Seine Kollegen holten hinter den Briten Silber, und Weißenfelds Ehrgeiz war gepackt, es jetzt erst recht unter die ersten neun (inklusive Steuermann) zu schaffen. "Ich möchte dieses Jahr meine beste Saison hinlegen und endlich auch mal eine Medaille bei den Männern gewinnen", sagt Weißenfeld. Die erste Gelegenheit bietet sich am Wochenende bei der EM im tschechischen Racice, der Saisonhöhepunkt ist die WM Ende September in Sarasota/USA.

Für ihn wie für die meisten seiner Teamkollegen ist der Alltag im Achter ein Spagat zwischen Studium und Training am Leistungszentrum in Dortmund. Weißenfeld studiert Medizin in Bochum. Das bedeutet tägliche Pendelei, lange Tage mit Lernen im Hörsaal oder im Pflegepraktikum und Ackern auf dem Wasser oder dem Ergometer. Es ist letztlich Idealismus, der sie alle antreibt. "Wenn ich nach einem guten Trainingstag mit mir zufrieden bin, macht mich das genauso glücklich wie ein dickes Portemonnaie. Und wenn ich eine Klausur bestehe, vor der ich richtig Bammel hatte, ist das ein vergleichbares Gefühl wie das, in vollem Tempo im Achter zu fahren", sagt Weißenfeld.

Seine Eltern drücken eh immer die Daumen, ob nun bei der Klausur oder beim Rudern. Und auch sie wissen nur zu gut, dass ihr Sohn jetzt Teil eines Mythos ist. "Als ich erfahren habe, dass ich im Achter sitze, habe ich mit meinen Eltern abends ein leckeres Steak gegessen. Und ja, wir haben es schon ein bisschen gefeiert", sagt Weißenfeld.

(klü)
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