Fecht-Talent aus Dormagen Leistungssport mit 13 Jahren

Dormagen · Die Anforderungen an Talente sind groß. Viel Zeit fürs Kindsein bleibt nicht zwischen Schule, Training und Wettkampf. Doch junge Leistungssportler sind oft die besseren Schüler.

 Von der Schule in die Turnhalle: für Annemarie Schneider Alltag.

Von der Schule in die Turnhalle: für Annemarie Schneider Alltag.

Foto: Lothar Berns

Um 6 Uhr in der Früh klingelt Annemarie Schneiders Wecker, jeden Tag in der Woche. Eine Stunde nimmt sich die Dormagenerin am Morgen Zeit, bevor sie in die Schule muss. Eine Stunde, um zu frühstücken und ihre Sachen zu packen für den Tag. Den Rucksack mit Büchern und Ordnern und die Sporttasche. Vor 19.30 Uhr wird Annemarie kaum zu Hause sein. Es sind lange Tage für eine 13-Jährige. Aber sie kennt es nicht anders. "Das ist Alltag", sagt sie. Annemarie ist Leistungssportlerin. Mit dem Fechten hat sie in der Grundschule angefangen. Damals war der Sport Hobby, parallel dazu war sie noch im Ringerteam. "Irgendwann hat mir Fechten besser gefallen", sagt sie. "Es hat besser zu mir gepasst."

Annemarie Schneider ist talentiert, das war Olaf Kawald, Cheftrainer und Bundesstützpunktleiter des TSV Bayer Dormagen, sofort klar. Um die Eltern bei der Fahrerei zu entlasten, wurde Annemarie schon als Grundschülerin ins Teilinternat Dormagen aufgenommen. Seitdem sind ihre Tage so lang. Um 7 Uhr geht sie aus dem Haus, bis 15.10 Uhr sitzt sie in der Schule. "Danach werde ich ins Internat gefahren", sagt sie. Dort werden die Schüler betreut, "bekommen ein sportorientiertes Mittagessen und Hilfe, um sich auf Klassenarbeiten vorzubereiten", sagt Hans-Peter König, der die Einrichtung leitet.

Sechs Mal trainiert Annemarie in der Woche. Zwei Stunden Kraft- und Beinübungen, Taktik und Wettkampf-Fechten. "Manchmal ist es hart", sagt sie. Aber sie will fit sein für die Turniere, für die Wochenenden. Jedes zweite etwa ist sie unterwegs. "Da ist der Druck groß", sagt die Fechterin. Tränen sind schon geflossen. Nicht, weil der Coach so viel fordert, und auch nicht, weil die Eltern so viel erwarten. Den meisten Druck macht Annemarie sich selbst. "Die Deutsche Meisterschaft habe ich im vergangenen Jahr total versiebt", sagt sie. Beim nächsten Mal soll es besser laufen.

Für Annemarie als Individualsportlerin ist der Druck noch mal höher als bei Teamsportlern, sagt Sylvain Laborde, Psychologe an der Deutschen Sporthochschule Köln. "Man trägt die alleinige Verantwortung für das Ergebnis", sagt er. Wenn dann auch noch die so genannten Helikopter-Eltern ihre Kinder zum Erfolg drängen, verlieren sie schnell den Spaß am Sport, sagt Laborde. "Doppelbelastung mit Schule und Sport, Disziplin, dem hohen Trainingspensum und den Ernährungsvorgaben können Faktoren für eine Überforderung sein", sagt der Psychologe. Die Umstellung von neun auf acht Jahre bis zum Abitur habe es nicht einfacher gemacht, sagt König.

Leon hat fürs Fechten nicht nur die Schule gewechselt, er ist sogar umgezogen, von Nürnberg nach Knechtsteden. Seit einem halben Jahr lebt der 16-Jährige im Sportinternat, und würde er zurück nach Bayern wollen, wäre das gar nicht so leicht. "Weil mich das Gymnasium dort nicht so ohne weiteres wieder zurücknehmen würde", sagt der 16-Jährige. Das mit dem Heimweh sei schon okay, meint er. Und von seiner Jugend habe er auch genug, allzu oft müsse er nicht absagen, wenn er mal auf einer Party eingeladen ist. "Meine Freunde kennen das, sie sind auch alle Sportler", sagt Leon. Selbst das eine oder andere Bier habe er schon getrunken. Und auch Annemarie findet noch immer Zeit für Mädchenkram, einen Einkaufsbummel mit Freundinnen oder einen Kinoabend.

"Leistungssportler sind in der Entwicklung ihren Altersgenossen oft voraus", sagt Laborde. "Wir haben festgestellt, dass Sportklassen zu den leistungsstärksten Klassen zählen", sagt König. Weil die Schüler dort sehr aktiv und selbstbewusst seien. Liefe es in der Schule nicht, gäbe es auch im Sport Probleme, sagt Kawald. Ein Grund, warum das Teilinternat in Dormagen eröffnet wurde. Es liegt direkt am Trainingsgelände des TSV - Fechter, Handballer, Leichtathleten und Schwimmer werden dort betreut.

Dass Leon und Annemarie nicht ihren Lebensunterhalt mit dem Leistungssport verdienen werden, das wissen sie. "Ich bin da realistisch", sagt Leon. Beide wollen ihr Abitur machen, irgendwann studieren. Und vor allem haben sie ein Ziel: Olympia.

(RP)
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