Bundestrainer Lambertz "Schwimmen lernen darf keine Frage des Dürfens sein"

Düsseldorf · Der Deutsche Schwimmverband sucht auf seiner Jahrestagung nicht nur eine Nachfolgerin für Präsidentin Christa Thiel, sondern auch nach einer grundsätzlichen Neuausrichtung.

Henning Lambertz: "Schwimmen lernen darf keine Frage des Dürfens sein"
Foto: dpa, msc axs hak

Wenn es nach Britta Steffen und Paul Biedermann geht, bleibt die Spitze des Deutschen Schwimmverbands (DSV) weiblich. Die beiden Aushängeschilder des Schwimmsports haben sich für Gabi Dörries ausgesprochen, wenn heute die Entscheidung über die Neubesetzung des Präsidentenamtes fällt. 16 Jahre war Christa Thiel Präsidentin. Nach zahlreichen schlechten Resultaten und viel Kritik tritt sie ab. Neben Dörries gibt es zwei weitere Kandidaten. Aber egal, wer das Amt ausüben wird, es gibt viel zu tun: Der Schwimmsport steht so schlecht da wie nie.

"Es ist fünf vor zwölf, und wir müssen gemeinsam anpacken", sagt Henning Lambertz. Dabei spricht der Bundestrainer aber nicht etwa von der desaströsen Bilanz bei den Olympischen Spielen in Rio, als die Schwimmer ohne Medaille und mit nur sieben Finalteilnahmen heimkehrten. Lambertz spricht allgemein vom Schwimmen.

Anfang der 1990er Jahre konnten 90 Prozent der Grundschüler schwimmen, als sie in weiterführende Schulen wechselten. Heute sind es weniger als 75 Prozent. Ein großes Problem stellt die Ausbildung der Lehrkräfte dar. Das Land NRW verlangt den Nachweis der Rettungsfähigkeit von Lehrkräften, die Schwimmunterricht erteilen. Fachfremd unterrichtende Lehrkräfte müssen zudem einen Kurs in Schwimmdidaktik absolvieren. "Rot-Grün ist leider nicht in der Lage, ausreichend Fort- und Weiterbildungskurse bereitzustellen", kritisiert Thomas Welter (CDU), Vorsitzender des Sportausschusses im Rhein-Kreis Neuss. Der Ausschuss hat daraufhin 2015 das Pilotprojekt "Jedes Kind kann schwimmen lernen" mitaufgelegt. Lehrer wurden ausgebildet, um für mehr Schwimmunterricht zu sorgen.

Auch im Kreis Heinsberg gibt es eine Initiative: "Mathe schützt vor Ertrinken nicht". An vielen Schulen konnte ein Drittel der Kinder in der vierten Klasse nicht schwimmen. Erst langsam wird das besser. "Als Bundestrainer sage ich: Je weniger Kinder schwimmen lernen, desto weniger Durchlass werden wir nach oben haben. Als Elternteil sage ich: Wenn Kinder nicht mehr schwimmen lernen, begeben sie sich in große Gefahren. Es darf keine Frage des Dürfens oder Wollens sein, sondern des Müssens", sagt Lambertz.

Beleg für seine These liefert eine Statistik der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG). 2015 ertranken in Deutschland mindestens 488 Menschen. 96 mehr als 2014, ein Anstieg um 24,5 Prozent. Den Schwimmsport belastet auch das Bädersterben. Vom 1. Januar bis 15. Oktober 2016 wurden 71 Bäder geschlossen, 22 davon in NRW, dem Bundesland, das in dieser Statistik dauerhaft einen Spitzenplatz belegt. In der selben Zeit wurde bundesweit nur ein neues Bad eröffnet.

Der Dormagenerin Tina Kühn liegt das Thema Schwimmen besonders am Herzen. Sie forderte 2013 Ministerpräsidentin Hannelore Kraft auf, im Grundgesetz oder in der Landesverfassung zu verankern, dass Kinder bis zum Wechsel auf eine weiterführende Schule das Schwimmen erlernt haben müssen. Sie erhielt eine Absage. Das könne man nicht gesetzlich vorschreiben.

Für Lambertz geht es nun um einen Drei-Punkte-Plan. Im ersten Schritt sollen Eltern dafür sorgen, dass ihre Kinder schon vor der Einschulung das Seepferdchen ablegen. Danach sollen Schulen versuchen, allen Kindern das Schwimmen beizubringen. Im dritten Schritt sollen Vereine vermehrt in den Schulen sichten, um Talente früh zu erkennen. Deshalb fordert Lambertz, dass Bund, Länder, Kommunen, Verbände und Vereine an einem Strang ziehen: "Der vornehmliche Verband, der so etwas ins Rollen bringen sollte, ist die DLRG. Wenn die Alarm schlagen, hat das richtig Hand und Fuß."

Für den 45-Jährigen sind es triste Zeiten als Chef der Sportschwimmer. Die großen Zeiten mit Michael Groß, Franziska van Almsick, Britta Steffen oder Paul Biedermann sind vorbei - hoffnungsvolle Talente sind nicht in Sicht. "Wir haben große Probleme, unseren Nachwuchs in dieselben Bahnen zu lenken wie vor einigen Jahren", sagt Lambertz. Der C-Kader, den die talentiertesten Kinder bilden, schrumpft. "Wir hatten 2016 so große Probleme, dass wir unsere Kriterien aufweichen mussten, um Kinder in die Förderung zu bekommen", sagt Lambertz. "Wenn man ehrlich ist, ist es schwer, Kinder fürs Schwimmen zu begeistern. Bei einer Ballsportart trifft man sich mit fünf, sechs Leuten in der warmen Halle und los geht's. Beim Schwimmen geht es in die Badehose, man muss ins kalte Wasser springen und öde hin- und herschwimmen. Und: Selbst wenn ich ein ganz Großer werde, was habe ich davon?" Nur ganz wenige Athleten haben nach ihrer Karriere finanziell ausgesorgt. Der Aufwand für ein wenig Ruhm bei Olympia ist hingegen enorm. Spätestens mit zwölf Jahren muss das Frühtraining beginnen. Heißt: Vor der Schule Bahnen ziehen. Zehn Trainingseinheiten à zwei Stunden in der Woche. "Dann gute Nacht, wenn ich noch G8 habe", sagt Lambertz. Zusammen mit der Sporthilfe will der DSV jetzt zumindest zusätzliche finanzielle Belastungen abwenden. "Wenn im Alter von 13, 14 Jahren die Entscheidung fällt, ins Internat bei einem Bundesstützpunkt zu wechseln, sollte die Internatspauschale von 400 bis 500 Euro pro Monat nicht auf die Eltern zurückfallen."

Auch nach der anstehenden Reform der staatlichen Sportförderung werden 150 Millionen Euro in alle Spitzenverbände, Fußball ausgeklammert, fließen. "Bisher war es das Prinzip Gießkanne", sagt Lambertz. Jetzt sollen Verbände mit guten Aussichten bevorzugt werden. Kategorien sollen entstehen, nach denen sich die Fördergelder richten. Lambertz: "Schwimmen ist da natürlich interessant. Weil theoretisch über 40 Medaillen zu holen sind." Lambertz hatte zuletzt eine Prämie angeregt. Der Olympiasieg, soll mit einer Million Euro belohnt werden. "Das ist eine magische Grenze. Damit können wir viele Kinder motivieren, Sport zu treiben."

(erer)
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