Düsseldorf Absturz einer Fechtnation

Düsseldorf · Das deutsche Damendegen-Team um Britta Heidemann hat die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2016 verpasst. Nur zwei deutsche Fechter fahren im ungünstigsten Fall nach Rio.

Das deutsche Damendegen-Team um Britta Heidemann hat die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2016 verpasst. Nur zwei deutsche Fechter fahren im ungünstigsten Fall nach Rio.

Die Stimmung ist am Tiefpunkt. Aus dem chinesischen Nanjing kehrt das deutsche Damendegen-Team ernüchtert und mit schlechten Nachrichten zurück. Der 17. Platz macht eine Teilnahme an den Olympischen Spielen 2016 nahezu aussichtslos. Ein Volltreffer, mitten hinein in das Fechterherz. Für die einstige deutsche Vorzeigewaffe ist dieses Aus ein historischer Tiefpunkt: Noch nie hat ein deutsches Damendegen-Team die sportliche Qualifikation für Olympia verpasst. Der Traum von den vierten Spielen hängt damit auch für Britta Heidemann am seidenen Faden der Einzelqualifikation im April. Deutschlands Fechter sind nicht erst auf dem Weg zu den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro aus dem Gleichgewicht geraten. Seit Jahren stimmen die Ergebnisse nicht mehr. Und auch im Deutschen Fechter-Bund (DFB) kippt die Stimmung: Nach elf Monaten Amtszeit ist Vizepräsident Luitwin Ress zurückgetreten. Es heißt, der Vorstand habe den Abschwung kommen sehen. Warum aber reicht es nicht mehr, um in der Weltelite mitzufechten?

Es ist erst wenige Jahre her, da war noch alles in Ordnung im deutschen Fechtsport. Von glorreichen Zeiten zeugen die 40 Olympiamedaillen, 111 WM- und 90 EM-Medaillen im Vereinsheim des FC Tauberbischofsheim. Doch der FC Tauberbischofsheim ist schon lange nicht mehr das Mekka des erfolgreichen Fechtsports. An einem echten Zentrum, einer Schmiede für Talente fehlt es mittlerweile. Es sind die glänzenden Einzelerfolge der Olympiasieger Britta Heidemann oder Benjamin Kleibrink (2008) in Degen und Florett oder bronzene Teamerfolge im Säbel, die über das löchrige Fundament im deutschen Fechtsport hinwegtäuschen konnten. Die "Road to Rio" sollte für die deutschen Teams eine Einbahnstraße sein - zwei Meter breit und 14 Meter lang, wie die Fechtbahn. Doch auf ihr haben sich Blößen offenbart.

"Wir brauchen wieder eine breite Landschaft von Trainern, vor allem im Nachwuchs", sagt Max Hartung. Der Säbelfechter und Athletensprecher ficht in Dormagen und ist eine der verbliebenen Olympia-Hoffnungen für 2016. Basisarbeit ist gefragt. Denn Randsportarten sind wie Selbstversorger. Wer nicht sät, kann nicht ernten. Und weil die Fechter bei Olympia nur alle vier Jahre in den Fokus geraten, muss dann auch noch das Timing stimmen. Ausgerechnet ein Jahr vor Rio ist ein Umschwung in fünf der sechs Waffengattungen im Gange. Florett und Degen scheinen noch Zeit zu benötigen,um Athleten in Bestform zu bringen. Einzig der Herrensäbel steht bereits wiedererstarkt da. Die aktuellen Team-Europameister und WM-Dritten entstammen der kleinen Säbel-Fechtschmiede vom TSV Dormagen. Dort buhlen vier Top-Fechter um Startplätze für die Olympischen Spiele: Max Hartung, Nicolas Limbach, Matyas Szabo und Benedikt Wagner. Ihre Teamstärke aber wird nicht zur Geltung kommen, weil der Mannschafts-Wettbewerb turnusgemäß ausgerechnet in Rio 2016 nicht auf dem Programm steht.

Dass Dormagen ein heller Fleck auf der Fechtlandkarte ist, liegt auch am Idealismus eines Einzelnen. 1993 kam der ehemalige Weltklasse-Fechter Vilmos Szabo in die Kleinstadt nahe Leverkusen - mittlerweile ist er Bundestrainer. Der Rumäne könnte in den USA, Russland, Frankreich oder Italien weit mehr verdienen. Dennoch ist er in Dormagen, um dort mit seinem Quartett um Sohn Matyas (24) zu arbeiten.

Die deutschen Sportler müssen ihre Kräfte einteilen. Ihr Alltag gleicht einem großem Ausfallschritt: Viele sind Arbeitnehmer oder Studenten und Profis zugleich. Auch Britta Heidemann kann nicht nur drei Olympiateilnahmen, sondern auch ein Diplom in "Regionalwissenschaften Chinas" vorweisen. Beim Thema Geld lässt auch der Fechtsport seine Maske fallen. Der DFB scheint den strukturellen Rahmen nicht mehr schaffen zu können, der Leistungstraining und Beruf vereinbar macht. Zwei Wochen Vorbereitung auf die WM im Juli in Moskau glichen eher einem Schnelldurchlauf. Russlands Fechter sind 250 Tage im Jahr zusammen. In Deutschland gibt es 24 Sportförderpunkte. In Italien werden 180 Athleten staatlich gefördert.

Ein Jahr vor den Olympischen Spielen und zwei Jahre vor der Heim-WM scheinen die Deutschen den Anschluss an die Weltspitze verloren zu haben. Der DFB hofft, sieben Athleten nach Rio entsenden zu können. Dass es nur zwei werden, ist allerdings ebenso möglich.

(RP)
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