Gegenpressing Abstiegskampf - die schöne Zeit der Worthülsen

Der Abstiegskampf in der Fußball-Bundesliga gibt die Gelegenheit für kämpferische Parolen, deftige Klagen und immer wieder gleich klingende Forderungen. Das hat wahrscheinlich etwas mit Tradition zu tun.

 RP-Sportchef Robert Peters.

RP-Sportchef Robert Peters.

Foto: Peters

Der große Sprachathlet Kevin Großkreutz hat mal wieder das Wort zum Spieltag gesprochen. Er werde alles geben, damit "wir aus der Scheiße rauskommen". "Wir" ist in diesem Fall der VfB Stuttgart. Reingeraten ist er in die, nennen wir sie aus rein ästhetischen Erwägungen "Misere" des Abstiegskampfs in der Fußball-Bundesliga. Er steckt so tief drin, dass es ihn zum zweiten Mal in der Vereinsgeschichte in die zweite Liga spülen könnte.

Da muss Großkreutz schon all seinen bemerkenswerten sprachlichen Kampfgeist mobilisieren. Es kann gut sein, dass es dabei bleibt, denn der Körper des Weltmeisters ohne Turniereinsatz kann längst noch nicht alles tun, was sich der Fußballer so vorstellt. Möglich, dass er wegen anhaltender Verletzungsfolgen gar nicht spielen darf.

Das schmälert aber nicht die Lust an lautstarken Vorträgen. Sie passen in die Zeit, denn kaum einer, der auch nur irgendeine Beziehung zu einem der Abstiegskandidaten hat, lässt an diesen Tagen die Gelegenheit verstreichen, sich aus der großen Schatzkiste der Fußball-Worthülsen zu bedienen.

Da "gibt es keine Ausreden mehr" (hat übrigens auch wieder Großkreutz gesagt); da ist "der Abstieg das größte anzunehmende Unglück" (Stuttgarts ehemaliger Präsident Erwin Staudt); da "gilt es, die Konzentration hochzuhalten" (Bremens Trainer Viktor Skripnik); da "zählt ausschließlich die Konzentration auf den Fußball" (Frankfurts Vorstandschef Heribert Bruchhagen). Ganz sicher hat noch jemand in der Kabine mit gehobener Stimme verlangt, "dass wir Gras fressen müssen". Und bestimmt erklären Vorstände in all den kleinen und größeren Gesprächsrunden des Wochenendes, "dass nun die Spieler in der Verantwortung stehen".

Am Ende werden sich wie immer zweieinhalb Klubs retten - zweieinhalb, weil einer ja in die Trostrunde der Relegation muss. Kommentiert wird das dann, je nach Abschneiden, erneut nach einem tiefen Griff in besagte Schatzkiste. Die Geretteten werden den Charakter der Mannschaft feiern, die Absteiger trotzig Besserung schwören. Garantiert findet sich einer, der sagt: "Man darf hinfallen, aber man muss wieder aufstehen." Und so mancher Oberbürgermeister wird erklären: "Diese Stadt braucht Bundesliga-Fußball."

Dann ist endlich Sommerpause, und spätestens in einem Jahr treten wieder rauflustige Sprachkünstler in den Ring, vielleicht sogar dieselben wie dieses Jahr. Dann werden erneut Weltuntergangs-Szenarien entworfen, bittere Klagen über verantwortungslose Profis geführt und einfache taktische Wahrheiten ("Kämpfen bis zum Umfallen") verbreitet. Das ist schön, weil alles schon mal da war. Und was bekannt klingt, hat etwas von Heimat. Zumindest hat es Tradition. Wahrscheinlich kommt daher das Wort "Traditionsklub".

Der VfB Stuttgart ist so einer.

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(RP)
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