Peter Altmaier "Wir sind uns einiger, als manche denken"

Als Kanzleramtsminister ist der 57-jährige CDU-Politiker für die Koordinierung der Flüchtlingspolitik zuständig.

Berlin Peter Altmaier hat keinen leichten Job: Die Flüchtlingskrise löst Nervosität aus, nicht nur in der großen Koalition. Auch in der Union werden scharfe Töne gegen die Kanzlerin laut. Im Interview erklärt der Flüchtlingskoordinator, wie es weitergehen soll.

Wolfgang Schäuble spricht im Zusammenhang mit Flüchtlingen von einer Lawine. Bekommt Berlin die Herausforderungen in den Griff?

Altmaier Eindeutig ja. Wir haben die Ärmel aufgekrempelt und die Zuständigkeiten neu geordnet. Und es gibt Erfolge in der Sache: Die Zahl der Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien und aus Albanien ist deutlich zurückgegangen. In diesem Jahr sind bereits über 50.000 abgelehnte Asylbewerber in ihre Heimat zurückgeführt worden. Ich bin auch sehr optimistisch, dass Frank-Jürgen Weise, der neue Präsident des Bundesamtes für Migration, es schaffen wird, die Bearbeitung der Asylverfahren zu verkürzen.

Die CDU-Spitze zwang die Kanzlerin zur Kurskorrektur und stützte Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Wer hat das Sagen?

Altmaier Nicht alle Debattenbeiträge der letzten Wochen waren hilfreich, aber es wäre ungewöhnlich, wenn es bei einem so wichtigen Thema nicht unterschiedliche Meinungen gäbe. Dennoch war die Koalition zu jedem Zeitpunkt handlungsfähig. Angela Merkel, Sigmar Gabriel und Horst Seehofer haben bereits am 5. November beschlossen, dass es einen Anspruch auf Familiennachzug künftig nur bei anerkannten Flüchtlingen geben soll.

Will Kanzlerin Merkel mehr Flüchtlinge und Innenminister de Maizière weniger Flüchtlinge in Deutschland?

Altmaier Wir haben alle Entscheidungen der letzten Wochen gemeinsam getroffen, auch mit Zustimmung des Bundesinnenministers. Wir haben inzwischen eine größere Einigkeit zwischen CDU und CSU, als manche denken - oder auch der politische Gegner sich wünscht. Niemand will "mehr" Flüchtlinge aufnehmen. Die Kanzlerin hat immer klar gesagt, dass die aktuelle Migration geordnet werden und das Problem dort gelöst werden muss, wo es seinen Ausgangspunkt hat: in der Türkei, weil sie das zentrale Transitland der Migranten und Flüchtlinge ist. Das geht nur, wenn die Flüchtlinge dort angemessen behandelt werden und wenn die EU sich zur Aufnahme legaler Flüchtlingskontingente bereiterklärt.

Bricht die Kanzlerin das Grundgesetz? Die CSU meint das.

Altmaier Die Bundesregierung handelt im Einklang mit dem Grundgesetz, dem europäischen Recht und den deutschen Gesetzen. Es trifft nicht zu, dass das Grundgesetz oder die Gesetze uns zu Zurückweisungen an der Grenze verpflichten oder dass wir uns über die Dublin-Regeln hinwegsetzen.

Syrer sollen nicht länger pauschal den Status als Bürgerkriegsflüchtlinge mit dem Anrecht auf Familiennachzug erhalten. Kommt aber wieder die Einzelfallprüfung, verlängert das die Verfahren?

Altmaier Wir reden hier über eine eher theoretische Frage. Die Kommunen müssen wissen, dass in den nächsten Monaten nicht mit einer großen Familienzusammenführung zu rechnen ist. Viele Flüchtlinge haben noch nicht mal einen Asylantrag stellen können, mit einem Abschluss der Verfahren ist erst weit im nächsten Jahr zu rechnen. Erst dann könnten sie den Familiennachzug beantragen.

Wann erwarten Sie einen Rückgang des Flüchtlingszustroms?

Altmaier Ein konkretes Datum kann ich jetzt noch nicht nennen; aber wir wollen dieses Ziel so bald wie möglich erreichen. Die Westbalkan-Staaten zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären und damit die Rückführung zu erleichtern, war ein entscheidender Beitrag, den Zustrom zu verringern. Sichere Zonen in Afghanistan und der längere Verbleib der Bundeswehr sowie der Truppen anderer Nato-Staaten am Hindukusch tragen dazu bei, Menschen in Afghanistan zu halten und sie nach dort zurückzubringen. Und wir haben das feste Ziel, Zehntausende bereits abgelehnter Asylbewerber auch abzuschieben.

Und die Türkei?

Altmaier Wir arbeiten daran, dass der ungeordnete Zustrom aus der Türkei abgelöst wird von geregelten Verfahren. Deshalb verhandeln wir mit der türkischen Regierung, die über zwei Millionen Flüchtlingen in Lagern Unterkunft bietet. Ziel ist die bessere Behandlung der Menschen dort, damit sie bleiben, arbeiten können und durch schulische Betreuung ihrer Kinder eine Perspektive sehen. Die EU muss bereit sein, jedes Jahr ein Kontingent der dort lebenden Flüchtlinge aus Syrien und dem Nordirak aufzunehmen.

Wie hoch muss die Finanzhilfe an die Türkei sein? Und hat sich die EU erpressbar gemacht, weil sie Entlastung braucht?

Altmaier Wir verhandeln mit der Türkei auf Augenhöhe und selbstbewusst. Die Türkei gehört zu den wenigen stabilen Ländern und trägt dazu bei, dass zwei Millionen Menschen nicht mehr in Lebensgefahr sind. Drei Milliarden Euro aus EU-Mitteln stehen bei den Finanzgesprächen im Raum, aber Sie werden verstehen, dass über laufende Verhandlungen keine Auskünfte gegeben werden.

Die CDU büßt Sympathien ein. Macht Ihnen das Sorge?

Altmaier Lassen wir doch die Kirche im Dorf. Das Institut Forsa taxiert gerade die CDU auf 38 Prozent. Das ZDF-"Politbarometer" auf 39 Prozent! Der Abstand zur zweitstärksten Partei beträgt 13 Prozentpunkte. Und das trotz der gegenwärtigen Lage, die eine der größten Herausforderung seit der Wiedervereinigung ist, und obwohl wir unionsintern gestritten haben. Das zeigt das hohe Maß an Zustimmung, das die Kanzlerin bei den Bürgern genießt. Die Bürger trauen uns zu, dass wir die Probleme bewältigen.

DAS GESPRÄCH FÜHRTE BEATE TENFELDE, NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG.

(RP)
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