Berlin Wenn eine Ideologie brutal wird

Berlin · Angela Merkel mahnt beim Besuch in der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen, die Opfer des Kommunismus nicht zu vergessen.

Wenn "Freigang" bedeutet, dass zwischen dem Menschen und dem Himmel Gitter und Stacheldraht gespannt sind, wenn Zeitzeugen in kleinen Zellen schildern, wie die Herrschenden hier versuchten, ihren Körper und ihre Seele zu brechen, wenn Schüler lernen, wie der Kommunismus sich aus Opferperspektive anfühlte, dann befindet sich der Besucher im einstigen zentrale Stasi-Gefängnis, das als Gedenkstätte Hohenschönhausen die Erinnerung wachhält. Und wenn Angela Merkel diesen Ortstermin als allerersten Termin nach ihrem Urlaub auswählt, dann steckt viel Symbolik in diesem Besuch.

Vor acht Jahren ist sie schon einmal hier gewesen. Hat schon einmal gemahnt, die Verbrechen von Kommunisten und Sozialisten nicht zu vergessen. Auch dieses Mal unterstreicht sie, zwei Tage vor dem Jahrestag des Mauerbaus, dass nur eine gute Zukunft haben könne, wer sich der Vergangenheit annehme. Aber nach den Krawallnächten am Rande des Hamburger G 20-Gipfels knüpft sie eine weitere, brandaktuelle Verbindung, indem sie die Gedenkstätte als Teil der Bekämpfung des Linksradikalismus sieht. Diese Gefahr könne nicht negiert werden, darum müsse sich die Politik kümmern, unterstreicht sie.

Zuvor hatte bereits Gedenkstättenchef Hubertus Knabe diesen Zusammenhang von Hamburg und Hohenschönhausen aufgegriffen: Wenn die Menschenwürde im Namen einer Ideologie nichts mehr zähle und das Werfen eines Brandsatzes ins Gesicht eines Polizisten als etwas Gutes im Namen einer guten Idee angesehen werde.

In Hohenschönhausen müssen die Akteure von einst selbst gewusst haben, dass sie nichts Gutes taten. Die Stasi-Bediensteten machten vor Jahren zwar regelmäßig Stimmung gegen die Gedenkstätte und behaupteten, hier sei alles nach Recht und Gesetz zugegangen. Aber Knabe bedauert nach wie vor das Fehlen vieler Unterlagen. Etwa über gefolterte, gestorbene oder ermordete Häftlinge. Er beklagt nachlassendes Interesse der Wissenschaft an der Untersuchung des DDR-Unrechts und mahnt weitere Forschungen an, verweist auf die vielen Tausend Säcke mit zerschnipselten Stasi-Akten, die endlich zusammengefügt und ausgewertet werden müssten.

Zum Glück für die nachgeborene Generation, sind sie nicht auf die Aussagen der einstigen Stasi-Leute angewiesen. Zum Glück gibt es auch Arno Drefke (83), der beim Rundgang mit der Kanzlerin genau berichten kann, was er als angeblicher Spion in diesem Zentralgefängnis zu erleiden hatte. Hier konzentrierte das Ministerium für Staatssicherheit diejenigen, die sie für Feinde des sozialistischen Systems hielt. Auch deshalb haben viele Bürgerrechtler eigene Erinnerungen an die Abläufe im Gefängnis, das in einer einstigen Großküche aus nationalsozialistischer Zeit errichtet wurde.

Menschenverachtende Brutalität herrschte hier bereits kurz nach der sowjetischen Eroberung Berlins. Häftlinge wurden systematisch gefoltert. In Kellerräumen gab es keine Heizungen, nur einen Bottich für die Notdurft aller, kaum Platz zum Liegen, und den Namen "U-Boot" bekam der Trakt bei den Drangsalierten, wenn sie wach bleiben mussten, und ihnen so lange Wasser über den Kopf geschüttet wurde, bis sie knietief darin standen.

Rund 1000 Tote forderte dieser Umgang mit den Häftlingen. Rund 20.000 wurden hier erniedrigt, bevor sie in andere sowjetische Lager kamen. Anfang der 50er Jahre setzte die Stasi die Praktiken am selben Ort fort, erweiterte die Bauten, fuhr die Folter, die körperliche Spuren zeigte, jedoch zurück. Ziel blieb es, Menschen über Jahre psychisch zu brechen. Sie wurden über die Vorgänge in ihrer Familie belogen, sie wurden unter Schlafentzug gesetzt, sollten sich zu keiner Sekunde mehr sicher fühlen. Nach dem Mauerbau fanden sich hier viele, die das Land verlassen hatten und solche, die bei der Flucht geholfen hatten. Über 11.000 trugen Erinnerungen an "Hohenschönhausen" mit sich herum. Oft traumatisiert.

Nach der Wende landeten etliche Mitglieder der Stasi- und Staatsführung selbst in Hohenschönhausen. Laut Knabe sollen sie sich über die Haftbedingungen beschwert haben. Bemerkenswert ist laut Knabe, dass unter den rund 500.000 Besuchern jährlich die aus den neuen Ländern deutlich unterrepräsentiert sind.

Offensichtlich ist das Bedürfnis, sich mit diesem Teil der Vergangenheit auseinanderzusetzen, sehr unterentwickelt. Auch darauf hat die Kanzlerin mit ihrem Besuch aufmerksam gemacht. Und sie selbst bekam ebenfalls Hausaufgaben mit: Sie soll sich kümmern um Versorgungslücken bei der Rente jener ehemaligen Hohenschönhausen-Insassen, die von der Bundesrepublik freigekauft wurden. Merkel will den Details nachgehen.

(may-)
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