Düsseldorf Wenn die digitale Welt real wird

Düsseldorf · Die Computerspielsucht soll offiziell als Krankheit anerkannt werden. Kliniken könnten die Erkrankung endlich als solche behandeln. Ein heikles Thema, über das auch am heutigen Tag für mehr Internetsicherheit debattiert wird.

Für ihre Sucht hat Britta Sarbok-Heyer zwischenzeitlich sogar ihre Familie verlassen, wollte in der fiktiven Welt ein Held sein. "Ich wusste nicht mehr, wer ich war", sagt die 52-Jährige, die in Krefeld eine Selbsthilfegruppe für Onlinesucht ins Leben gerufen hat. "Das Leben im Spiel ist schöner, schneller, einfacher", sagt sie. Und fordert Eltern auf, die Zeiten zu begrenzen, die ihre Kinder im Netz verbringen. Die Ausrede "Die zocken ja nur" gelte nicht. Die Anerkennung als Krankheit sei überfällig. "Es muss öffentlich gemacht werden. Wenn wir nicht darüber reden können, passiert nichts."

Im Mai könnte es soweit sein. Dann entscheidet sich, ob die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Computerspielsucht in ihren Katalog anerkannter Krankheiten aufnimmt. Gegner befürchten, die Aufnahme könnte gesunde Spieler als Süchtige brandmarken, Betroffene seien nie nur onlinesüchtig. Es gäbe immer auch eine zweite Erkrankung. Befürworter sehen in der Aufnahme einen lange erwarteten Schritt. Endlich könnte Online- und Computerspielesucht bei den Krankenkassen abgerechnet und behandelt werden. Für Sarbok-Heyer war es ein Glücksfall, dass sie selbst zeitgleich ein Alkoholproblem hatte. "Dadurch konnte der Arzt die Therapie überhaupt abrechnen."

Die Anerkennung sei zurecht hoch umstritten, sagt Martin Puppe, Sprecher des "game", des Verbandes der deutschen Games-Branche. Belastbare Studienergebnisse fehlten, Mediziner seien uneinig, ob es sich um ein eigenständiges Krankheitsbild handelte. Denn Millionen Spieler nutzten die gleichen Spiele, ohne Probleme damit zu haben. Die Folge der Anerkennung könnten Fehldiagnosen von Depressionen oder Angststörungen sein. "Der Schlüssel zur Verhinderung ungesunder, exzessiver Computerspielnutzung ist Medienkompetenz", sagt Puppe.

Die Anfänge sind meist ganz klein, sagt Anja Vennedey, Leiterin der Suchtberatung der Diakonie Düsseldorf. "Man nimmt sich vor: ,Morgen geh ich zur Uni und abends um 23 Uhr ins Bett', und das klappt nicht." Das sei der Klassiker. Funktioniert das dauerhaft nicht und verbringt man regelmäßig mehr Zeit vor dem Computer als man sich vornimmt, sollten die Alarmglocken schrillen. "Wir begrüßen ausdrücklich die Aufnahme in den ICD", sagt Vennedey. Der ICD ist die Internationale Klassifikation der Krankheiten der WHO. Krankheiten, die hier aufgelistet sind, gelten als offiziell anerkannt und können entsprechend diagnostiziert und abgerechnet werden. "Bei der Computerspielsucht handelt es sich um ein junges Krankheitsbild", sagt Vennedey. Eine Aufnahme in den ICD würde mehr Gelder für Forschung ermöglichen. "Natürlich muss man differenziert hingucken, nicht jeder am PC ist süchtig." Das Argument, dass viele Patienten auch unter Depressionen litten, hält sie für überflüssig. "Es ist müßig darüber zu diskutieren, was zuerst da war", sagt Vennedey. Der Therapeut muss immer untersuchen, wofür die Sucht steht, was damit kompensiert oder verdrängt wird.

Computerspiel- und Onlinesucht ist kein neues Problem. Das Gesundheitsministerium schreibt in seinem Drogen- und Suchtbericht für 2017: Knapp sechs Prozent aller Jugendlichen im Alter zwischen zwölf und 17 Jahren galten im Jahr 2015 als computerspiel- oder internetabhängig, doppelt so viele wie 2011. Die meisten spielen dem Bericht zufolge, um nicht an unangenehme Dinge denken zu müssen. Knapp die Hälfte der Befragten gab an, für Computerspiele Freunde und Familie zu vernachlässigen.

(cha)
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